• Der Krieg in der Ukraine treibt die Kosten beim Tanken stetig in die Höhe.
  • Stefan Gössling erklärt im Interview, wie der Energieverbrauch zügig gedrosselt werden kann und warum die Verkehrswende jetzt mehr Tempo braucht.
Ein Interview

Herr Gössling, die Treibstoffpreise steigen aufgrund der Invasion in der Ukraine momentan immens. Wie kann der Einzelne seinen Energieverbrauch beim Autofahren reduzieren?

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Stefan Gössling: Autofahrer können Treibstoff sparen, indem sie auf der Autobahn nicht schneller als 130 km/h fahren. Wer 130 km/h fährt, spart Sprit. Dabei hat das Umweltbundesamt (UBA) berechnet, dass mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf 130 km/h jährlich ungefähr 2,2 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden. Das entspricht etwa 0.7 Millionen Tonnen Treibstoff.

Ist das nicht relativ wenig?

Über zehn Jahre gerechnet wären das immerhin 150 Liter Treibstoff pro Auto in Deutschland. Die Maßnahme könnte auch durch Tempo 80 auf Landstraßen und Tempo 30 in den Städten ergänzt werden.

Dann wäre ein Tempolimit im Grunde ein weiteres Werkzeug im Handwerkskasten der Sanktionen gegen Russland?

Genau. Das Bedürfnis in der Bevölkerung ist groß, etwas gegen diesen Krieg zu unternehmen. Weniger Öl zu verbrauchen, und damit die Abhängigkeit von Russland zu reduzieren, ist ein wichtiger Aspekt. Zudem wäre die Umsetzung einfach. Die Mehrheit der Bevölkerung steht hinter einem Tempolimit, wie verschiedene Studien zeigen. Mit diesem Schritt würde Deutschland ein Signal in die Welt senden.

Mit welcher Botschaft?

Wenn die Autonation Deutschland jetzt ein Tempolimit einführt, würde sie damit demonstrieren, wie weit die Menschen und die Politik bereit sind für den Frieden zu gehen. Schließlich war das Tempolimit über Jahrzehnte gewissermaßen sakrosankt für die deutsche Politik.

Manche Autoliebhaberinnen und -liebhaber pochen auf ihr Recht, auf Autobahnen schnell zu fahren, weil sie damit Spaß oder ihr persönliches Freiheitsempfinden verbinden. Gibt es außer diesen persönlichen Motiven ein Argument fürs Fahren über 130 km/h?

Nein. Das Argument, ich muss aus Zeitgründen rasen, ist auch nicht plausibel. Wer es eilig hat, sollte auf Zug und Taxi umsteigen. Da ist man zwischen den Großstädten mindestens genauso schnell und wer pendelt, kann im Zug sogar noch arbeiten.

In den 70er Jahren gab es im Rahmen der Ölpreiskrise autofreie Sonntage. Wie groß sind die tatsächlichen Einsparungen und machen autofreie Sonntage aus Ihrer Sicht Sinn?

Bestenfalls betragen die Einsparungen 1/365. Aber sie werden eher niedriger ausfallen, weil sicherlich Kompensationseffekte eintreten werden, da die Menschen geplante Fahrten vorziehen oder nachholen. Dennoch finde ich einen oder zwei autofreie Sonntage wichtig. Maßnahmen wie diese haben eine große Symbolkraft und können Debatten über das vorherrschende Verkehrssystem anstoßen.

"Nicht mehr mit dem Auto zur Post zu fahren"

Unser autozentriertes Verkehrssystem und die Mobilitätswende werden seit Langem ausgiebig diskutiert. Welcher Aspekt fehlt Ihnen?

Der Punkt "Energiesparen im Autoverkehr". Momentan stecken wir in einer Sackgasse. Seit Jahrzehnten will die Bundesregierung die Emissionen aus dem Verkehr senken. Dazu braucht es eine Debatte über den Einfluss der immer größeren Masse und Motorisierung der Wagen auf den Verbrauch. Das war bislang ein politisches Tabu.

Wie könnte der Energieverbrauch in der Automobilität jetzt sofort gesenkt werden?

Indem wir Autofahrten vermeiden und nicht mehr mit dem Auto zur Post zu fahren. Das klingt banal, aber selbst für ein bis zwei Kilometer lange Strecken nehmen 53 Prozent der Deutschen den Wagen. Bei fünf Kilometer sind es sogar 65 Prozent. Dabei sind diese Strecken ideale Fahrraddistanzen. Aber es geht auch um so profane Dinge, wie den Motor abzustellen, wenn man am Fahrbahnrand seinen Wagen abstellt, um zum Bäcker zu gehen. Arbeitgeber könnten dazu aufrufen, Fahrgemeinschaften zu bilden. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, jetzt ein Energiebewusstsein zu schaffen. Wir können nicht länger so tun, als wäre immer jemand anderes verantwortlich für Fehlentwicklungen. Jeder Einzelne ist Teil des Problems – und dessen Lösung.

Sollten wir in der aktuellen politischen Situation vielleicht sogar noch viel grundsätzlicher abspecken beim Autoverkehr?

Nicht nur dann. Wir müssen uns die Frage stellen: Wohin entwickelt sich unser Verkehrssystem? Momentan akzeptieren wir, dass jedes Jahr etwa eine Million neue Autos netto auf die Straße kommen. Das ist 70er-Jahre-Denken. Dahinter steckt die Idee, dass Wachstum kein Ende hat. Aber jedem muss klar sein, dass wir mit dieser Einstellung an Grenzen stoßen. Die rund 48 Millionen Kraftfahrzeuge, die es momentan in Deutschland gibt, verbrauchen mehr Platz als die 37 Millionen, die hier vor 30 Jahren unterwegs waren und die SUVs deutlich mehr Raum als die Autos der 1990er Jahre. Wir haben keine Visionen, wie das Verkehrssystem in 20 Jahren aussehen soll. Ein Großteil der Bevölkerung würde aber vermutlich ein Land vorziehen, das nicht bis in die letzte Ecke mit Fahrzeugen vollgestopft ist.

Bislang wurde niemand persönlich gefragt, ob es in Ordnung ist, dass der Fahrzeugbestand jedes Jahr wächst. Wer sollte diese Diskussion anstoßen?

Es ist eine gesamtgesellschaftliche Diskussion. Diese Fragen muss sowohl die Industrie beantworten, sowie die Leute, die die Autos fahren, aber auch die Städte. Wenn alles so bleiben soll wie bisher, dann müssen wir entscheiden, wo wir diese Autos fahren und unterbringen wollen. Die Städte bersten bereits heute. Aber wir können auch eine Trendwende beobachten. Städte wie Freiburg und Tübingen haben ihre Anwohnerparkgebühren erhöht. In Tübingen müssen Anwohner bald bis zu 180 Euro pro Jahr fürs Parken vor der Haustür zahlen und in Freiburg bis zu 480 Euro. Außerdem sind die Preise erstmals auch an die Fahrzeuggröße gekoppelt. Das ist ein Anfang.

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"Der massive Anstieg der Energiekosten erhöht den Druck auf die Menschen."

Der Umstieg auf nachhaltigere Fahrzeuge ist vielerorts momentan gar nicht so einfach, weil die Infrastruktur fehlt. Wo sehen Sie Potenzial?

Wir haben eine Vielzahl an Möglichkeiten. Den Ausbau des Rad-, Bus- und Bahnverkehrs, den Umbau zur Stadt der kurzen Wege, Car- und Ridesharing, demnächst autonome Mobilitätsdienstleistungen. Deutschland hat den Ausbau nachhaltiger Verkehrskonzepte jahrzehntelang verzögert, zugunsten der Industrie. Wir sehen aber in Städten wie Paris, Kopenhagen, Rotterdam oder auch Brüssel, was alles möglich ist und was vor allem auch kurzfristig umsetzbar ist. Wir sollten unsere Verkehrssysteme jetzt neu denken und dürfen dabei eines nicht vergessen: Der Wandel von autozentrierten hin zu menschenfreundlicheren Systemen hält eine Vielzahl von Vorteilen für uns alle bereit. In der Stadt der kurzen Wege sind Radfahrer und Fußgänger sicherer unterwegs. Dieses Stadt- und Verkehrskonzept spart Geld und Energie, ermöglicht gesellschaftliche Teilhabe und verbessert die Lebensqualität der Stadtbewohner.

Das klingt gut. Aber Geringverdiener, die momentan auf ihr Auto angewiesen sind, werden von den stetig steigenden Energiepreisen hart getroffen. Welche Alternativen haben sie?

Gerade diese Menschen brauchen die beschriebenen Alternativen, und zwar möglichst schnell. Ich sage es deutlich: Wir sitzen auf einer Zeitbombe. Der massive Anstieg der Energiekosten erhöht den Druck auf die Menschen, die bereits jetzt mit den steigenden Lebenshaltungskosten kämpfen. Sie könnten schnell das Gefühl bekommen, ihnen werde aufgrund der steigenden Energiepreise das Auto weggenommen. Sie brauchen klimafreundliche, praktikable und bezahlbare Alternativen zum eigenen Pkw. Schafft die Politik sie nicht, kann es sein, dass diese Menschen sich gegen Klimaschutzmaßnahmen organisieren. Das erhöht den Druck auf die Politik. Deshalb sollte die Mobilitätswende jetzt zügig umgesetzt werden, es öffnet sich gerade ein Fenster der Möglichkeiten.

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Dieser Beitrag stammt vom Journalismusportal RiffReporter. Auf riffreporter.de berichten rund 100 unabhängige JournalistInnen gemeinsam zu Aktuellem und Hintergründen. Die RiffReporter wurden für ihr Angebot mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet.

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