Hetztiraden gegen Flüchtlinge, Politiker oder Andersdenkende nehmen im Internet zu. Woher kommt der Hass? Wo bleibt der Anstand? Entwickelt sich das Internet zum asozialen Medium? Eine Expertin spricht über das Massenphänomen, sogenanntes "Counter Speech" und die Verantwortung von Facebook.

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Deutschland hat ein Problem. Bei dieser Feststellung werden tagtäglich die Ärmel hochgekrempelt, Meinungen in die Tastatur gehackt, um diese ad hoc über soziale Medien im Internet zu verbreiten. Die vielen Flüchtlinge, unfähige Politiker, die Lügenpresse – die vermeintlichen Probleme dieses Landes sind schnell ausgemacht.

Also raus mit der Wut und den Hasskommentaren. Je beleidigender, desto "besser". Dafür gibt es nämlich mehr Likes. Für Hass und Hetze gibt es im Internet sehr viel Platz, weil Moral und Anstand verdrängt werden.

Gerade im Zuge der Flüchtlingskrise sei ein deutlicher Anstieg an Mitteilungen über problematische und teilweise auch strafrechtlich relevante Internetinhalte zu verzeichnen, erklärt Constanze Spitzweck, Polizeisprecherin des Polizeipräsidiums München auf unsere Nachfrage.

Zunahme von rassistischen Kommentaren

Auch die Kommission für Jugendmedienschutz verzeichnet eine Zunahme an rassistischen und hetzerischen Äußerungen im Internet. Woher kommt dieser Hass im Netz?

Professorin Dr. Caja Thimm von der Universität Bonn beschäftigt sich mit dem Internetphänomen. Bei den Frankfurter Mediengesprächen, veranstaltet von der Friedrich-Ebert-Stiftung, geht die Expertin mit dem Forschungsschwerpunkt Onlinekommunikation insbesondere im Bereich Social Media auf die aktuelle Situation ein.

Gibt es Hasskommentare, seitdem es die sozialen Medien gibt? "Hass im Netz gibt es schon von Anbeginn des Internets, man denke nur an Webseiten wie die "Hass Seiten", auf denen gegen Ex-Freunde oder (Ex-) Kollegen gehetzt wird. Aber die sozialen Netzwerke bieten jetzt ganz neuen Raum für Hetze und Polemik", erklärt Thimm im Gespräch mit unserer Redaktion.

Aufgeheizte Stimmung im Internet

Als Medientheoretikerin fragt sie sich seit einiger Zeit, was im Netz passiert ist und wie es zu diesem Phänomen gekommen ist. Eine klare Antwort haben sie und ihre Kollegen in der Branche bisher nicht gefunden. Sicher spielten verschiedene Faktoren eine Rolle: Bewegungen wie die AfD oder Pegida würden die Debatten im Netz anheizen und am Laufen halten.

"Es ist kein isoliertes Verhalten – vielmehr entstehen echte Hass-Communities, die sich im Netz besonders hervortun", so die Expertin. Auch die Strategie des Mashup, beispielsweise die Verunstaltung eines Pressefotos und Verwendung in einem anderen Zusammenhang, spielten eine Rolle, um extreme Positionen zu vertreten und zu visualisieren.

Dann ist da natürlich noch der einzelne Nutzer: Der im Gefühl der Anonymität in seinen eigenen vier Wänden seinen Gedanken freien Lauf lassen kann. "Die Person fühlt sich befreit und bekommt noch soziale Streicheleinheiten", erklärt die Expertin. "Je extremer der Post, desto auffälliger. Diese Aufmerksamkeit ist für viele ein tolles Erlebnis."


Entwickelt sich das Internet zum asozialen Netz? Caja Thimm verneint. "Der Eindruck täuscht." Trotz aller Hasskommentare gebe es immer noch mehr Gutes als Schlechtes. Dennoch sei es wichtig, dass dieses Thema Gewicht bekomme. "Wir müssen begreifen, dass das Netz zum Massenmedium geworden ist und für alle vielfältige Partizipationsoptionen zur Verfügung stellt.

Wir müssen daher auch die Debatte führen, welches Verständnis wir vom Internet haben und was für ein Internet wir wollen", so Thimm. Nur so können wir eine Form der demokratischen Selbstkotrolle finden."

Facebook muss endlich umdenken

Und natürlich seien auch Facebook und Co in dieser Debatte gefragt. Bisher berufen sich die sozialen Medien gerne darauf, dass sie private Unternehmen sind. Caja Thimm betont, dass besonders Facebook hier umdenken muss. "Facebook ist zum Ort öffentlicher Diskurse geworden, damit geht eine neue Verantwortung einher."

Die Professorin wünscht sich eine neue Form der Diskussion im Netz und verweist auf den Begriff "Counter Speech", also Rede und Gegenrede. Hierbei geht es darum, Hasskommentaren möglichst rational und mit guten Argumenten entgegen zu treten und so eine lebendige und kritische digitale Öffentlichkeit zu schaffen.

Wann die Polizei einschalten?

Doch was ist, wenn die Schmerzgrenze überschritten wird? Kann oder sollte man bei bestimmten Kommentaren die Polizei einschalten?

Diese Frage lässt sich pauschal nicht beantworten. "Sofern es sich um absolute Antragsdelikte, wie Beleidigungen handelt, ist eine Anzeigenerstattung nur zielführend, wenn ein Strafverfolgungsinteresse besteht und durch den Geschädigten ein Strafantrag gestellt wird.

Eine Strafverfolgung ist andernfalls rechtlich gar nicht möglich", heißt es seitens der Pressestelle des Polizeipräsidiums München. Bei Bedrohungen, Volksverhetzungen und der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen könnten auch Unbeteiligte die Polizei verständigen. Rechtlich verpflichtet sei dazu aber niemand.

Eine Anzeige via Facebook oder Twitter zu erstatten, empfiehlt die Polizei nicht. "Gerade bei der öffentlichen Mitteilung von Propagandadelikten wird sich der Mitteiler hierbei regelmäßig selbst strafbar machen."

Eine Anzeigenerstattung sollte daher in jedem Fall persönlich bei einer beliebigen Polizeidienststelle erfolgen, wo auch die Tatbestandsmäßigkeit vorab geprüft wird", informiert die Münchner Polizeisprecherin Spitzweck.

Was dann mit der Anzeige passiert, hängt vom Einzelfall ab. Steht ein strafbares Handeln im Raum, wird der zuständige Sachbearbeiter versuchen, den Urheber des Hasskommentars zu ermitteln. Nach Abschluss der Ermittlungen wird die Anzeige der Staatsanwaltschaft zur weiteren Entscheidung vorgelegt.

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