Corona, Corona, Corona: Die Virus-Pandemie bestimmt die Agenda von Zeitungen, Radio- und Fernsehsendern sowie News-Sites. Medienwissenschaftler kritisieren Gleichförmigkeit der Berichterstattung und warnen vor "Hofberichterstattung". Der Würzburger Kommunikationswissenschaftler Lutz Frühbrodt widerspricht.

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Ob Tageszeitungen, Fernseh- oder Radiosender: Die Medien scheinen derzeit kein anderes Thema als die Coronakrise zu kennen. Auch der Journalismus ist im "Krisenmodus". Welche Besonderheiten und Herausforderungen bringt das mit sich?

Lutz Frühbrodt: Die Redaktionen haben jetzt das Problem, dass ihnen andere Themen wegbrechen, weil die Welt aufgrund der Pandemie scheinbar stillsteht. Also dreht sich die Themenplanung fast ausschließlich um Corona, auch angeblich, weil die Menschen darüber so viel wie möglich erfahren wollen.

Ich bin mir da nicht so sicher, wenn es nicht um harte Fakten geht. Krisen besitzen per se einen hohen Nachrichtenwert, folglich grüßt das Medien-Murmeltier täglich aufs Neue, in jeder noch so kleinen Variation. So scheinen wir unaufhaltsam auf einen medialen Corona-Overkill zuzusteuern.

Es ist Aufgabe der Journalistinnen und Journalisten, aufzuklären, zu warnen, zu sensibilisieren. Wie beurteilen Sie dahingehend die aktuelle Berichterstattung?

Obwohl sich viele Medien in fast manischer Manier an Corona abarbeiten, finde ich die Berichterstattung bisher überraschend besonnen, selbst bei den meisten Boulevardmedien. Ich werte das als Zeichen, dass auch die Redaktionen den Ernst der Lage erkannt haben.

Natürlich ist es die vorrangige Aufgabe von Journalistinnen und Journalisten, zu informieren, aufzuklären und zu kritisieren. Sie sollten aber gerade auch in Krisenzeiten für Transparenz von Informationen sorgen und dem Medienpublikum Orientierung bieten.

Dies umso mehr, als viele sogenannte alternative Medien an den politischen Rändern Fake News und Verschwörungstheorien über die Corona-Pandemie verbreiten. Dies ist aus meiner Sicht das größte Problem in der "Corona-Kommunikation".

So lange halten sich Coronaviren auf Oberflächen
Quelle: The New England Journal of Medicine. © 1&1

Medienwissenschaftler Otfried Jarren kritisierte in einem Beitrag für den Fachdienst "epd Medien", seit Wochen würden immer die gleichen Experten und Politiker als Krisenmanager präsentiert und warf den öffentlich-rechtlichen Medien "Systemjournalismus" vor. Was ist das und schließen Sie sich an?

Mit "Systemjournalismus" meint Kollege Jarren wohl eine Berichterstattung, die vorrangig darauf ausgerichtet ist, das politische und auch wirtschaftliche System eines Staates zu unterstützen. Ich kann diesen Anwurf bedingt nachvollziehen, weil die öffentlich-rechtlichen Medien integraler Bestandteil unseres politischen Systems sind und die privaten Medien – ob RTL oder "Bild"-Zeitung – nur so funktionieren, wie sie funktionieren, weil sie zur kapitalistischen Marktwirtschaft gehören.

Aber unsere medialen Verhältnisse sind trotzdem nicht entfernt mit den Mediensystemen Chinas oder Russlands vergleichbar, denen ich schon eher das Etikett "Systemjournalismus" anheften würde.

Jarren spricht auch von "Hofberichterstattung". Worin liegen die Ursachen dafür und woran erkennen Leser sie?

Wie den Begriff "Systemjournalismus" halte ich die Brandmarke "Hofberichterstattung" für fehl am Platze. Was man sicher kritisieren kann, ist eine manchmal etwas zu große Nähe der öffentlich-rechtlichen Nachrichtenredaktionen des Fernsehens zur Politik.

In der ARD-"Tagesschau" zum Beispiel wird für meinen Geschmack auch in der jetzigen Krise zu viel Regierungspolitik referiert, auch wenn die Berichte immer Gegenstimmen mit drin haben. Ein hervorragendes Gegenstück bildet für mich aber der Deutschlandfunk, der vor allem in seiner Corona-Berichterstattung jeden Morgen ab 9:30 Uhr sehr sachlich-neutral und absolut fachkundig unterwegs ist.

Jarren bemängelte auch, es würden hauptsächlich einzelne Statements gesendet, sodass keine echte Debatte zwischen Expertinnen und Experten entstehe. Ist die Coronakrise für Debatten ungeeignet?

Nein, natürlich sind auch in Zeiten von Corona gesellschaftliche Debatten wünschenswert, etwa über die richtige Strategie, wie sich die Pandemie am effektivsten in den Griff bekommen lässt. Ich kann aber auch nicht erkennen, dass die öffentliche Diskussion über alternative Strategien wie in Südkorea oder Singapur in irgendeiner Weise unterdrückt werden würde.

Das Problem des Oligopols von Expertinnen und Experten sehe ich allerdings auch. Das ist gleichwohl ein Strukturproblem aller Mediensysteme: Journalisten suchen sich bevorzugt Gesprächspartner, die nicht nur fachkompetent sind, sondern in den Medien "gut rüberkommen".

Das ist gerade bei Wissenschaftlern nicht immer ganz einfach. Und so konzentriert sich die Branche gerne auf einige wenige Stars. Dieser Mechanismus ist leider nicht immer der Meinungsvielfalt förderlich.

Gibt es ähnliche Erfahrungen aus bereits vergangenen Krisen?

Egal, ob sie die große Immigration von Geflüchteten Ende 2015 nehmen oder die islamistischen Anschläge der vergangenen Jahre in Frankreich und Deutschland, meist bildet sich ein ähnliches Muster heraus: Es gibt nur häppchenweise neue, belastbare Informationen, dennoch berichten die Medien in einem fort.

Und weil es eben kaum harte Fakten gibt, wird viel spekuliert. Und es werden vor allem Stimmungen und Emotionen eingefangen. Über die exklusiven Informationen verfügen die Regierungspolitiker, also sind die meisten Journalistinnen und Journalisten froh über jedes Statement von diesen. Das artet dann oft in Kaffeesatzleserei aus.

All dies ist zwar wenig zielführend und auch ziemlich nervig. Aber dieser Mechanismus scheint auch eine bestimmte sozialpsychologische Funktion zu erfüllen: Die Bürger und Bürgerinnen bekommen so das Gefühl, nicht allein gelassen zu werden und über eine Gefahr regelmäßig informiert zu werden.

Worin liegen Gefahren, wenn die Krisenstrategie einer Regierung kritiklos transportiert wird?

Eine Gefahr wäre sicher, wenn mögliche falsche Maßnahmen als die einzig richtigen verkauft würden und dann bei der Bevölkerung ein dramatischer Vertrauensverlust in unsere Institutionen einsetzen würde. Das würde den gesellschaftlichen Zusammenhalt zerstören und zu einer egoistischen Rette-sich-wer-kann-Panik bei vielen Bürgerinnen und Bürgern führen.

Aber nochmal: Diese Gefahr sehe ich nicht. Nehmen Sie doch beispielsweise FDP-Chef Christian Lindner, der mit seiner Forderung, man solle die individuellen Freiheitsrechte so schnell wie möglich wieder vollständig herstellen, nach Umfragen stolze drei Prozent der Bevölkerung hinter sich hat. Dennoch erhält er dafür eine große mediale Plattform, weil er eben eine stark abweichende Meinung in die Debatte einbringt.

Prof. Dr. Lutz Frühbrodt ist promovierter Volkswirt und arbeitete langjährig für verschiedene überregionale Medien. Heute lehrt er als Professor für Fachjournalismus und Unternehmenskommunikation an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt.
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