Microsoft in Japan hat den Test gewagt: Vier Tage arbeiteten die 2.300 Angestellten des Technologiekonzerns, dann hatten sie drei Tage Wochenende – und das bei vollem Gehalt. Kann das Modell ein Vorbild für den deutschen Arbeitsmarkt sein? Prof. Dr. Enzo Weber erklärt im Interview, warum und an welchen Stellen wir unsere Arbeitswelt völlig neu denken müssen.

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Herr Weber, das Experiment von Microsoft an seinen japanischen Standorten war erfolgreich, es soll sogar wiederholt werden. Das Unternehmen maß eine Leistungssteigerung von 40 Prozent pro Mitarbeiter. Sollte das Modell flächendeckend ein Vorbild sein?

Prof. Dr. Weber: Nein, das denke ich nicht. Es ist nicht der Fall, dass die Produktivität von Arbeitnehmern bereits bei fünf Tagen Arbeit gravierend abbaut. Die meisten können es gesundheitlich auch problemlos verkraften, fünf Tage in der Woche zu arbeiten. Was wir flächendeckend brauchen, ist etwas anderes: Die Möglichkeit, dass Menschen für eine Vier-Tage-Woche optieren könnten.

In gewisser Weise haben wir das in Deutschland mit dem Recht auf Teilzeit aber schon. Jeder Arbeitnehmer kann auf 80 Prozent gehen, es sei denn, der Arbeitgeber kann gravierende betriebliche Gründe dagegen aufführen. Wer will, kann sich theoretisch dazu entscheiden, die 80 Prozent Arbeit von montags bis donnerstags zu leisten. Natürlich kommt es auf den konkreten Betriebsablauf und die Branche an. Nicht immer ist ein solches Modell praktikabel.

Sie sagen, wir können eine Fünf-Tage-Woche gut verkraften. Wie viele Stunden pro Tag Arbeit wären aus wissenschaftlicher Sicht sinnvoll?

Eine pauschale und gleichförmige Antwort gibt es nicht. Wichtiger ist: Jeder sollte die Arbeitszeit bekommen können, die er haben möchte. Es gibt große Unterschiede zwischen den einzelnen Menschen, manche bauen nach sechs Stunden in ihrer Produktivität bereits ab und wünschen sich, ihren Stundenumfang zu reduzieren, andere möchten eine 39-Stunden-Woche beibehalten.

Bei diesem Umfang ist es in der Regel noch nicht der Fall, dass die Produktivität deutlich zu sinken beginnt und die Gesundheit Schaden nimmt. Wenn es deutlich darüber hinausgeht, zeigen Studienergebnisse aber, dass psychische Erkrankungen und Herz-Kreislauf-Krankheiten zunehmen.

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Ein erheblicher Teil möchte seine Arbeitszeit reduzieren

Das Experiment von Microsoft lässt sich also nicht verallgemeinern?

Nein, Pauschalisierungen sind hier nicht zielführend. Es ist auch nicht das erste Experiment dieser Art, man hört immer mal wieder, dass einzelne Firmen so etwas eingeführt haben. Es gibt keinen Grund zur Annahme, dass wir ein solches Modell flächendeckend brauchen.

Wir haben umfangreiche Studien dazu, wie lange Menschen arbeiten möchten. Sie zeigen zwar, dass ein erheblicher Teil reduzieren möchte, denn oftmals bleibt es nicht bei den 39 Stunden und Überstunden kommen hinzu. Das heißt aber nicht, dass sie gleich auf 80 Prozent gehen wollen. Und viele andere wollen eben auch nicht reduzieren.

Vermutlich, weil sie nicht an Gehalt einbüßen wollen, oder? Microsoft zahlte aber weiterhin das volle Gehalt der vorherigen fünf Tage Woche.

Richtig, dann steckt aber etwas anderes dahinter, nämlich eine Lohnerhöhung. Eine Vier-Tage-Woche bei vollem Gehalt bedeutet eine faktische Lohnerhöhung von 25 Prozent. Es ist völlig unrealistisch, dass Betriebe das auf voller Breite in Deutschland leisten könnten.

Das heißt, ein Vier-Tage-Modell in unserem wirtschaftlichen Umfeld würde überhaupt nicht funktionieren?

Vier-Tage-Wochen schon, aber nicht Vier-Tage-Wochen mit vollem Gehalt. Wir hatten in Deutschland einst eine Sechs-Tage-Woche, in der nur der Sonntag frei war. Dann ist daraus eine Fünf-Tage-Woche geworden und die Welt ist auch nicht zusammengebrochen. Man muss sich aber dessen bewusst sein, dass man in vier Tagen weniger Leistung erbringt als in fünf Tagen. Man sollte nicht glauben, dass wir in Deutschland mit einer Vier-Tage-Woche am Ende dasselbe Bruttoinlandsprodukt hätten wie mit fünf Tagen.

Sparen konnte die Firma aber durch das Experiment an anderer Stelle: Weil die Mitarbeiter weniger im Büro saßen, sanken die Energiekosten um ein knappes Viertel. Ist das nicht ein Argument für das Modell?

Daran gemessen wäre es das beste Modell, gar nicht mehr zu arbeiten. Die Arbeitszeit sollten Sie an den Wünschen Ihrer Beschäftigten orientieren, nicht an Energiekosten.

Also kann alles so bleiben, wie es ist?

Nein, es gibt genug Gründe, warum unsere Arbeitswelt an anderen Stellen flexibler werden muss. Das bedeutet: Nicht an der einmal festgemachten Vollzeit hängen bleiben, sondern vorübergehende Reduzierungen ermöglichen. Flexibel und individuell, nicht per Dekret für Alle.

Arbeitszeiten sollten flexibler werden

Welche Gründe sind das?

Die Lebensmodelle in unserer Gesellschaft haben sich grundlegend verändert. Sie machen es nötig, Arbeitszeiten flexibler anzupassen und die Arbeit über den gesamten Lebensverlauf anders zu strukturieren. Beispielsweise sind Haushaltsmodelle, in denen der Mann zu 100 Prozent arbeitet und die Frauen zu Hause bleiben, gänzlich überholt.

Außerdem sind die Erwerbsphasen deutlich länger geworden und Anforderungen ändern sich ständig. Eine einmalige Ausbildung reicht deshalb nicht mehr ein Leben lang. Der Weiterbildungsbedarf ist enorm – dafür braucht es Zeit, auch in der Mitte des Erwerbslebens. Gleichzeitig haben Trends auf der Produktionsseite einiges in Bewegung gesetzt: Digitalisierung ermöglicht es mehr und mehr, orts- und zeitungebunden zu arbeiten – Standard-Arbeitszeitmodelle werden nicht mehr die Norm bleiben.

Was muss sich konkret in Deutschland ändern?

Hier sind Politik, Arbeitgeber und Arbeitnehmer gefragt. Einiges ist schon passiert: Wir haben ein Recht auf Teilzeit und ein Recht auf eine vorübergehende Teilzeit. Das müssen wir nun weiterentwickeln zu einem echten Recht auf Rückkehr in Vollzeit.

Sonst droht die Teilzeitfalle mit Verlusten für alle Seiten: einmal in Teilzeit, immer in Teilzeit. Aktuell ist es so, dass ein Arbeitnehmer, bevor er in Teilzeit geht, vorab sagen muss, für wie lange er auf wie viel Prozent gehen möchte. Nach dieser Phase ist man ein Jahr lang für weitere Änderungen quasi gesperrt.

Das soll die Arbeitgeber davor schützen, dass jeder Arbeitnehmer ständig etwas ändern möchte. Für Arbeitnehmer, die zum Beispiel gerade eine Familie gegründet haben, ist das aber unpraktikabel – sie können unter Umständen noch gar nicht absehen, wo sie in drei Jahren stehen.

Was muss sich noch ändern?

Weiterhin muss sich unsere Kultur dahingehend ändern, dass wir ein anderes Führungsbild und ein anderes Verständnis von Karriere und Verantwortung bekommen. Auch Führungskräften muss Flexibilität ermöglicht werden, ohne, dass direkt der Karriereknick kommt.

Wir brauchen zudem Möglichkeiten für einen gleitenden Ausstieg aus dem Erwerbsleben, dann können wir auch längere und gesunde Erwerbstätigkeit ermöglichen. Letztlich muss auch die Kinderbetreuung in ihrer Flexibilität verbessert werden. Sie ist ein wichtiger Faktor für Erwerbstätigkeit gerade von Frauen.

Frauen sind beim Berufseinstieg im Durchschnitt besser ausgebildet

Welche Vorteile hätten solche Änderungen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber?

Arbeitnehmer könnten somit die Arbeitszeit bekommen, die sie in der jeweiligen Lebensphase brauchen. Mehr Souveränität über ihre Zeiteinteilung steigert dann auch Zufriedenheit und Motivation, was wiederum dem Arbeitgeber zugutekommt.

Bislang ist es meist so, dass Frauen bei Familiengründung reduzieren oder aussteigen und oftmals nicht in Vollzeit zurückkehren. Wenn es so wäre, dass auch die Männer hier flexibler wären, um sich die Pflichten zu teilen, könnten wir mehr Frauen nachhaltiger und produktiver im Arbeitsmarkt halten.

Ein großer Gewinn an Potenzial, denn Frauen sind im Durchschnitt besser ausgebildet, wenn sie auf den Arbeitsmarkt gehen. Sie weiterhin auf das Teilzeitgleis abzuschieben, kann sich unsere Wirtschaft auf Dauer nicht leisten.

Zum Experiment von Microsoft gehören weitere Änderungen der internen Firmenabläufe: Konferenzen beschränkten sich auf 30 Minuten und wurden vermehrt im Videoformat durchgeführt. Wie hoch ist wohl das Zeit-Einsparpotenzial und wo ließe sich Zeit flächendeckend sparen – damit könnte man ja auch gegen Überstunden vorgehen?

Konferenzen ufern zeitlich in der Tat oft aus. Regeln, um hier mehr Zug reinzubringen, können da helfen. Man sollte sich aber bewusst sein, dass Videokonferenzen auch ihre Nachteile haben. Wenn man Arbeitsabläufe immer auf den minimalen Einsatz von Zeit trimmt, geht informelle Kommunikation verloren, die durchaus wertvoll sein kann.

Wagen Sie einen Blick in die Zukunft: Wie arbeiten wir in ein paar Jahrzehnten?

Sicherlich noch digitaler und dezentraler. Die Digitalisierung macht neue Arbeitsmodelle möglich. Gleichzeitig erfordert sie neue Kompetenzen und Qualifikationen, dazu gehören Kommunikationsfähigkeit, Abstraktionsvermögen und Kreativität.

Es steigen aber auch Termindruck und Anforderungen an zeitliche Flexibilität. Hier müssen wir gegensteuern, gerade auch um Kreativität zu fördern und Gesundheit zu schützen.

Über den Experten: Prof. Dr. Enzo Weber ist Wirtschaftswissenschaftler am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Zu seinen Themen gehören unter anderem die gesamtwirtschaftliche Arbeitsmarktentwicklung, Arbeitskräftebedarf und -angebot, Arbeitslosigkeit, Demografie und Rente sowie Digitalisierung. Außerdem leitet er den Lehrstuhl für Empirische Wirtschaftsforschung der Universität Regensburg.

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