Psychedelische Glückssuche: In "Murot und das Paradies" begibt sich der Kommissar erst in Therapie und dann in ein Wasserbad.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Iris Alanyali dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Der Beginn des neuen "Tatort" mit dem Wiesbadener Kommissar Felix Murot lässt nichts Gutes ahnen: Mittelalte weiße Männer in der Midlifekrise. Nicht, dass mittelalte weiße Männer keine Lebenskrise haben dürfen. Aber wenn sie das in einem Fernsehfilm vor Publikum tun, sollte die Krise sich nicht in lauter Banalitäten äußern. Vor allem, wenn später auch noch herzlich über Törtchen mit Vagina-Dekoration gelacht werden soll, die ein spaßiger Ermittler gebacken hat.

Mehr News zum "Tatort"

In "Murot und das Paradies" liegt der Kommissar bei einem Psychoanalytiker auf der Couch und klagt über sein Unglücklichsein. Aber nicht einmal Ulrich Tukur als Felix Murot und Martin Wuttke als sein Analytiker können mit ihrem neckischen Spiel von der Oberflächlichkeit dessen ablenken, was da behandelt wird.

"Wie soll man bitte glücklich sein in einer Welt, die sich vor allem durch ihre Beschissenheit auszeichnet", fragt Murot seinen Analytiker. Und listet die übliche Reihe an Weltschmerz-Auslösern auf: Umweltzerstörung, Armut, Politik, etc. Es folgt die übliche Gegenfrage, natürlich gepaart mit dem tiefsinnigen Analytiker-Blick: "Ist das wirklich der Grund, warum Sie unglücklich sind?" Oha, da hat der Fachmann den Patienten aber gnadenlos durchschaut!

Ein melancholischer Murot wäre erträglicher

Zum Glück wird das Altherrengeplänkel unterbrochen, weil Murot zu einem besonders bizarren Mordfall gerufen wird: Eine erfolgreiche Investmentbankerin liegt tot auf ihrer Designercouch. Statt eines Bauchnabels hat sie eine Art Port, mittels dessen man sie an eine künstliche Nabelschnur andocken konnte. Die herrlich arrogante Gerichtsmedizinerin Dr. Dr. Kispert – gespielt von Eva Mattes und ein Lichtblick in diesem Männerphantasien-"Tatort" – entdeckt außerdem anhand der Hirnstruktur, dass die Tote vor ihrem Tod unfassbar glücklich gewesen sein muss.

"Jetzt sind sogar schon die Leichen in meinen Mordfällen glücklicher als ich", kommentiert der Kommissar, als er wieder auf der Therapiecouch liegen darf. Jeden denkenden, emphatischen Menschen dürfte gelegentlich ein Gefühl der Verzweiflung überkommen angesichts von Umweltzerstörung, Naturkatastrophen oder Wahlergebnissen. Aber unglücklich – wirklich unglücklich – sind die meisten, wenn sie ehrlich sind, doch aus eher egozentrischen Gründen: aus Liebe oder Ermangelung derselben, wegen eines Jobs, den Kollegen oder den Vorgesetzten. Und aus Einsamkeit.

Ja, eine Einsamkeit wie jene Murots, die ist tatsächlich ein Problem. Sie umgibt ihn "wie schlechter Atem", wird eine scharfsinnige Betrügerin später sagen. Es ist diese Einsamkeit, die Murot zu ihrem willigen Opfer macht. Und dem "Tatort" Anlass gibt, ihn auf einen ziemlich abgefahrenen Trip zu schicken. Ein melancholischer Murot wäre allerdings erträglicher, als das, was folgt.

Der "Tatort" wird von Frauen gerettet

Denn als eine weitere Leiche aus dem Finanzmilieu mit den gleichen Symptomen auftaucht und Murots Mitarbeiter auf einen Geheimclub stoßen, den beide Banker besuchten, verschafft Murot sich Zugang zu der Underground-Party. Und als er dort von der verführerischen Tänzerin Ruby Kortus (Ioana Bugarin) eingeladen wird, durch eine geheimnisvolle Tür mit der Aufschrift "Paradies" zu treten, kann er natürlich nicht widerstehen. Zumal Ruby die Freundin der toten Bankerin und indirekt Auslöser für das Backen der bereits erwähnten Vulva-Cupcakes im Kommissariat war. Wie praktisch, wenn sich berufliche und persönliche Interessen derart vereinen lassen.

Regisseur und Drehbuchautor Florian Gallenberger bleibt der Tradition der surrealen Murot-"Tatorte" treu und inszeniert eine psychedelische Reise des Kommissars in das Glück. Felix Murot darf an Muttis Busen nuckeln, durchs Weltall fliegen und den Helden spielen. Was mittelalte Männer in der Midlifekrise sich eben so wünschen. Und auch bekommen, wenn sie sich nur von einer eleganten Rothaarigen ein Diodengestell auf den Kopf setzen und in ein Wasserbad tauchen lassen. Eva Lisinska (Brigitte Hobmeier) ist die scharfsinnige Einsamkeits-Analytikerin, die Murots Empfänglichkeit für ihr Geschäftsmodell "Paradies" sofort erkannt hat. Und so wacht auch Murot plötzlich mit einem Port anstelle seines Bauchnabels auf.

Es ist wieder einmal Kollegin Magda Wächter (Barbara Philipp), die ihn vor einem Banker-Schicksal bewahren und in die Realität zurückholen muss. Auch der "Tatort" wird, so weit das geht, von den Frauen gerettet. Vor allem von Wächter. Und von Gerichtsmedizinerin Dr. Dr. Kispert in einer leider viel zu kleinen Rolle.

Selbst das betrügerische Unternehmenskonzept, das Ruby Kortus und ihre rothaarige Geschäftspartnerin Eva Lisinska mit "Paradies" auf die Beine gestellt haben, ist durchaus kreativ und sorgt für eine konventionelle Krimi-Verankerung. Denn im Prinzip erzählt "Murot und das Paradies" einen Krimi aus dem Banken- und Drogenmilieu. Nur eben in einer etwas peinlichen Männertraum-Variation, mit Sci-Fi-Schummerlicht und dem Geraune verführerischer Sirenen.

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.