• Mama und Papa müssen arbeiten, die Kinder funken immer wieder dazwischen. Vielen Eltern ist diese Situation gerade allzu vertraut.
  • Aber darf man die Kleinen dann einfach vor dem Fernseher parken?
  • Wie viel Zeit vor dem Bildschirm vertretbar ist - und worauf Eltern achten sollten.

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Mama oder Papa am Laptop, die Vierjährige vor dem Fernseher und der Zweijährige buddelt Sand mit einer Handy-App aus. Was pädagogisch wenig wertvoll klingt, ist zurzeit in vielen Wohnzimmern Alltag. Iren Schulz, Mediencoach bei der Initiative "Schau hin!", beruhigt aber: Ihrer Meinung nach sind die zeitlichen Vorgaben für die Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen keine starren Größen.

"Wir von der Initiative "Schau hin!" empfehlen zwar Bildschirmzeiten. Dazu sagen wir aber immer, dass Eltern sich dazu auch ihr Kind anschauen sollten und gucken, wie es auf Fernsehen reagiert", so die Expertin. Grundsätzlich gelte aber folgende Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation WHO:

  • Kinder bis fünf Jahre eine halbe Stunde Bildschirmzeit am Tag
  • Sechs- bis Neunjährige: eine Stunde pro Tag.
  • Ab zehn Jahren kann man laut Schulz flexibler sein und ein Tag- oder Wochenkontingent vergeben. Das wäre dann pro Tag zehn Minuten pro Jahr Lebensalter oder pro Woche eine Stunde pro Lebensalter. So kann man den Kindern auch etwas Verantwortung und Eigenverantwortung beibringen.

Kein schlechtes Gewissen: Corona ist eine Ausnahmesituation

Die empfohlenen Zeiten werden derzeit in vielen Familien überschritten. Immer mit dabei: Das schlechte Gewissen der Eltern, ihren Kindern nicht gerecht zu werden oder ihnen mit dem Medienkonsum gar zu schaden.

"Ich finde es wichtig, die Angst und Sorge an dieser Stelle einzugrenzen. Wir haben im Lockdown eine besondere gesellschaftliche Situation, die man mit normalem Familien- und Berufsalltag nicht vergleichen kann", sagt Iren Schulz. "Wenn alle zuhause sind und die Eltern arbeiten müssen, kann man auch mal mehr Bildschirmzeit erlauben. Die Frage ist immer auch: Was wird geschaut? Und: Ist klar, dass das eine vorübergehende Ausnahme ist?"

Auch wenn man jetzt aus der Not die Zeiten etwas ausdehnen kann, sollten Eltern weiter vorsichtig sein: "Beim Fernsehkonsum gibt es drei Dimensionen, die voneinander unabhängig sind", beschreibt Till Reckert, Medienbeauftragter vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte. Dabei handelt es sich um:

  • Inhalt
  • Dauer
  • Funktion

Man kann pädagogisch hochwertige Sendungen aussuchen und so eine Dimension positiv beeinflussen oder die Dauer dem Alter entsprechend anpassen. Beachten sollten Eltern unbedingt aber auch die Dimension der Funktion: So raten die "Kinderärzte im Netz", Bildschirmmedien nicht als Erziehungshelfer einzusetzen. Fernsehen als Belohnung, als Bestrafung oder zur Beruhigung ist folglich generell keine gute Idee.

Kinderärzte empfehlen: "Bildschirmfrei bis drei"

Was für Eltern mit Kleinkindern oder jüngeren Geschwistern gerade schwierig sein dürfte: Kinder unter drei Jahren sollten gar keine Bildschirme nutzen. Dies betont unter dem Motto "bildschirmfrei bis drei" auch der Verband. Der Grund hierfür liegt in der frühkindlichen Entwicklung. "Wenn Kinder, die sich noch in der Wirklichkeit einleben, viel Zeit vor Bildschirmen verbringen, verarmt und verfälscht dies ihre Wirklichkeits- und Selbstwirklichkeitserfahrungen", so Reckert.

Auch die Sprachentwicklung könne auf diesem Weg gestört werden. Kleinkinder bräuchten Erfahrungen mit allen Sinnen, eigene Kreativität und Bewegung sowie Interaktion um sich körperlich und psychisch gesund zu entwickeln. Fernsehen hingegen mache sie zu bewegungslosen Kopfmenschen, die sich vom Rest ihres Körpers entkoppeln. Auch lernten sie dann weniger, frei zu spielen und sich alleine zu beschäftigen.

Kreativität und Rollenspiele seien für sie hingegen die beste Beschäftigung. Darin schaffen sie sich mit ihrer Fantasie eigene Welten. Dafür braucht es auch nicht viele Mittel: Reckert zufolge besteht das beste Spielzeug "zu 90 Prozent aus Kind und zu zehn Prozent aus Zeug. Bildschirmmedien sind das genaue Gegenteil."

Das droht bei dauerhaft zu viel Fernsehen

Dass aus dauerhaft zu hohem Fernsehkonsum Sprachentwicklungsstörungen resultieren können, weiß auch Iren Schulz. Das werde häufig auch von den Ärzten bei Schuleingangsuntersuchungen berichtet, so die Expertin. Was man bei Kindern außerdem als Folgen beobachten kann, sind Schlafstörungen und Unruhe.

"Das kann sich verfestigen und zu motorischen Entwicklungsverzögerungen führen. Psychisch kann es zu Angststörungen oder problematischen Welt- und Rollenbildern kommen." Bei Jugendlichen beobachtet Recker in seiner Praxis zudem häufig eine Entwicklung von Internetsucht.

Problematisch werde es, wenn in den Medien stattfindet, was in der realen Lebenswelt fehlt, sagt Expertin Schulz. "Anerkennung, Aufmerksamkeit, gute Bindungen, gutes Eingebettet sein in der Schule – wenn das in eine Schieflage gerät und Kinder sich Anerkennung oder Ventile für Gewalt in den Medien suchen, dann kann sich das zu einem problematischen Medienkonsum ausweiten. Die Ursache ist eher das soziale Umfeld."

Wichtig sei es deshalb, als Familie täglich auch einige Zeit ohne jegliche Bildschirme und Endgeräte zu verbringen. Durch den Schnee toben oder eine Schnitzeljagd machen – gemeinsame Quality time an der frischen Luft ist jetzt neben dem Lockdown-Stress zuhause besonders wichtig.

Datenbank empfiehlt von Pädagogen geprüfte Apps

Für die Auswahl von Medien nennt Schulz folgende Tipps: Für Kinder sollte man immer altersgerechte Sendungen aussuchen und sich nach den Empfehlungen richten. Wichtig ist es zudem, Angebote ohne Werbung und In-Apps-Käufe zu wählen, da diese meistens in den kostenfreien Versionen enthalten sind.

"Wir von "Schau hin!" empfehlen deshalb, für eine App eher ein paar Euro auszugeben", so die Expertin. Zudem sollte es möglichst keine Verbindung zu Social Media geben. Die meisten kostenfreien Apps, auch für kleine Kinder sind dahingehend vernetzt und das ist problematisch.

Wenn es um Apps im Bereich Bildung und lernen geht, würde Schulz die "Anton"-App empfehlen. Sie wird auch in Schulen angewandt. Gut seien auch Angebote vom Kinderkanal KIKA wie zum Beispiel "Die Sendung mit dem Elefanten". Häufig gibt es auch zugehörige Apps. Empfehlenswert sei zudem die App-Datenbank vom Deutschen Jugendinstitut. Sie ist von Medienpädagogen geprüft. Dort kann man auch nach Altersgruppen und Themenfeldern filtern kann.

Eltern sollten App-Einstellungen von Netflix und Co. prüfen

"Bei Onlinevideotheken wie Netflix und Co. ist es gut, die Anwendung vorher zu sichern, so dass nur altersgerechte Sendungen angezeigt werden und Kinder auch keine Käufe tätigen können. Die ersten Schritte in der Medienwelt sollten in einem sicheren und eingeschränkten Kosmos stattfinden", sagt Schulz.

"Es gibt auch die YouTube-Kids-App in der man Zeit und Altersempfehlung gut einschränken kann. Man kann die Suchfunktion deaktivieren und man kann sich in vier vorgegebenen Kategorien bewegen. Alles mit Gewalt und Sexualisierung wird rausgefiltert."

Doch weiterhin gilt: Es ist es gut und wichtig, Grenzen zu setzen. Zum Beispiel kann man einen Wecker stellen, der nach der vereinbarten Medienzeit klingelt. Solche Verabredungen sollte man den Kindern gegenüber einhalten und dann auch konsequent sein – Ausnahmesituation hin oder her.

Über die Experten:
Dr. Iren Schulz ist promovierte Medienpädagogin und arbeitet als Mediencoach für die Initiative "Schau hin!"einem Informationsangebot zur Mediennutzung und -erziehung vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, ARD und ZDF sowie der AOK. Zudem ist Schulz an der Universität Erfurt Dozentin im Masterstudiengang Kinder- und Jugendmedien sowie im Studiengang Pädagogik der Kindheit. Außerdem bietet sie als freie Dozentin im Bereich Medienkompetenz Weiterbildungen an. Im Fokus stehen dabei unter anderem Cybermobbing, Mediensucht und Fake News.
Dr. Till Reckert ist niedergelassener Kinderarzt in Reutlingen. Für den Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte ist er zudem als Medienbeauftragter sowie als zweiter stellvertretender Landesvorsitzender in Baden-Württemberg tätig. Zum Thema Medienkonsum von Kindern hat er zahlreiche Artikel und Stellungnahmen verfasst.
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