• Hochwasser hat das Dorf Mayschoß an der Ahr vor zwei Wochen massiv gebeutelt: Über 50 Häuser wurden überflutet, die Hauptstraße zerstört.
  • Tagelang waren die rund 900 Einwohner quasi von der Außenwelt abgeschnitten.
  • In dieser Extremsituation haben die Menschen zusammengehalten und kämpfen sich gemeinsam aus dem Schlamm und zurück in den Alltag.

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Die Kirche ist Apotheke, Supermarkt und Essensausgabe. Der Krisenstab sitzt in der alten Schule, die Feuerwehr hat sich im Kindergarten eingerichtet. Nach wie vor herrscht Ausnahmezustand in Mayschoß an der Ahr - einem Ort, der bei der Hochwasserkatastrophe vor zwei Wochen besonders schlimm verwüstet worden war.

Zerstörung und Leid haben die gut 900 Einwohner zusammengeschweißt - auch weil sie zunächst tagelang quasi von der Außenwelt abgeschnitten waren. "Wir haben einen sehr guten Zusammenhalt gefunden. Es blieb uns ja nichts anderes übrig", sagt Rainer Claesges, Mitarbeiter im Stab Mayschoß und im Ortsgemeinderat. "Wir mussten Kräfte kanalisieren."

"Wir haben alle unsere Heimat verloren"

Gleich am Tag nach der Flut wurde ein eigener Krisenstab gegründet. "Wir haben geschaut: Wer hat welche Stärke? Wer kann was beitragen?", so Claesges. Bis heute kommt der Stab jeden Abend zusammen: "Da wird der Tag besprochen und das, was anfällt am nächsten Tag."

Nach dem Unwetter in Rheinland-Pfalz
In der Kirche St. Nikolaus und Rochus stapeln sich die Hilfsgüter. Flutopfer können sich bedienen. © Thomas Frey/dpa

In der Kirche türmen sich Kleidung, Hygiene-Artikel, Gummistiefel und Spielsachen. "Die Leute dürfen kommen und sich nehmen. Wir sind gut versorgt", sagt eine Helferin. Es breche ihr immer wieder das Herz, wenn Einwohner vorbeikämen, die in der Flutnacht alles verloren hätten. "Was uns alle am Leben hält: Wir haben eine super Dorfgemeinschaft. Jeder hilft jedem." Denn: "Wenn man auch nicht das Haus verloren hat, wir haben alle unsere Heimat verloren."

Der Wehrleiter erinnert sich an dramatische Szenen

Wehrleiter Berthold Ulrich hat gleich in der Katastrophennacht angepackt. Mit einem Megafon ging er durch die Straßen, um Menschen zu warnen und aus den Häusern zu holen. Am Tag danach hätten dann Hubschrauber die Menschen von den Dächern gerettet. "Das waren teilweise dramatische Szenen. Wir sind halt ein kleines Dorf. Jeder kennt jeden." Feuerwehr aus Ludwigshafen, Speyer und Neustadt sei vor Ort gewesen.

Am Tag eins nach der Flut hätten alle im Dorf geholfen, Anwohner zu versorgen. "Krankenschwestern kamen zur Verletzten-Sammelstelle", sagt Claesges. Decken wurden geholt, Getränke, Essen. Denn irgendwie sei ja jeder im Ort betroffen, auch wenn er kein Wasser im Haus gehabt habe. Später wurden die Einwohner dann über Helikopter aus der Luft versorgt.

Kein Trinkwasser, kein Strom

Immer wieder neue Aufgaben: Fleisch von zwei Metzgereien im Ort musste entsorgt werden, ebenso die Inhalte von Tiefkühltruhen der Bürger. "Da waren wir aber relativ fix. Wir haben oben auf dem Berg ein großes Loch gemacht - und da alles wegen der Seuchengefahr entfernt." Dann musste Trinkwasser mit Traktoren und Anhängern herangefahren werden - denn Trinkwasser und Strom gab es nicht.

"Es war klar, dass wir nicht so schnell Hilfe kriegen würden", sagt der stellvertretende Bürgermeister Hartwig Baltes. Im Ort gab es auch einen leitenden Notarzt und einen früheren Polizeibeamten. "Wir haben Gruppen gebildet und organisiert", erzählt er.

Ministerpräsidentin Dreyer von Selbsthilfe beeindruckt

Bei einem Besuch in Mayschoß zeigt sich die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer am Mittwoch beeindruckt von dem, was der Ort organisiert hat. "Das ist wirklich einfach nur bewundernswert, mit wie viel Kraft, aber auch Professionalität die unterschiedlichen Fähigkeiten eingesetzt worden sind, um mit dieser schrecklichen Katastrophe und Krise umzugehen", sagt die SPD-Politikerin.

Bei einem Rundgang macht sich Dreyer ein Bild von der Verwüstung. "Es geht mir vor allem darum, den Menschen zu zeigen, dass wir wirklich auch langfristig an ihrer Seite stehen. Dass sie die Sicherheit mitnehmen, dass wir sie als Land nicht vergessen, sondern sie tatkräftig unterstützen wollen", sagt sie, bevor sie in die Kirche geht.

Die Kirche sei zum Mittelpunkt des Lebens geworden, sagt Claesges. "Das ist unsere Lagerstätte für alles." Und "einfach nur ein Ort für eine Zusammenkunft, um das Erlebte zu verarbeiten". Und um ein Bier gemeinsam zu trinken. "Ich glaube, unsere Kirche war in den letzten Jahren nicht mehr so gefüllt wie in den letzten Tagen."

Neue Straße in nur einer Woche gebaut

Zwei Drittel des Dorfes sind noch intakt, das verheerende Unwetter vom 14. Juli hat nach Schätzungen aber rund 50 Häuser in dem Ort geflutet und die Hauptverkehrsstraße entlang der Ahr zerstört. Zwei Waldwege gab es noch aus dem Ort heraus, aber nur für geländegängige Fahrzeuge, erzählt Ulrich. Auch hier hat wieder jemand aus dem Ort eine Lösung gehabt: Ein Bauunternehmer baute innerhalb von einer knappen Woche eine Teerstraße durch den Wald.

Flutkatastrophe Rheinland Pfalz - Mayschoß
Müll, Treibgut und Unrat liegen am Ufer der Ahr. © Julia Cebella/dpa

"Wenn man mal überlegt, wie lange man normalerweise in Rheinland-Pfalz braucht, bis zwei Quadratmeter Pflaster irgendwo liegen, genehmigungstechnisch, und wie das jetzt funktioniert hat. Aber das ist jetzt auch die Lebensader von Mayschoß gewesen", sagt Wehrleiter Ulrich. Der Geist im Dorf sei "auch sonst schon gut" gewesen. "Aber das Ganze hat das Dorf noch einmal mehr zusammengeschweißt."

Und das Helfen im Dorf geht weiter: Die Feuerwehr unterstützt sieben Kameraden, die vom Hochwasser betroffen waren. Gruppen aus dem Ort helfen Winzern der dortigen Genossenschaft, dass deren Weinberge "irgendwie am Leben gehalten werden", sagt Ulrich. Damit nicht noch zusätzlicher wirtschaftlicher Schaden für die Betriebe entsteht. "Eigentlich ist jetzt Hoch-Zeit im Weinberg."

Idylle trifft Apokalypse

"Bisher haben wir nur funktioniert", sagt Claesges. "Jeden Tag denkt man wieder: Es ist alles nur ein schlechter Traum. Und dann stehst du auf und guckst in die Weinberge, und da ist halt die Idylle. Und auf der anderen Seite ist die Apokalypse." Aber auch hier bleibe nichts anderes übrig: "Das ist unsere Heimat. Die bauen wir wieder auf."

Eine Helferin in der Kirche lobt, wie toll die Hilfsbereitschaft auch von außen sei. "Wir haben aber eine Bitte: Vergesst uns nicht. Auch auf lange Sicht. Das hier ist erst die Stunde Null." (dpa/mcf)

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