Amanda Knox wurde von dem Vorwurf des Mordes an ihrer Mitbewohnerin freigesprochen. Doch so richtig hat die Hexenjagd auf den "Engel mit den Eisaugen" nie geendet. Eine neue Chance bietet ein neuer Prozess.

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Als sie aus dem Gefängnis entlassen wurde, hat Amanda Knox ein Buch geschrieben, um alles zu verarbeiten. "Zeit, gehört zu werden", lautet der Titel. Knox thematisiert darin das Unrecht, das ihr die italienische Justiz angetan habe. Gleich zweimal wurde sie wegen Mordes zu langen Haftstrafen verurteilt – fälschlicherweise, wie man heute weiß.

Über Jahre berichtete die Weltpresse über den "Engel mit den Eisaugen", eine junge, attraktive Amerikanerin, die im malerischen italienischen Perugia ihre Mitbewohnerin massakriert haben soll. Ein Staatsanwalt sprach immer wieder von einem "satanischem Ritus". Richtige Beweise dafür gab es nie.

Neun Jahre nach ihrem Freispruch steht Knox erneut vor Gericht. Die heute 36-Jährige lebt wieder in den USA und hat zwei kleine Kinder. Als Aktivistin engagiert sie sich für Opfer von Justizirrtümern. Dem Prozessauftakt in Florenz aber blieb sie fern. Dabei hat das Verfahren eine große Bedeutung, denn es könnte die Akte um einen der größten italienischen Justizskandale endgültig schließen.

Mordfall Meredith Kercher: Bis heute ungeklärt

Die Richter in Florenz verhandeln nicht den Mordfall, sondern die Umstände der Ermittlungen. Auch wenn es als gesichert gilt, dass Knox mit der Tat nichts zu tun hatte, beschuldigte sie damals einen Barmann, der gar nicht am Tatort sein konnte. Ein Gericht verurteilte sie deswegen wegen Verleumdung. Knox will auch in dieser Sache freigesprochen werden.

Und so gerät der mysteriöse Fall derzeit wieder in die Schlagzeilen. Wer Meredith Kercher ermordet hat, ist bis heute ungeklärt. Der Einzige, der seine Haftstrafe für die Tat absaß, wurde als Mittäter verurteilt. Aber wer waren die anderen?

Amanda Knox war 2007 als Sprachstudentin nach Perugia gekommen. Dort bezog sie eine WG in der Nähe des Zentrums. Am Morgen des 2. November 2007 wurde ihre britische Mitbewohnerin Meredith ermordet in ihrem Zimmer aufgefunden. Sie starb durch mehrere Dutzende Stichwunden, Strangulation und einen Schnitt an der Kehle. Offenbar wurde sie davor auch noch vergewaltigt. Schnell verdächtigte die italienische Polizei Knox und ihren damaligen Freund, den Italiener Raffaele Sollecito.

Am Tatort entdeckten die Ermittler Spuren eines polizeibekannten Drogendealers. Rudy Guede wurde auf der Flucht nach Deutschland gefasst. Das Gericht in Perugia verurteilte ihn wegen Beihilfe zum Mord zu 30 Jahren Haft, die später auf 16 Jahre reduziert wurden. Inzwischen ist er wieder auf freiem Fuß.

Was passierte während des Verhörs?

Das Justizdrama um Sollecito und Knox nahm damals erst seinen Anfang. Obwohl Experten angebliche DNA-Spuren der beiden für untauglich erklärten, war die Staatsanwaltschaft von ihrer Mitschuld überzeugt. Ein erstes Urteil zu langen Haftstrafen erging 2009 und wurde 2011 im Berufungsverfahren revidiert. Bis dahin saßen Knox und Sollecito bereits vier Jahre in italienischen Gefängnissen. In zweiter Instanz wurde die Amerikanerin dann erneut zu 28,5 Jahren und ihr Freund 25 Jahren Haft verurteilt. 2015 hob das Oberste Gericht in Italien auch dieses Urteil auf.

Das Urteil wegen Verleumdung aber blieb bestehen, auch wenn Knox die Haftstrafe bereits während des Mordprozesses verbüßt hatte. Das Gericht nahm es als erwiesen an, dass sie den Chef der Bar, in der sie kellnerte, absichtlich beschuldigt hatte, um von sich abzulenken. Der Verteidiger des Kongolesen Patrick Lumumba nannte Knox "von außen schlammig, von innen schwarz", eine "skrupellose Lügnerin" mit Tendenz zu Borderline.

Tatsächlich hatte Knox in einem nächtlichen Verhör von über 14 Stunden behauptet, Patrick Lumumba am Tatort gesehen zu haben. Doch dieser konnte ein Alibi vorweisen. Warum sie den Mann beschuldigte, gehört bis heute zu den großen Rätseln des Falls. Knox zog ihre Aussage wenig später zurück. Sie begründete ihre Falschaussage damit, von den italienischen Beamten unter Druck gesetzt worden zu sein. Man habe ihr gedroht und ihr körperlich zugesetzt, bis sie halluziniert habe, mit Lumumba am Tatort gewesen zu sein.

Viele glauben weiter an Knox' Mitschuld

2019 entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, dass die Verhöre Amanda Knox‘ Rechte verletzt hatten. Die italienischen Behörden hatten der nur rudimentär Italienisch sprechenden Frau weder einen Anwalt noch einen Dolmetscher zur Verfügung gestellt. Italien wurde zu einer Entschädigung von 18.000 Euro verpflichtet.
Italiens Oberstes Gericht gab daraufhin der Berufung von Knox statt.

Das Haus, in dem Meredith ermordet wurde, ist längst verkauft, zieht aber immer noch Schaulustige an. Viele Menschen glauben weiter, Knox und Sollecito hätten etwas mit dem Mord zu tun gehabt. Weit verbreitet ist der Mythos, sie hätten Meredith in einem Ritual unter Drogenrausch getötet – obwohl keine Spuren von Drogen in ihrem Blut gefunden worden waren. Ob sich Knox mit einem Freispruch nachträglich von der Hexenjagd auf sie befreien kann, ist somit fraglich. Der Fall wurde zur Vorlage für mehrere Bücher und Filme. Derzeit produziert Knox unter anderem mit Monica Lewinsky eine Miniserie über ihren Kampf mit der Justiz.

Verwendete Quellen

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