• Ernteausfälle machen Qualitätsgetreide teurer. Gleichzeitig steigt der weltweite Verbrauch.
  • Werden nun Brot und Co. hierzulande teurer oder sogar knapp? Experten geben Entwarnung – vorläufig.
  • In anderen Teilen der Welt sorgen die steigenden Getreidepreise hingegen für große Probleme.

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"Nachfrage treibt Weizenpreis hoch" – das meldete das landwirtschaftliche Branchenblatt "Agrarzeitung" am vergangenen Montag einmal mehr. Vor allem Hartweizen ist von den diesjährigen Getreideausfällen betroffen. Werden demnächst die Nudeln knapp? Experten beschwichtigen: Hierzulande sind höchstens leichte Preiserhöhungen zu erwarten. Probleme machen die steigenden Getreidepreise hingegen in anderen Teilen der Welt.

Die Nudelhersteller halten sich bedeckt. Anfragen unseres Portals zu den Folgen der Hartweizenknappheit ließen mehrere Firmen unbeantwortet. Auch der Einzelhandel mag keine konkreten Antworten geben: Aldi-Nord teilt auf Anfrage lediglich mit, man wolle weiterhin "hochwertige Produkte zum niedrigst möglichen Preis" anzubieten, könnten sich aber den weltweiten Markt- und Preisentwicklungen "auf Dauer nicht völlig entziehen".

Bei Edeka sieht man das ähnlich: Man werde "verstärkt mit Forderungen nach Preiserhöhungen konfrontiert", teilt das Unternehmen ganz allgemein mit, eine "Gefahr von Lieferengpässen oder leeren Regalen" bestehe aber "aktuell nicht". In Zukunft also möglicher­weise doch?

Eine "gewisse Unterversorgung", aber keine leeren Regale

Experten aus der Wissenschaft nehmen konkreter zum Thema Stellung und geben deutlich Entwarnung: Spätzleknappheit und Spaghettimangel, leere Regale bei Tagliatelle oder Eiernudeln müssten deutsche Verbraucher nicht befürchten, sagt etwa Stephan von Cramon-Taubadel.

Der Professor für Agrarpolitik an der Universität Göttingen be­schwichtigt: Zwar würden im laufenden Jahr die Lagerbestände bei Weizen leicht abgebaut, weil der Verbrauch stärker gewachsen sei als die Produktion – doch noch immer könne ein Drittel des weltweiten Jahresbedarfs allein aus Lagerbeständen gedeckt werden.

Trotzdem: Warnungen und Knappheitsängste kommen nicht von ungefähr.

  • Da sind zunächst einmal die Ernteausfälle: "Speziell beim Hartweizen hat die Dürre Kanada voll erwischt", sagt Johann Meierhöfer, beim Deutschen Bauernverband zuständig für Ackerbau und nachwachsende Rohstoffe. Das Land erntet 2021 nur zwei Drittel des durchschnittlichen Ertrags der vergangenen fünf Jahre. Auch Deutschland habe auf seinen 35.000 Hektar Hartweizenanbaufläche im laufenden Jahr nach den bisher vorliegenden Daten "sehr, sehr dürftig geerntet".
  • Ein zweites Problem stellt der stagnierende russische Export dar. Der Bauernverband-Experte geht von gesunkenen Erträgen bei den guten und sehr guten Qualitäten aus – auch hier geht es um den für Nudeln benötigten Hartweizen. Vor allem aber wirken sich russische Exportsteuern aus: Um produziertes Getreide im Land zu halten, erhebt die Regierung hohe Exportsteuern: Mehr als 50 US-Dollar zahlen russische Produzenten für jede exportierte Tonne Weizen an den Staat, zuletzt wurde die Abgabe Ende September um drei Dollar pro Tonne erhöht.

Schlechte Ernten, steigende Steuern, wachsender Verbrauch

  • Der Bedarf wächst: China und Indien kaufen deutlich mehr Weizen, als der internationale Handel erwartet hatte. Im bisherigen Rekordjahr 2012/13 verbrauchte China 26 Millionen Tonnen Weizen – 2021 werden es 30 Millionen Tonnen sein. Als einen der Gründe gibt Experte Cramon-Taubadel an, China baue seine Schweinezucht massiv wieder aus, nachdem sie wegen der Schwei­ne­pest stark zurückgegangen war. Weltweit wachse der Weizenverbrauch "um 55 bis 60 Millionen Tonnen."
  • Preissteigerungen auf anderen Gebieten fernab der Landwirtschaft befeuern den Weizenpreis zusätzlich: Wegen weltweit steigender Energiekosten erhöhen sich die Transportausgaben, auch Logistikprobleme aufgrund knapper Computerchips wirken sich aus.

Viele Gründe also für steigende Preise. Doch wirkt sich das spürbar aus? Jens-Peter Loy, Professor für Marktlehre an der Universität Kiel, hält Preissteigerungen bei Produkten mit hohem Weizenanteil für möglich – also vor allem bei Nudeln, Brot, Mehl. Doch Loy beschwichtigt am Beispiel der Semmel: Der Mengenanteil des Weizens am Frühstücksbrötchen liege "deutlich unter dem Wertanteil". Einfacher ausgedrückt: Für den Verkaufspreis in der Bäckerei sind Energie-, Transport- und Arbeitskosten viel wichtiger als der Weizenpreis.

Experte Cramon-Taubadel gibt an, bei Brot mache der Getreidepreis gerade mal vier Prozent der Gesamtkosten aus. Ähnlich verhält es sich bei den Nudeln. Und auch Loy ist sich sicher: "Selbst wenn sich der Mehlpreis verdoppeln würde – und davon sind wir weit entfernt – wäre das in den Industriestaaten kein großes Problem, auch nicht für Menschen mit niedrigem Einkommen."

Steigende Ernten – aber 800 Millionen hungern

Hinzu kommt: Nicht nur der Verbrauch steigt, sondern auch die Produktion. Beim Weizen sieht das Fachblatt "agrarzeitung" für 2021 eine Rekordernte von 773 Millionen Tonnen weltweit. Den Begriff der "Knappheit" hält Loy hierzulande ohnehin für unangebracht: "Wir in den Industrieländern werden genug Getreide haben – aber 800 Millionen Menschen auf der Welt leiden Hunger." Deren Situation verschärfe sich rapide, wenn die Getreidepreise steigen, weil sie ohnehin den aller größten Teil ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben müssten.

Stephan von Cramon-Taubadel sieht eine Ursache dafür auch in den Ernährungsgewohnheiten des reichen Nordens: Für die Erzeugung einer Tonne Fleisch werden in der Rinderzucht sechs Tonnen Getreide verbraucht. "Wenn wir in den Industrieländen weniger Fleisch essen würden, hätte das direkte Auswirkungen für den Rest der Welt", sagt der Experte und weist auf ein weiteres Problem hin: "In den nächsten Jahrzehnten wird die Weltbevölkerung von sieben auf neun bis zehn Milliarden Menschen wachsen."

"Prognosen sind sehr schwierig" – darin stimmen die Agrarexperten überein. Die Entwarnung gilt also nur für die nahe Gegenwart: Brot und Nudeln werden für uns in absehbarer Zeit weder knapp noch teuer. Dass es in der Zukunft – mit mehr Menschen und häufigeren Dürreperioden – trotzdem eng werden könnte, kann niemand ausschließen.

Quellen

  • Deutscher Bauernverband: Situationsbericht 2020/21.
  • Agrar heute: Getreidepreise: USDA bestätigt Knappheit – Markt dennoch enttäuscht.
  • Agrarzeitung: Russland erhöht Exportsteuer.
  • Agrarzeitung: Nachfrage treibt Weizenpreis hoch.
Über die Experten: Prof. Stephan von Cramon-Taubadel lehrt Agrarpolitik an der Universität Göttingen. Prof. Jens-Peter Loy ist Professor für Agrarökonomie an der Universität Kiel. Johann Meierhöfer ist Referatsleiter Ackerbau und nachwachsende Rohstoffe beim Deutschen Bauernverband.
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