• Nach dem Auftauchen von Hirnvenenthrombosen und Todesfällen in Zusammenhang mit der Impfung von Astrazeneca sind viele Menschen verunsichert.
  • Dennoch gilt die Impfung möglichst vieler als Weg aus der Pandemie.
  • Wie die Risiken einzuordnen sind.

Mehr aktuelle Informationen zum Coronavirus finden Sie hier

Es gab und gibt es viele Diskussionen um den Vektor-Impfstoff Vaxzevria von Astrazeneca. Erst ließen die vereinbarten Lieferungen des Unternehmens auf sich warten. Dann tauchten nach der Impfung zwar vereinzelt, aber doch Fälle von gefährlichen Hirnvenenthrombosen kurz nach der Impfung auf. Sie betrafen besonders Frauen unter 60 Jahren.

In der Folge wurde die Verabreichung des Vakzins in Deutschland erst ausgesetzt und dann wieder aufgenommen - mit der Einschränkung, dass Vaxzevria für Menschen über 60 empfohlen wird. Doch auch Jüngere können sich nach einer ausführlichen Aufklärung damit impfen lassen.

Andere europäische Länder haben einen anderen Weg eingeschlagen: So wird in Österreich weitergeimpft, während Norwegen und Dänemark die Impfung mit Astrazeneca komplett ausgesetzt haben. In der Schweiz ist der Impfstoff noch nicht zugelassen.

Durch diese Entwicklungen ist die Verwirrung selbst unter Impfwilligen groß. Wichtig ist es deshalb zu klären, wie hoch das Risiko einer solchen gefährlichen Komplikation im Vergleich zu einer Infektion mit SARS-CoV-2 ist.

"Bei Astrazeneca gab es in der Tat Thrombosefälle, die als schwerwiegend zu bezeichnen sind", sagt Markus Scholz vom Institut für medizinische Informatik an der Universität Leipzig. "Diese Komplikation ist aber extrem selten und trat nur in circa einer von 100.000 Impfungen auf, also in 0,001 Prozent der Fälle." Es sei davon auszugehen, dass auch die anderen Vektor-Impfungen wie Janssen von Johnson & Johnson sowie Sputnik diese sehr seltene Komplikation aufweisen, so Scholz.

Noch geringeres Risiko bei mRNA Impfstoffen

Tatsächlich zeigten sich in den USA bisher sechs Fälle von Sinusvenenthrombosen in Verbindung mit dem Impfstoff von Johnson & Johnson, wie die Virologin Sandra Ciesek im NDR-Podcast Coronavirus-Update berichtete. "Sechs Frauen auf sieben Millionen Impfungen ist ein Risiko von eins zu 1,16 Millionen ungefähr", so die Wissenschaftlerin.

Das klingt erst einmal sehr wenig. "Aber wenn man jetzt in der Altersgruppe schaut, die waren alle zwischen 18 und 48. Dann sind es weniger Impfdosen. Also 1,4 Millionen, das entspricht dann einem Risiko von eins zu 230.000", so Ciesek.

Aber: Nach 180 Millionen mRNA-Impfstoffdosen wie denen von Biontech/Pfizer oder Moderna sei gar kein solcher Fall aufgetreten. Somit scheint von den mRNA-Impfstoffen ein geringeres Risiko für solche gefährlichen Nebenwirkungen auszugehen. So gesehen ist die Empfehlung sinnvoll, bei unter 60-Jährigen die Zweitimpfung mit Vaxzevria durch eine solche mittels mRNA-Impfstoff zu ersetzen.

Auch bei Vektor-Impfstoffen überwiegt der Nutzen die Risiken

Doch auch bei Vektor-Impfstoffen sollte man sich klar machen, was die Impfung nutzt. "Dem gegenüber steht das Risiko an COVID-19 zu versterben oder Langzeitfolgen zu erleiden", betont Wissenschaftler Scholz. "Bei einer Infektion beträgt das Mortalitätsrisiko bei 80-Jährigen etwa zehn Prozent, bei 60-Jährigen etwa ein Prozent und bei 40-Jährigen etwa 0,1 Prozent. Es ist also selbst in der jüngeren Altersgruppe noch etwa 100-mal höher als das Komplikationsrisiko durch eine Impfung mit Astrazeneca."

Bei der Abwägung müsse man berücksichtigen, dass bei einer Rückkehr zur Normalität früher oder später jeder Kontakt mit dem Virus haben werde, so Scholz.

Pandemie: Veranstalter erwarten mit EU-Corona-Pass Reiseboom

Seit Monaten sind die meisten Urlaubsziele wegen der Corona-Pandemie unerreichbar. Die Tourismusbranche leidet. Mit Fortschritten bei den Impfungen und der Aussicht auf den EU-Corona-Pass hellen sich die Perspektiven auf. (Teaserbild: picture alliance/ANE/Eurokinissi)

Astrazeneca: Risiko für junge Menschen größer

Anhand dieser Überlegungen wird deutlich, dass vor allem bei älteren Menschen die Risikoabwägung klar zugunsten der Impfung ausfällt. "Sehr junge Menschen haben dagegen ein ganz geringes COVID-19-Sterblichkeitsrisiko, sodass die Komplikationen hier stärker ins Gewicht fallen", so Scholz.

Das geht auch aus Modellrechnungen der Universität Cambridge hervor. Die Wissenschaftler betrachteten potenzielle Vorteile und Schäden der Impfung mit Vaxzevria unter Berücksichtigung des Infektionsgeschehens und dem Alter der zu impfenden Personengruppe. In fast allen Altersgruppen überwog der Schutz vor einer möglichen Infektion das Risiko der Impfung. Einzig in der Gruppe der 20- bis 29-Jährigen bei niedrigem Infektionsgeschehen war es umgekehrt.

Vektor-Impfstoff Vaxzevria: Autounfall wahrscheinlicher als schwere Impfkomplikation

Ist eine Impfung mit Vaxzevria gegen COVID-19 also weniger riskant als ein Skiurlaub oder die tägliche Fahrt zur Arbeit? "Man kann das Risiko mit anderen Risiken vergleichen, muss dann aber die gesamte Lebenszeit mit einbeziehen", ordnet Scholz den Zusammenhang ein.

So sei das Lebenszeitrisiko, durch einen Autounfall zu sterben mit 0,3 Prozent ungefähr 300-mal größer als das, eine schwere Impfnebenwirkung durch Astrazeneca zu erleiden. Sinnvoller sei es jedoch, das Sterblichkeitsrisiko durch COVID-19 mit dem Risiko einer Impfkomplikation zu vergleichen.

Das Paul-Ehrlich-Institut als Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel bezeichnet Vaxzevria als "sicher und wirksam". Damit folgt es der Sicherheitsbewertung durch die europäische Arzneimittelagentur EMA, die dem Impfstoff gegen COVID-19 ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis zuschrieb.

Langzeitfolgen von Impfungen gegen COVID-19 bislang unerforscht

Generell gilt jedoch, dass die Langzeitfolgen aller im Rahmen der Pandemie entwickelten Impfstoffe gegen COVID-19 bislang nicht erforscht sind. Geimpfte können Impfreaktionen und Nebenwirkungen über die App SafeVac oder direkt an das Paul-Ehrlich-Institut bzw. die jeweils zuständigen nationalen Behörden melden. Anhand dieser Daten kann dann auch die Verträglichkeit der Impfstoffe langfristig dokumentiert und analysiert werden.

Über den Experten:
Prof. Dr. Martin Scholz ist Epidemiologe. Er arbeitet am Institut für Medizinische Informatik, Statistik und Epidemiologie (IMISE) an der Universität Leipzig. Er modelliert mögliche Szenarien für die Weiterentwicklung der Corona-Pandemie.

Verwendete Quellen:

  • Schriftliche Antworten von Prof. Dr. Martin Scholz.
  • NDR Info. Podcast Coronavirus Update. Folge 85. Risiken und Nebenwirkungen.
  • Universität Cambridge. Communicating the potential benefits and harms of the Astra-Zeneca COVID-19 vaccine.
  • Paul-Ehrlich-Institut: COVID-19-Impfstoff Astrazeneca. Ergebnis der Sicherheitsbewertung: Der Impfstoff ist sicher und wirksam im Kampf gegen COVID-19.
  • CO­VID-19-Impf­stoff Va­x­ze­vria (Astra­Zene­ca) – mög­li­cher Zu­sam­men­hang mit sehr sel­te­nen Fäl­len von un­ge­wöhn­li­chen Blut­ge­rinn­seln in Kom­bi­na­ti­on mit ei­ner er­nied­rig­ten An­zahl von Blut­plätt­chen.
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.