Bierland Deutschland – das scheint vorbei. Denn der Konsum von Bier fällt seit Jahrzehnten konstant. Auch 2023 setzte sich dieser Trend fort. Doch was sind die Gründe für den mangelnden Bierdurst der Deutschen? Und wie können die Brauereien aus der Krise finden?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Sven Weiss sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Die Deutschen trinken immer weniger Bier. 8,4 Milliarden Liter waren es 2023, wie das Statistische Bundesamt nun bekanntgab. Das sind 4,5 Prozent weniger als noch im Jahr davor. Damit setzt sich eine Entwicklung fort, die seit vielen Jahren zu beobachten ist.

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Zwar ist der Bierabsatz immer auch saisonabhängig. So war 2023 das Wetter oft durchwachsen. Zudem litt die Konsumlaune unter der hohen Inflation. Doch sieht man sich einen längeren Zeitraum an, ergibt sich ein eindeutiges Bild.

1980 lag der Bierverbrauch in Deutschland auf einem Höchstwert von 145,9 Litern pro Kopf. Seither geht dieser Wert konstant nach unten. Im Jahr 2000 ließen sich die Deutschen noch 125,6 Liter durch die Kehle rinnen. 2022 lag der Pro-Kopf-Konsum nur noch bei 91,8 Litern.

Bier bekommt zunehmend Konkurrenz – und hat ein massives Imageproblem

"Bier als Durstlöscher für alle – das war gestern", sagt Gunther Hirschfelder von der Universität Regensburg. Hirschfelder ist Professor für Vergleichende Kulturwissenschaft und hat unter anderem ein Buch zur Weltgeschichte des Bieres vorgelegt.

"In der modernen Lebensstilgesellschaft legen viel Wert auf einen individuellen Ernährungsstil", so Hirschfelder. Und der zeige sich eben auch in einer breiten Angebotspalette. Wo früher ganz selbstverständlich mit einem kühlen Blonden angestoßen wurde, steht der Gerstensaft heute in Konkurrenz zu Energy-Drinks, Mixgetränken, Säften, Smoothies, Cocktails oder anderem.

Zudem sieht Hirschfelder ein massives Imageproblem: "Es bleibt ja – das verrät schon die Werbung – das Getränk für nicht mehr ganz so junge Männer."

Einer der wichtigsten Gründe für die Bierabstinenz dürfte jedoch das gestiegene Gesundheitsbewusstsein sein. "Gesundheit steht heute hoch im Kurs. Dauernd überlegen wir, wie wir fitter werden und länger leben", so Hirschfelder. "Und dann das Thema Gewicht. Auch da bringt das Bier keine guten Argumente mit."

Ist der sinkende Bierkonsum ein Zeichen von kulturellem Wandel?

Die sinkende Kaufbereitschaft für Pils, Weizen & Co. scheint also beileibe nicht nur daran zu liegen, dass den Konsumenten der Durst ausgeht. Vielmehr lasse sich daran ein kultureller Wandel ablesen, erläutert Hirschfelder.

Dieser habe zum Sterben der traditionellen Wirtshauskultur geführt. Fernsehen, Computer und Fitness-Studio seien scharfe Konkurrenten. Und vor allem träfen viele ihre Freunde heute auf Social Media. Diese digitale Kommunikation führe ebenso wie die steigende Anzahl der Single-Haushalte zu einem neuen Freizeitverhalten – einem mit weniger Bier.

Ist für die Brauindustrie also Hopfen und Malz verloren? Auch Holger Eichele, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Brauer-Bundes (DBB), zeichnet ein teils düsteres Bild. In einer Pressemitteilung bezeichnete er 2023 gar als "rabenschwarzes Jahr für die deutsche Brauwirtschaft".

Trotz Krise: Zahl der Braustätten nimmt zu

"Die Braubranche leidet noch immer unter den herben Verlusten während der Corona-Krise, als Fassbier über Monate unverkäuflich war", sagt Eichele im Gespräch mit unserer Redaktion. Außerdem hielten sich viele Menschen wegen der steigenden Lebenshaltungskosten erkennbar mit Ausgaben im Handel und in Gaststätten zurück. Auch im Inlandstourismus hinterlasse die Konsumflaute ihre Spuren.

Auffällig ist, dass trotz Krise die Zahl der Braustätten zunimmt. Zählte man im Jahr 2014 noch 1.359 Brauereien, so stieg die Anzahl auf 1.552 im Jahr 2019. Als wesentlichen Faktor hierfür nennt Eichele die von den USA ausgehende Craftbier-Bewegung. Doch die Pandemie beendete auch diese Entwicklung. "Über viele Jahre war der Begriff Brauereisterben in Deutschland ausgestorben", so Eichele, "nun erleben wir leider eine bedenkliche Trendwende."

Trotz allem liegt in der Erweiterung der Angebotspalette – etwa mit Craftbeer – eine Hoffnung für die Industrie. "Die Verbraucherinnen und Verbraucher wünschen sich mehr Vielfalt – und die bekommen sie auch", sagt Holger Eichele. Dazu gehören auch alkoholfreie Biere.

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Liegt die Zukunft der Branche bei den Alkoholfreien – oder in China?

Denn im Gegensatz zum rückläufigen Gesamttrend boomen die Alkoholfreien. Seit 2007 hat sich die Produktion mehr als verdoppelt – auf gut 670 Millionen Liter im Jahr 2022. "Kein anderes Segment in der Brauwirtschaft hat in den letzten zehn Jahren so stark zugelegt wie alkoholfreie Biere und alkoholfreie Biermischgetränke", erläutert Eichele.

Die Industrie erhofft sich, mit den Alkoholfreien neue Verbraucherschichten zu erschließen. Der kulturelle Wandel setzt sich also fort – auf die eine oder andere Weise.

Den Status als Biernation Nr. 1 hat Deutschland längst verloren. "Tschechien, Österreich und Polen haben uns überholt, Rumänien, Bulgarien und Kroatien sind uns dicht auf den Fersen", sagt Gunther Hirschfelder. Wahrscheinlich entscheidet sich die Zukunft des Bieres jedoch auf ganz anderen Märkten. "In bevölkerungsreichen Schwellenländern wie China, Thailand und Brasilien steigt der Konsum kontinuierlich", so Hirschfelder, "auch große Länder wie Nigeria legen jetzt los."

Gut möglich, dass man also in China oder Nigeria immer öfter ein herzhaftes "Prost" zu hören bekommt.

Über die Gesprächspartner

  • Prof. Dr. Gunther Hirschfelder ist Professor für Vergleichende Kulturwissenschaft an der Universität Regensburg. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf der kulturwissenschaftlichen Ernährungs- und Agrarforschung in historischer sowie gegenwärtiger Perspektive. 2022 erschien sein Buch 'Bier. Die ersten 13000 Jahre'.
  • Holger Eichele ist Hauptgeschäftsführer des Deutschen Brauer-Bundes e. V. in Berlin.

Verwendete Quellen

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