Politisch bleibt der Sommer in Griechenland hitzig. Der zurückgetretene Premier Alexis Tsipras hofft bei den Neuwahlen im September auf neue Stärke. Doch der Streit zwischen den Gruppen und Parteien droht das Parlament zu zersplittern. Politikwissenschaftlerin Dr. Roula Nezi erklärt die Stimmung in Griechenland.

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Griechenland kommt nicht zur Ruhe. Rund neun Monate nach den Parlamentswahlen im Januar stehen wieder Neuwahlen an, voraussichtlich am 20. September. Dazu ist Alexis Tsipras am Donnerstagabend von seinem Amt als Ministerpräsident zurückgetreten. Viele Beobachter halten dies für einen taktischen Rückzug, von dem aus er bei den Wahlen einen neuen Anlauf nehmen will – noch bevor die neuen Auflagen bei der Bevölkerung spürbar werden.

"Die Neuwahlen sind keine große Überraschung", sagt die Politikwissenschaftlerin Roula Nezi von der Universität Konstanz, die sich gerade in Griechenland aufhält. Es habe keine starken Reaktionen auf die Ankündigungen gegeben, beschreibt sie die Stimmung. August ist sowieso Ferienzeit in Griechenland – ein "toter Monat" nennt es Nezi.

Syriza-Chef Tsipras ist in Griechenland sehr populär. Über 60 Prozent Zustimmung bescheinigten ihm Umfragen Ende Juli. "Die Wähler haben das Gefühl, dass er sein Bestes gegeben hat. Anders als seine Vorgänger habe er es wenigstens versucht", meint Nezi. Damit habe er den Griechen ein bisschen Stolz zurückgegeben.

Syriza und die Rebellen aus den eigenen Reihen

Da er das Vertrauen der Griechen genießt, ist sogar die absolute Mehrheit seiner Partei im Parlament möglich. Das griechische Wahlsystem erlaubt dies durch Bonussitze auch bei einem Wahlerfolg von weniger als 50 Prozent. Seine gestärkte Position will Tsipras dann in Verhandlungen über die griechischen Schulden nutzen. "Nach meiner Ansicht könnte er genug Stimmen bekommen, aber es gibt hierfür noch keine aktuellen Untersuchungen", sagt Nezi.

Seine Zugeständnisse an die Europartner haben ihm aber innerhalb der Partei starke Kritik beschert. 25 Abgeordnete von Syriza haben an diesem Freitag eine eigene Partei gegründet, namens "Leiki Anotita", auf deutsch "Volksunion". Sie kämpfen gegen die Sparpolitik und berufen sich auf die 62 Prozent, die beim Volksentscheid Anfang Juli gegen die Sparauflagen gestimmt haben.

Die "Volksunion" könnte Syriza Stimmen kosten, glaubt Griechenland-Expertin Nezi. Ob die beiden zerstrittenen Gruppen zusammen eine tragfähige Regierung bilden könnten, ist fraglich. Und die Suche nach weiteren Partnern ist für beide schwierig. So hat zum Beispiel die kommunistische Partei bisher jegliche Koalition abgelehnt.

Flüchtlingskrise könnte rechten Parteien nutzen

Nach Meinung von Nezi bleibt Syriza als wohl einzige Möglichkeit eine erneute Koalition mit der rechten Partei "Anel". Sie ist so etwas wie das griechische Pendant der französischen "Front National". Im Juli lag "Anel" bei 3 Prozent der Stimmen, das würde für den Einzug ins Parlament knapp reichen.

Radikaler noch ist die "Goldene Morgenröte", eine Neonazi-Partei. Ihre Umfragewerte blieben zuletzt stabil bei etwa 6 Prozent – obwohl Parteichef Nikolaos Michaloliakos und ein großer Teil der Mitglieder vor Gericht stehen oder im Gefängnis sitzen. Im Parlament sind sie isoliert. "Sie werden von den anderen Politikern gemieden und auch nicht in Talkshows eingeladen", berichtet Nezi.

Bei beiden rechten Parteien spielt das Thema Immigration eine wichtige Rolle. Doch gerade in den vergangenen zwei Wochen seien die große Zahl der Flüchtlinge in den Medien sehr präsent gewesen. Möglicherweise haben die Rechten davon profitiert, das wird sich aber erst in den nächsten Umfragen zeigen.

Die Wahlen im Januar hatten das über viele Jahre recht stabile Parteiensystem kräftig durchgeschüttelt. Die Sozialdemokraten der "Pasok"-Partei, frühere Volks- und Regierungspartei, verloren massiv an Stimmen und haben sich auch bisher nicht davon erholt.

Die konservative "Nea Dimokratia (ND)" wurde immerhin noch zweitstärkste Kraft im Parlament. Doch in den Umfragen hat auch sie zuletzt Wähler verloren. Die linksliberale "To Potami" hat eine Koalition mit Syriza angeboten, die aber von den Linken bisher abgelehnt wurde.

Gefahr der Zersplitterung in der griechischen Politik

Es droht eine Zersplitterung des Parteiensystems und damit auch eine schwache Regierung, je mehr Parteien in die das griechische Parlament einziehen und je unversöhnlicher sie miteinander agieren. "Ja, diese Gefahr gibt es", warnt Nezi.

Dabei wäre eine handlungsfähige Regierung für Griechenland enorm wichtig. Die gewaltigen Probleme sind seit Januar nicht kleiner geworden. Riesige Schulden, eine marode Infrastruktur, eine reformbedürftige Verwaltung und hohe Arbeitslosigkeit sind nur die drängendsten. "Die Griechen wünschen sich, dass die großen Parteien zusammenarbeiten und endlich eine Lösung finden", sagt Nezi.

Dr. Roula Nezi ist seit April 2013 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Politikwissenschaft an der Universität Konstanz. Nach ihrem Studium in Großbritannien und Griechenland promovierte sie an der Universität Athen über „Wirtschaftslage, Ideologie und Abstimmung: Parteien und Wahlen in Griechenland“.

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