• Am 14. März 2018 wurde die brasilianische Stadträtin Marielle Franco kaltblütig ermordet.
  • Für die Witwe der Stadrätin steht fest, dass es ein politischer Mord war.
  • Die Spur der Ermittler führt ins direkte Umfeld von Präsident Jair Bolsonaro.

Mehr Panoramathemen finden Sie hier

Vor drei Jahren, in der Nacht zum 14. März 2018, wurde die damals 38-Jährige schwarze Stadträtin Marielle Franco kaltblütig ermordet. Die Umstände ihres Todes sind nach wie vor nicht aufgeklärt.

Das könnte auch daran liegen, dass die Ermittler empfindlich nah im direkten Umfeld des Bolsonaro-Clans nach den Tätern suchen.

Für Witwe war es ein politischer Mord

Dass es ein politischer Mord war, steht für die Witwe der ermordeten Marielle Franco außer Frage. Darauf hatte sich Monica Benício bereits früh festgelegt.

"Sie wurde hingerichtet, in einem politischen Verbrechen, durch einen Mord, der die Welt schockte", erzählt uns Benício im Vorfeld des ersten Jahrestags. "Und es gibt keine Antworten."

Daran hat sich bislang nichts geändert. Immerhin: Vor einigen Wochen verkündete das Gericht, die Anklage gegen die beiden Hauptverdächtigen Ronnie Lessa und Fabrício Queiroz zuzulassen. Damit könnten zwar die Ausführenden dingfest gemacht werden. Wer jedoch für den feigen Mord verantwortlich ist, ließe die Verurteilung der beiden mutmaßlichen Killer weiterhin offen.

Politikerin auf offener Straße quasi hingerichtet

Rückblick: Franco kam von einer Wahlkampfveranstaltung, war im Auto am Abend des 13. März auf dem Weg vom Stadtteil Lapa nach Hause, als ihr Wagen im Zentrum von Rio von Unbekannten gestoppt wurde. Anschließend wurden mindestens neun Schüsse auf das Fahrzeug abgegeben. Franco und auch der Fahrer des Wagens, Anderson Gomes, waren sofort tot. Ein Assistent, der ebenfalls im Wagen saß, wurde verletzt, überlebte aber. Die Täter flüchteten.

Franco, die 38 Jahre alt wurde, war eine prominente Politikerin der linken Partei PSOL, deren Spitzenkandidat Marcello Freixo in der Stichwahl um das Bürgermeisteramt im Herbst 2016 am evangelikalen Ex-Bischof Marcello Crivella scheiterte. Sie stammt aus der Favela Maré, engagierte sich für Menschenrechte, vorwiegend für die Rechte schwarzer Frauen in der brasilianischen Gesellschaft, insbesondere in den Favelas von Rio.

Als letzte politische Tat hatte sie in sozialen Netzwerken die Tode von drei jungen Menschen angeprangert, die nach ihrer Auffassung auf das Konto der Policia Militar (PM) gingen. Wenige Tage nach der Tat stellten die Ermittler fest, dass die Tatwaffe und Munition aus Polizeibeständen stammten.

Täter stehen der Familie Bolsonaro nahe

An dieser Stelle kommen Lessa und Queiroz, aber auch der Bolsonaro-Clan ins Spiel. Lessa und Queiroz gelten als Mitglieder einer Miliz und als Freunde des Präsidenten. Queiroz, der für die Miliz "Büro des Verbrechens" tätig ist, ist seit den 1980er-Jahren ein enger Freund der Familie.

Es kursieren zahlreiche Fotos, auf denen er sich mit Präsident Jair oder den Söhnen in der Öffentlichkeit in vertraut wirkenden Situationen zeigt. Schon in den Zeiten, als der Sohn Flavio Bolsonaro noch Stadtrat in der gesetzgebenden Versammlung von Rio de Janeiro (ALERJ) tätig war, flossen regelmäßig Geldbeträge an Queiroz.

Queiroz, nach dem lange gefahndet worden war, war in einer Wohnung des Anwalts Frederick Wassef untergetaucht. Wassef ist ebenfalls ein Freund der Bolsonaros und vertritt den ältesten Sohn Flávio als Rechtsbeistand bei dessen zahlreichen Problemen. Flávio wird unter anderem Geldwäsche vorgeworfen.

Erst vor wenigen Tagen war bekannt geworden, dass er ein Anwesen in einer Nobelwohngegend von Brasilia im Wert von mehreren Millionen Reais erworben haben soll. Wassef soll Queiroz auch ein weiteres Mal geholfen haben, indem er eine Arztrechnung über mehr als 10.000 Reais im Nobelkrankenhaus Albert Einstein in Sao Paulo gezahlt haben soll.

Dritter Verdächtiger kann nicht mehr befragt werden

Lessa, der nur wenige Häuser neben Präsident Bolsonaro in der selben Wohnanlage im Stadtteil Barra da Tijuca residierte, gilt als der Waffenbeschaffer. Nachdem die Bundespolizei ihn festgenommen hatte, stellten sie in einer von ihm angemieteten Wohnung im Stadtzentrum von Rio de Janeiro Dutzende Schnellfeuergewehre sicher. Es war der größte Waffenfund in der Geschichte Brasiliens.

Es gab noch einen dritten Verdächtigen: den Milizionär und Ex-Polizisten Adriano Nobrega. Nobrega selbst kann von den Ermittlern nicht mehr befragt werden. Er starb im Februar 2020 im Zuge eines Schusswechsels mit der Polizei in einer Kleinstadt im Bundesstaat Bahia. Ein Schlüsselzeuge verstummte so für immer.

In Brasilien gibt es einen Namen für das Phänomen, wenn wichtige Kronzeugen oder Schlüsselpersonen eines Verbrechens plötzlich und unerwartet, meist gewaltsam, aus dem Leben scheiden: Queima no arquivo – Brand im Archiv nennt man das, ein gängiges Muster. Ruhiger wurde es für die Bolsonaros deshalb aber nicht.

Justizminister schmiss hin

Präsident Jair Bolsonaro versuchte seine Söhne vor lästigen und auch gefährlichen Ermittlungen zu schützen. Im Frühjahr 2020 kündigte er an, den Chef der Bundespolizei gegen einen Vertrauten der Familie austauschen zu wollen. Die Ankündigung sorgte für eine veritable Regierungskrise.

Superminister Sérgio Moro, zuständig für Justiz, Innere Sicherheit und die Polizeien fühlte sich nicht nur übergangen. Er fürchtete durch diese Rochade auch um seinen guten Ruf. Moro hatte entscheidenden Anteil daran gehabt, die Korruptionsermittlungen Lava Jato zu einer Erfolgsstory zu machen.

Diese gipfelte in einer etwas fadenscheinigen Verurteilung von Ex-Präsident Luíz Inácio Lula da Silva im August 2020. Bis dahin hatte Lula im Präsidentschaftswahlkampf deutlich in Führung gelegen. Von Bolsonaro sprach zu jenem Zeitpunkt, wenige Monate vor der Wahl, kaum jemand.

Gewissermaßen als Dank, so Kritiker, machte Bolsonaro den Kult-Richter Moro zu seinem Superminister. Das Signal dahinter war deutlich: Die Personalie sollte den Ankündigungen Bolsonaros, endlich mit Korruption und Gewalt aufräumen zu wollen, Gewicht verleihen. Nach einem guten Jahr in der Regierung zog Moro die Reißleine und trat zurück. Es gilt nicht als ausgeschlossen, dass er 2022 als Kandidat in den Präsidentschaftswahlkampf ziehen wird.

Milizen als dubiose Ordnungsmacht in den Randgebieten Rios

Die Gewalt in Rio entsteht im Wesentlichen zwischen rivalisierenden Drogengangs einerseits sowie zwischen Drogengangs und Polizei. Eine dritte eher unsichtbare Kraft sind die sogenannten Milizen. Sie sind eine lose Gruppierung von aktiven Polizisten, die Polizeioperationen leaken oder wegschauen, oder gleich in die eigene Tasche wirtschaften. Sie bieten Schutz gegen Schutzgeld an, kontrollieren in manchen Gegenden das Geschäft mit den Gasflaschen oder versorgen auf Wunsch mit Kabelfernsehen, Strom oder Wasser – illegal versteht sich.

Milizen kontrollieren inzwischen laut einer Studie fast zwei Drittel der Vororte von Rio de Janeiro. Vor allem in der Ostzone, in der Municipalität Jacarepaguá, sind sie stark vertreten. Sie sind bei der Bevölkerung kaum besser gelitten als die Drogengangs, die sie diesen vom Leib halten.

Alle Verdächtige sind Mitglieder einer Miliz

Alle drei Verdächtigen waren oder sind Mitglieder einer Miliz. Die Bolsonaros haben früh den wachsenden Einfluss der Milizen, die es etwa seit den späten 1990er-Jahren gibt, wahrgenommen und sich immer wieder politisch für diese Gruppen stark gemacht.

Ihr Credo: Besser eine Miliz, die für Ordnung sorgt, als eine der Drogenbanden, fasst es Bruno Paes Manso in seinem kürzlich erschienenen Buch "República das milícias" zusammen. Diese dankten es ihnen, in dem sie zunächst für die Familie Wählerstimmen im großen Stil beschafften. Die Ostzone war eine der Hochburg Bolsonaros etwa im Präsidentschaftswahlkampf.

Ob es tatsächlich demnächst zur Verhandlung gegen Queiroz und Lessa kommen wird, ist fraglich. Die Verteidigung von Queiroz kündete bereits an, dass das aus ihrer Sicht kein fairer Prozess wäre.

Am Ende wären es ohnehin nur die ausführenden Personen, nicht jedoch die, die den Mord befohlen haben, denen der Prozess gemacht würde. So wie im Falle des Feuerwehrmannes Maxwell Simões Correa, der wegen Behinderung von Ermittlungen jüngst zu vier Jahren Haft verurteilt worden war. Die Frage, die zahlreiche Organisationen und linke Parteien wie die PSOL umtreibt – wer den Tod befahl – dürfte also weiterhin unbeantwortet bleiben.

Verwendete Quellen:

  • G1 Globo: "Advogado de Adriano Nóbrega diz que miliciano temia sofrer 'queima de arquivo'"
  • Metrópoles: "Caso Marielle: bombeiro pega 4 anos por atrapalhar investigações"




JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.