In "Lara" spielt Tom Schilling einen Pianisten, der von der Meinung seiner manipulativen Mutter abhängig ist. Ein Gespräch über künstlerisches Selbstvertrauen und warum das Urteil anderer für Schauspieler letzten Endes ohne Bedeutung sein sollte.

Ein Interview

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Tom Schilling, Sie spielen in "Lara" Viktor, den Sohn der Hauptfigur, der versucht seinen Weg als Künstler zu finden und dabei durch seine Mutter immer wieder verunsichert wird. In "Werk ohne Autor" haben Sie erst im vergangenen Jahr eine sehr ähnliche Rolle verkörpert. Hat Ihnen das für die Vorbereitung auf "Lara" geholfen?

Tom Schilling: Nein, für mich haben die Filme und die beiden Figuren nichts miteinander zu tun. Kurt aus "Werk ohne Autor" ist viel selbstsicherer bei der Suche nach seinem künstlerischen Ausdruck. Viktor in Lara habe ich hingegen fast als depressiven Charakter angelegt.

War es das, was Sie an der Rolle gereizt hat? Dass sie abgründiger und unsicherer ist?

Ja. Dieser Perfektionsgedanke, den man von seinen Eltern eingepflanzt bekommt und dem man sich nur schwer entziehen kann, ist etwas, das mich sehr beschäftigt. Der Kern der Perfektion ist ja eigentlich gerade, dass sie nie erreicht werden kann.

Und trotzdem führt dieser Gedanke dazu, dass man stetig auf der Suche ist, an sich zweifelt und sich unglücklich fühlt.

Viktors Mutter beeinflusst seine Entwicklung bewusst negativ. Trotzdem legt er großen Wert auf ihr Urteil. Warum?

Lara ist der Maßstab, dem Viktor gerecht werden will. Immerhin hat sie ihm alles beigebracht, was er über die Musik weiß. Gleichzeitig verbindet die beiden eine perfide Beziehung, die man oft sieht, wenn Eltern versuchen ihre nicht erfüllten Träume durch ihren Nachwuchs auszuleben. Liebe verkommt dann zur Währung, die man dem Kind entzieht wenn es in den Augen der Eltern scheitert.

Auch wenn Viktor vielleicht durchschaut, dass er sein Selbstwertgefühl nicht davon abhängig machen muss, ob seine Mutter mit seiner Komposition zufrieden ist, ist er doch von ihrer Anerkennung abhängig. Denn letztendlich will man als Kind einfach von seinen Eltern geliebt werden. Dem kann man sich nicht entziehen.

Gibt es jemanden in ihrem Umfeld wie Lara, dessen Urteil ihnen so wichtig ist, dass Sie ins Grübeln komme, wenn die Person Ihre Arbeit kritisch beurteilt?

Natürlich freut es mich, wenn meine Arbeit meinen Freunden gefällt. Aber als Schauspieler bin ich auch nur ein kleiner Teil des gesamten Films, der für mich auf eine gewisse Art wie ein Korsett ist.

Da kann es auch sein, dass die Qualität meiner Darstellung damit zusammenhängt, dass mir das Drehbuch nicht den nötigen Raum gegeben hat. Oder, dass der Regisseur Entscheidungen getroffen hat, die ich nicht nachvollziehen kann und trotzdem umsetzen muss.

Letztendlich glaube ich aber auch, dass man als Künstler etwas, das mit Hingabe und Leidenschaft gemacht wurde, am Ende nicht verbockt nennen kann.

Lara bringt ihrem Sohn immer wieder Abweisung entgegen. Trotzdem geht Viktor dennoch immer wieder auf sie zu. Ist das nicht widersprüchlich?

Ich finde das passt schon. Das Leben ist eben sehr ambivalent. Alles was wir lieben können wir auch gleichermaßen hassen. In all dem Unglück, das Viktor durch die Erziehung seiner Mutter empfindet, steckt schließlich auch viel Erfüllung. Immerhin hat er ihr all sein musikalisches Können zu verdanken.

Glauben Sie, dass Viktor durchschaut, dass seine Mutter ihn manipuliert? Oder glaubt er daran, dass sie ihn in seinem künstlerischen Schaffen unterstützt?

Ich denke, er spürt, dass er sich von ihr lösen muss. Was er ja auch tut. Zum Beispiel durch seine Entscheidung auszuziehen. Trotzdem bleibt seine Mutter für ihn die Instanz, die über ihn richtet. Auch weil sie ihm eingetrichtert hat, dass ein Werk, das keiner braucht und nicht gut genug ist, künstlerischer Selbstmord ist. Das hat ihn vollkommen unsicher gemacht.

Ist dieses Zweifeln am eigenen Selbstvertrauen etwas, dass sie aus ihrer Arbeit als Schauspieler kennen?

Ich glaube, dass viele Schauspieler ihr Selbstwertgefühl von ihrer Arbeit abhängig machen. Wenn ein Film mit dir sehr erfolgreich ist, dann liebt dich die Branche. Alle glauben, du bist die Cashcow, und jeder will, dass du in seinem nächsten Film mitspielst.

Aufgrund der Zeitungskritiken denken oft sogar die Leute, die den Film nicht gesehen haben, dass du ein ganz toller Schauspieler bist. Wenn die Kritiken aber schlecht ausfallen, dann glaubt das eben auch jeder. Für denjenigen der das liest, ist das vielleicht keine große Sache. Für den Schauspieler oder Künstler über den geschrieben wird, ist es aber schon wichtig.

Warum genau?

Weil man davon ausgeht, dass die Kritiken große Auswirkungen auf das Publikum haben. Man muss versuchen, sich von diesen Gedanken freizumachen. In Berufen, die in der Öffentlichkeit stehen, ist das aber schwierig. Anders als bei Kritik in einem geschützten Raum, sitzt man als Schauspieler ja quasi auf dem Präsentierteller.

Viktor ist Pianist. Sie selbst machen auch Musik und sind Mitglied einer Band. Konnten Sie das in den Film einbringen?

Tatsächlich konnte ich schon vorher Klavier spielen. Das hab' ich mir selbst beigebracht. Vom Blatt kann ich zwar nicht spielen, aber Popmusik und Weihnachtslieder bekomm' ich hin. Richtig Klavierspielen ist aber natürlich nochmal eine andere Sache.

Man hört Sie im Film also selbst spielen?

Bei den Eigenkompositionen von Viktor schon. Aber die Revolutionsetüde von Chopin, um die es im Film geht, ist ein wahnsinnig schwieriges Stück. Da traut sich auch nicht jeder ausgebildete Pianist ran. Ich kann das Stück zwar langsam spielen, aber um mit dem Tempo des Orchesters mitzuhalten, bin ich schlicht nicht gut genug. Das würde unsauber klingen.

In den Szenen in denen ich zusammen mit dem Orchester spiele, war das Klavier deshalb stummgeschaltet. Das, was meine Hände und Finger machen, ist aber tatsächlich, wie es aussehen würde, wenn jemand das Stück spielt.

Sie haben schon bei seinem Debüt-Film "Oh Boy" mit Regisseur Jan-Ole Gerster zusammengearbeitet. Hat er ihnen die Rolle des Viktors angeboten, oder haben Sie sich darum bemüht.

Jan-Ole und ich sind schon seit ungefähr 18 Jahren sehr eng befreundet. Wir tauschen uns natürlich darüber aus, was wir grade machen und schätzen unsere Arbeit gegenseitig. Für ihn lag es auf der Hand, dass ich Viktor spielen soll.

Wie ist es, wenn ein guter Freund am Set plötzlich der Boss ist und man am Set das machen muss, was er will?

Die Zusammenarbeit mit Jan-Ole ist sehr intensiv, aber auch freundschaftlich. Unser Verhältnis ändert sich am Set nicht von Grund auf. Wir arbeiten einfach zusammen. Die guten Regisseure lassen sowieso nicht den Chef raushängen. Die setzen auf eine kollegiale und künstlerisch gleichwertige Zusammenarbeit.

Regie führen heißt nicht, nur Befehle zu geben. Es bedeutet auch, den Schauspielern einen gewissen Freiraum zu geben und das große Ganze trotzdem in die richtigen Bahnen zu lenken. Jan-Ole überlegt sich im Vorfeld genau, welcher Darsteller eine Rolle spielen kann. Beim Dreh vertraut er demjenigen und dessen Instinkt dann aber auch, dass er die richtigen Entscheidungen trifft.

Wenn man den TV-Zweiteiler "Brecht" mitrechnet, ist Lara bereits ihr vierter Film in diesem Jahr. Sehen wir Sie 2019 noch in einer weiteren Rolle?

Nein. Dieses Jahr kommt nichts mehr. Das täuscht jetzt auch ein wenig, denn eigentlich arbeite ich sogar relativ wenig. Diese Filme hab ich über einen Zeitraum von drei Jahren gedreht. Manchmal kommt eben einfach alles auf einmal raus.

Zum Kinostart von "Lara" am 07. November haben wir auch mit Regisseur Jan-Ole Gerster gesprochen. Das Interview finden sie hier.
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