Manfred S. soll bis zu zehn Menschen ermordet haben. Er führte ein Doppelleben: Serienmörder in einem Leben, Familienvater im anderen. Wie geht das zusammen? Und wieso kam man Manfred S. erst nach seinem Tod auf die Spur? Ein Interview mit einem Kriminalisten.

Ein Interview

Der 2014 verstorbene Manfred S. soll seit den 70er Jahren mehrere Morde, vor allem an Frauen, verübt haben. Zehn oder mehr könnten es gewesen sein. Von außen betrachtet habe er das Leben eines "normalen Familienvaters" geführt, so die Polizei. Ein durchaus bekanntes Phänomen bei Serienmördern, sagt der Kriminalist Stephan Harbort. Im Interview spricht er über die Motive von Serienmördern und warum es so schwer ist, sie zu fassen.

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Herr Harbort, ab wann bezeichnen Kriminologen einen Mörder als Serienmörder?

Stephan Harbort: Es gibt keine allgemeingültige Definition. Nimmt man etwa die Zahl der Opfer, sagen einige, es müssen mindestens zwei sein, andere sprechen von drei, vier oder mehr. Zudem ist man sich uneins in der Frage, ob auch schuldunfähige Täter Serienmörder sein können.

Dann gibt es noch die zeitliche Komponente: Wie viel Zeit muss zwischen den Taten liegen? Ich gehe davon aus, dass der Täter zwei oder mehr mindestens versuchte, vorsätzliche Tötungsdelikte mit jeweils einem neuen Tatentschluss verübt haben muss. Dabei muss er vermindert oder voll schuldfähig sein.

Handelt es sich bei Manfred S. trotz der großen zeitlichen Abstände um Serienmorde?

Daran habe ich keine Zweifel. Wir haben eindeutige Charakteristika eines Serienmörders: Es gibt eine sadistische Tatausprägung, ein "Jagdrevier" und mehrere Taten über einen sehr langen Zeitraum. Zudem wissen wir von Gewalt- und Tötungsphantasien.

Die Aufklärungsquote liegt bei Serienmorden unter der von Tötungsdelikten. Was macht die Aufklärung so schwierig?

Zunächst einmal passieren viele solche Taten unterhalb des kriminalistischen Radars, etwa bei Patiententötungen in Krankenhäusern oder bei der Tötung von Neugeborenen. Manchmal werden Tötungsdelikte gar nicht als solche erkannt, etwa bei einem vermeintlichen plötzlichen Kindstod.

Zudem verhalten sich Serienmörder bei ihren Taten nicht immer gleich. Eine Signatur, wie sie bei Manfred S. zu finden ist, und die ein sehr persönliches Bedürfnis widerspiegelt, ist relativ selten.

All das macht es schwierig, einen Serienmörder zu fassen - vor allem aber auch der Umstand, dass zwischen Täter und Opfer vor der Tat meist keine Beziehung besteht. Die Ermittlungsstrategie, im sozialen Umfeld des Opfers nach dem Täter zu suchen, funktioniert dann nicht.

Unter den sechs Opfern, die laut Polizei sehr wahrscheinlich von ihm getötet wurden, sind fünf Prostituierte. Werden sie besonders häufig Opfer von sexuell motivierten Serienmördern?

Sie spielen zumindest eine gewisse Rolle. In zehn bis fünfzehn Prozent der Serienmordfälle, in denen sexualisierte Gewalt das Motiv ist, sind sie betroffen. Das hat häufig pragmatische Gründe: Ein Täter überlegt sich, auf welche Weise er sich einer Frau nähern kann, ohne seine kriminellen Absichten deutlich werden zu lassen.

Bei einem Gespräch mit einer Prostituierten wird niemand Verdacht schöpfen und sich im Zweifel auch nicht an den Täter erinnern.

Ist sexualisierte Gewalt bei Serienmorden ein besonders häufiges Motiv?

Bei männlichen Tätern stellen wir bei 30 bis 40 Prozent dieses Motiv fest, bei weiblichen Tätern so gut wie gar nicht.

Weitere Motive sind Habgier und die Beseitigung von Berufs-, Alltags- und Beziehungskonflikten - damit sind unter anderem serielle Patienten- oder Kindstötungen gemeint. Es gibt aber auch Täter, die aus jeweils ganz unterschiedlichen Motiven töten.

Eine reine Lust am Töten ist also so gut wie nie das Motiv?

Dem Serienmörder wird gerne unterstellt, dass er mordlüstern ist und sich wahllos durch die Gesellschaft mordet. Das als alleiniges Motiv kommt aber in weniger als einem Prozent der Fälle vor.

Über Manfred S. sagte die Polizei, er habe nach außen wie ein "ganz normaler Familienvater" gewirkt. Wie geht das? Wie funktioniert ein Doppelleben?

Es geht nicht um Abgrenzung des einen Lebens zum anderen, sondern um die Verknüpfung der Lebenswelten. Einer der Täter, mit denen ich gesprochen habe, hat das so beschrieben: Wenn es ihm in der einen Welt gut ging, war alles in Ordnung. Wenn ihm schlecht ging, wechselte er in die Parallelwelt.

Es gibt also zum Beispiel das Leben als treusorgender Familienvater und solange in diesem Leben alles okay ist, gibt es keinen Grund, sich in die Parallelwelt zu begeben. Sobald es aber Probleme mit der Familie oder im Beruf gibt, kommt der Rückfall in kriminelle Verhaltensweisen in einer Welt, in der sich der Täter machtvoll fühlt.

Die Polizei vermutet im Fall Manfred S., dass es einen Mittäter gegeben haben könnte. Ist das nicht untypisch für Serienmörder?

In Deutschland ist das, gerade wenn es um sexualisierte Gewalt geht, eher untypisch - zumal die Täter oft einzelgängerisch veranlagt sind. In den letzten zehn, zwanzig Jahren haben sich jedoch neue Kommunikationsformen über das Internet entwickelt, die zu Täter-Täter- oder Täter-Opfer-Beziehungen führen können, wenn man feststellt: Da ist jemand mit den gleichen Vorlieben.

Manfred S. soll seinen Opfern Organe entnommen haben. Wie häufig ist Ihnen ein solches Verhalten bei Serienmördern begegnet?

Das kommt nicht häufig vor - anders als die sogenannte defensive Zerstückelung von Leichen, die dazu dient, sie besser beseitigen zu können. Hier würde es jedoch um eine offensive Zerstückelung gehen. Solche Handlungen sind entweder Teil der abnormen Phantasie des Täters oder sie dienen dazu, eine Trophäe zu haben, mit der sich die Tat noch einmal nacherleben lässt.

Der Kriminalist und Autor Stephan Harbort gilt als Experte für Serienmörder und Täterprofile. Der Kriminalhauptkommissar hat zu diesen Themen mehr als ein Dutzend Bücher geschrieben, unter anderem „Das Hannibal-Syndrom - Phänomen Serienmord“. Von 1997 bis 2011 führte er Interviews mit mehr als 50 verurteilten Serienmördern in Justizvollzugsanstalten und psychiatrischen Krankenhäusern.

Manfred S. soll bis zu zehn Menschen ermordet haben. Er führte ein Doppelleben: Serienmörder in dem einen Leben, Familienvater im anderen. Wie geht das zusammen? Und wieso kam man Manfred S. erst nach seinem Tod auf die Spur? Ein Interview mit einem Kriminalisten.

Der 2014 verstorbene Manfred S. soll seit den 70er Jahren mehrere Morde, vor allem an Frauen, verübt haben. Zehn oder mehr könnten es gewesen sein. Von außen betrachtet habe er das Leben eines "normalen Familienvaters" geführt, so die Polizei. Ein durchaus bekanntes Phänomen bei Serienmördern, sagt der Kriminalist Stephan Harbort. Im Interview spricht er über die Motive von Serienmördern und warum es so schwer ist, sie zu fassen.

Herr Harbort, ab wann bezeichnen Kriminologen einen Mörder als Serienmörder?

Stephan Harbort: Es gibt keine allgemeingültige Definition. Nimmt man etwa die Zahl der Opfer, sagen einige, es müssen mindestens zwei sein, andere sprechen von drei, vier oder mehr. Zudem ist man sich uneins in der Frage, ob auch schuldunfähige Täter Serienmörder sein können.

Dann gibt es noch die zeitliche Komponente: Wie viel Zeit muss zwischen den Taten liegen? Ich gehe davon aus, dass der Täter zwei oder mehr mindestens versuchte, vorsätzliche Tötungsdelikte mit jeweils einem neuen Tatentschluss verübt haben muss. Dabei muss er vermindert oder voll schuldfähig sein.

Handelt es sich bei Manfred S. trotz der großen zeitlichen Abstände um Serienmorde?

Daran habe ich keine Zweifel. Wir haben eindeutige Charakteristika eines Serienmörders: Es gibt eine sadistische Tatausprägung, ein "Jagdrevier" und mehrere Taten über einen sehr langen Zeitraum. Zudem wissen wir von Gewalt- und Tötungsphantasien.

Die Aufklärungsquote liegt bei Serienmorden unter der von Tötungsdelikten. Was macht die Aufklärung so schwierig?

Zunächst einmal passieren viele solche Taten unterhalb des kriminalistischen Radars, etwa bei Patiententötungen in Krankenhäusern oder bei der Tötung von Neugeborenen. Manchmal werden Tötungsdelikte gar nicht als solche erkannt, etwa bei einem vermeintlichen plötzlichen Kindstod.

Zudem verhalten sich Serienmörder bei ihren Taten nicht immer gleich. Eine Signatur, wie sie bei Manfred S. zu finden ist, und die ein sehr persönliches Bedürfnis widerspiegelt, ist relativ selten.

All das macht es schwierig, einen Serienmörder zu fassen - vor allem aber auch der Umstand, dass zwischen Täter und Opfer vor der Tat meist keine Beziehung besteht. Die Ermittlungsstrategie, im sozialen Umfeld des Opfers nach dem Täter zu suchen, funktioniert dann nicht.

Unter den sechs Opfern, die laut Polizei sehr wahrscheinlich von ihm getötet wurden, sind fünf Prostituierte. Werden sie besonders häufig Opfer von sexuell motivierten Serienmördern?

Sie spielen zumindest eine gewisse Rolle. In zehn bis fünfzehn Prozent der Serienmordfälle, in denen sexualisierte Gewalt das Motiv ist, sind sie betroffen. Das hat häufig pragmatische Gründe: Ein Täter überlegt sich, auf welche Weise er sich einer Frau nähern kann, ohne seine kriminellen Absichten deutlich werden zu lassen.

Bei einem Gespräch mit einer Prostituierten wird niemand Verdacht schöpfen und sich im Zweifel auch nicht an den Täter erinnern.

Ist sexualisierte Gewalt bei Serienmorden ein besonders häufiges Motiv?

Bei männlichen Tätern stellen wir bei 30 bis 40 Prozent dieses Motiv fest, bei weiblichen Tätern so gut wie gar nicht.

Weitere Motive sind Habgier und die Beseitigung von Berufs-, Alltags- und Beziehungskonflikten - damit sind unter anderem serielle Patienten- oder Kindstötungen gemeint. Es gibt aber auch Täter, die aus jeweils ganz unterschiedlichen Motiven töten.

Eine reine Lust am Töten ist also so gut wie nie das Motiv?

Dem Serienmörder wird gerne unterstellt, dass er mordlüstern ist und sich wahllos durch die Gesellschaft mordet. Das als alleiniges Motiv kommt aber in weniger als einem Prozent der Fälle vor.

Über Manfred S. sagte die Polizei, er habe nach außen wie ein "ganz normaler Familienvater" gewirkt. Wie geht das? Wie funktioniert ein Doppelleben?

Es geht nicht um Abgrenzung des einen Lebens zum anderen, sondern um die Verknüpfung der Lebenswelten. Einer der Täter, mit denen ich gesprochen habe, hat das so beschrieben: Wenn es ihm in der einen Welt gut ging, war alles in Ordnung. Wenn ihm schlecht ging, wechselte er in die Parallelwelt.

Es gibt also zum Beispiel das Leben als treusorgender Familienvater und solange in diesem Leben alles okay ist, gibt es keinen Grund, sich in die Parallelwelt zu begeben. Sobald es aber Probleme mit der Familie oder im Beruf gibt, kommt der Rückfall in kriminelle Verhaltensweisen in einer Welt, in der sich der Täter machtvoll fühlt.

Die Polizei vermutet im Fall Manfred S., dass es einen Mittäter gegeben haben könnte. Ist das nicht untypisch für Serienmörder?

In Deutschland ist das, gerade wenn es um sexualisierte Gewalt geht, eher untypisch - zumal die Täter oft einzelgängerisch veranlagt sind. In den letzten zehn, zwanzig Jahren haben sich jedoch neue Kommunikationsformen über das Internet entwickelt, die zu Täter-Täter- oder Täter-Opfer-Beziehungen führen können, wenn man feststellt: Da ist jemand mit den gleichen Vorlieben.

Manfred S. soll seinen Opfern Organe entnommen haben. Wie häufig ist Ihnen ein solches Verhalten bei Serienmördern begegnet?

Das kommt nicht häufig vor - anders als die sogenannte defensive Zerstückelung von Leichen, die dazu dient, sie besser beseitigen zu können. Hier würde es jedoch um eine offensive Zerstückelung gehen. Solche Handlungen sind entweder Teil der abnormen Phantasie des Täters oder sie dienen dazu, eine Trophäe zu haben, mit der sich die Tat noch einmal nacherleben lässt.

Der Kriminalist und Autor Stephan Harbort gilt als Experte für Serienmörder und Täterprofile. Der Kriminalhauptkommissar hat zu diesen Themen mehr als ein Dutzend Bücher geschrieben, unter anderem „Das Hannibal-Syndrom - Phänomen Serienmord“. Von 1997 bis 2011 führte er Interviews mit mehr als 50 verurteilten Serienmördern in Justizvollzugsanstalten und psychiatrischen Krankenhäusern.
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