Ein Millionärssohn wird von Hundemasken entführt, aber der Vater kümmert sich lieber um seine Katze: In "Wer zögert, ist tot" ermitteln die Kommissare Janneke und Brix unter lauter Witzfiguren. Das ist zwar amüsant, aber nicht besonders spannend.

Eine Kritik
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Mitten am Tag wird auf einem Golfplatz nahe Frankfurt Frederick Seibold von vier mit Hundeköpfen Maskierten niedergestreckt. Als er in einem dunklen Kellerloch wieder zu sich kommt, sind die beiden Frankfurter Hauptkommissare Anna Janneke (Margarita Broich) und Paul Brix (Wolfram Koch) bereits mit seinem Fall betraut: Die Exfreundin Fredericks, Bille Kerbel, hatte einen abgeschnittenen Finger erhalten, den sie schnurstracks zur Polizei gebracht hat.

Konrad Seibold, Fredericks Vater, ein gut situierter Wirtschaftsanwalt, sieht hingegen gar nicht ein, Lösegeld zu zahlen, glaubt er seinen Sohn Frederick doch selbst hinter der Entführung.

Janneke und Brix sind überrascht von Seibolds Sturheit, der ebenfalls einen Finger zugeschickt bekommen und nicht reagiert hatte. Als sich herausstellt, dass die abgetrennten Finger nicht von Frederick stammen, scheint der Vater jedoch Recht zu behalten. Über Bille führt die Spur die Kommissare zu Conny Kaiserling, die ein Studio für Frauenselbstverteidigungskurse betreibt. Brix kommt auf die Idee, Fanny dort undercover einzuschmuggeln.

Janneke und Brix werden in den Taunus zu einer dort abgelegten Frauenleiche gerufen. Antonia Wagner, die Tote, wurde offenbar von einem Zaunpfahl durchbohrt. Auf der Suche nach Fremdeinwirkung findet der Gerichtsmediziner unter ihren Fingernägeln Hautfetzen von Frederick Seibold. War Antonia an der Entführung beteiligt?

Der "Tatort" orientiert sich an "Fargo"

Wenn wieder eine Sommerpause mit dem Frankfurter "Tatort" beendet wird und darin wieder ein abgeschnittener Finger eine wichtige Rolle spielt – ist das schon Tradition? Und bedeuten mehr Finger auch mehr "Fargo"?

Im "Tatort: Wer zögert, ist tot" gibt es gleich drei abgeschnittene Finger. Mit ihnen soll Konrad Seibold davon überzeugt werden, vier Millionen Euro Lösegeld für seinen entführten Sohn Frederick (Helgi Schmid) zu zahlen.

Aber Konrad besitzt eine wunderschöne Perserkatze namens Caligula und beschäftigt eine sehr gebildete Assistentin namens Leila (Tala al Deen). Caligula hat Diabetes und Leila eine Katzenallergie, trotzdem liebt und respektiert der schwerreiche Wirtschaftsunternehmer beide mehr als seinen Sohn, der nur Musiker ist, obwohl ihm doch eine professionelle Golferkarriere in Aussicht stand.

Wer derart haarsträubende Berufsentscheidungen trifft und zudem noch vorbestraft ist, dem ist auch zuzutrauen, aus Geldgier seine eigene Entführung zu inszenieren. Und so beschäftigt sich Konrad Seibold lieber mit der Reinigung seines Pools und der Beschimpfung seiner Nachbarin (einer – igitt – Hundebesitzerin!), als mit dem Finger zur Polizei zu gehen.

Allerdings hat auch Fredericks Ex-Freundin Bille (Britta Hammelstein) so ein Stück in ihrem Briefkasten gefunden, und die bringt ihn zu Anna Janneke (Margarita Broich) und Paul Brix (Wolfram Koch) aufs Kommissariat. Als alleinerziehende Mutter von Fredericks beiden Kindern hat sie immer genug Tupperdosen zur Hand – praktischerweise eignen sich die für den Transport von Babykarotten und abgeschnittenen Körperteilen gleichermaßen.

10 Fakten aus 50 Jahre Tatort
10 Fakten aus 50 Jahre Tatort © 1&1 Mail und Media

Keine Krimispannung durch lauter Witzfiguren

2019 läutete die Frankfurter Episode "Falscher Hase" die neue "Tatort"-Saison ein. Darin versuchte ein Ehepaar, dessen Solarunternehmen vor der Pleite stand, die Versicherung zu betrügen. Ein abgeschnittener Finger kam beim breiten Publikum dabei nicht so gut an, die unübersehbaren Anspielungen auf "Fargo" aber schon.

In "Fargo" muss eine hochschwangere Polizistin eine Lösegelderpressung und damit zusammenhängende versehentliche Morde in einer tief verschneiten amerikanischen Kleinstadt klären. Der oscarprämierte Kinohit von 1996, der eine erfolgreiche Netflix-Serie nach sich zog, ist seitdem ein Synonym für Kriminalfälle, in dem brave Bürger mehr aus Verzweiflung denn aus Geldgier kriminelle Energie entwickeln und ihre laienhaften Pläne schieflaufen, weil hauptberufliche, aber stümperhafte Kleinkriminelle dazwischenfunken.

"Wer zögert, ist tot" ist so ein Fall. Eine sommerliche Krimikomödie voller Dilettanten und absichtlich überzeichneter Figuren. Schmierige Anwälte, Entführer in grotesken Hundemasken, blasierter Reichtum auf der einen Seite, die Alltagsnöte des einfachen Volkes auf der anderen – die Zutaten stimmen.

Denn die Ermittlungen führen Brix und Janneke in das Studio von Conny Kaiserling (Christina Große), die Selbstverteidigungskurse nur für Frauen anbietet: "Wer zögert, ist tot", erklärt die Besitzerin einer Gruppe Teilnehmerinnen, "wir Frauen sind schlichtweg zu nett erzogen. Deshalb lernt ihr als Erstes, wie ihr eure Beißhemmung überwindet."

Man muss keine Meisterdetektivin sein, um hinter der Gegenüberstellung von männlichen Machthabern und gebeutelten Frauen Hinweise auf die Lösung des Falles zu vermuten. Und tatsächlich: Verdächtige entpuppen sich schnell als Schuldige. Es geht nicht wirklich darum, die Krimispannung aufrechtzuerhalten.

Was ein Problem ist, weil dann nicht viel übrig bleibt. Denn dieser "Tatort" zeigt, wie schwer es ist, mit lauter Witzfiguren eine packende Geschichte zu erzählen. Tragik und Komik müssen ausbalanciert werden (das ist die große Kunst von "Fargo"), damit man hinter all der Skurrilität die Menschen erkennen kann und Anteil an ihrem Schicksale nimmt. Nur dann lassen sich auch komplizierte Fragen nach den Grenzen von Rachlust und Gerechtigkeitssinn überzeugend verhandeln.

Keine Frauenpower, keine Spannung - und das bei einer ziemlich tragischen Wendung

Regisseurin und Drehbuchautorin Petra Lüschow gelingt das in "Wer zögert..." nicht. Auch von Frauenpower ist hier trotz der Titel gebenden Aufforderung, die Beißhemmung zu verlieren, nichts zu spüren. Zumal sich von ein paar Ausnahmen abgesehen (Bernhard Schütz als mieser Millionär Konrad Seibold, Daniel Christensen als sein verschwitzter Anwalt) der schauspielerische Enthusiasmus in Grenzen hält.

Und so plätschert die Story dank ein paar amüsanter optischer Einfälle einfach nur sommerlich heiter dahin. Während Kommissar Brix sich über all die Schießbudenfiguren wenigstens noch aufregen kann ("Entweder Seibold ist gestört, oder der hat selber 'ne Leiche im Keller!"), verfolgt man den Fall als Zuschauerin mit der gleichen Gleichmut, mit der Kollegin Janneke ermittelt.

Richtig unschuldig ist hier niemand, richtig sympathisch aber auch nicht, deshalb ist im Grunde egal, was mit den Figuren passiert – und das ist bei der eigentlich ziemlich tragischen Wendung, die der Fall gegen Ende nimmt, fast eine Leistung.

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