Schulen offen halten oder schließen, wenn es Infektionen mit SARS-CoV-2 gibt? Vor dieser Entscheidung stehen Politikerinnen und Schulleiter in der Corona-Pandemie immer wieder. Wir haben mit einem Gymnasialdirektor über seine Erfahrungen mit einer Zwangspause gesprochen.

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Aufgrund steigender Corona-Infektionszahlen müssen bundesweit wieder etliche Schulen schließen. Für die Bildungseinrichtungen und ihre Schüler und Schülerinnen ist die Lage hart: Nicht jeder ist gleich gut gerüstet für digitalen Fernunterricht.

Eines haben sie jedoch alle gemeinsam: Sie stehen in der Corona-Pandemie immer wieder vor der Entscheidung, was zu tun ist, wenn es Infektionen gibt. Wir haben mit Matthias Heidenreich gesprochen. Er ist Schulleiter des Maria-von-Linden-Gymnasium (MvLG) in Calw-Stammheim.

Das MvLG musste vor kurzem schließen, nachdem sieben Schüler positiv auf das Coronavirus getestet worden waren. Von der Corona-Zwangspause waren rund 850 Schüler betroffen, etwa 250 Schüler und 30 Lehrer befanden sich in Quarantäne.

Herr Heidenreich, aufgrund von Corona-Fällen musste Ihre Schule zwei Wochen schließen. Wie sind Lehrer, Eltern und Schüler mit der Situation umgegangen?
Matthias Heidenreich: Zu Beginn war nicht klar war, wie viele Personen tatsächlich infiziert sind. Am Wochenende wurde zunächst nur eine Person positiv getestet, es bestand jedoch die Gefahr eines unklaren Infektionsgeschehens. Letztendlich waren dann insgesamt acht Personen betroffen.

Auch bei dieser geringen Zahl an Infizierten ist die Anzahl der Kontaktpersonen trotz Kohortenbildung sehr groß. Jeder Schüler eines Kurses hat durchschnittlich etwa zehn verschiedene Lehrer, die dann alle Kontaktpersonen sind.

Und umgekehrt hat jeder Lehrer Kontakt zu fünf bis zehn Klassen. Auch aufgrund dieser großen Anzahl an Kontaktpersonen und um mögliche weitere Infektionsketten zu unterbrechen, wurde die Schule dann in Absprache mit allen Beteiligten für zwei Wochen geschlossen.

Das Kollegium hat das Unterrichten in der Fernlernphase auf vorbildliche Weise umgesetzt. Die Eltern trugen die Entscheidung größtenteils mit. Ein Lob an dieser Stelle an unsere Schülerinnen und Schüler, die keine Anlaufzeit benötigten und toll mitgearbeitet haben.

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Wie hat während dieser Zeit der Unterricht stattgefunden? Können Sie uns vielleicht ein paar konkrete Beispiele nennen? Stichwort Homeschooling. Sind die Schulen mittlerweile besser auf die Situation und digitalen Unterricht eingestellt?

Aufgrund der Erfahrungen vom Frühjahr hat die Umstellung auf Homeschooling ohne Probleme funktioniert. Schon im Frühjahr hatte sich bewährt, dass Office365 bereits ein Jahr vor der Schulschließung für alle Schüler und Lehrer am Gymnasium eingeführt wurde.

Die Kommunikation mit den Schülerinnen und Schülern gelingt so schnell und auf einer einzigen Plattform. Unterricht über Teams per Chat, Videokonferenzen und dem automatischen Verteilen und Einsammeln von Aufgaben funktioniert reibungslos.

Einzig die neuen Fünftklässler hatten noch keine Erfahrung mit diesem System. Mit Hilfe einzelner Lehrer wurde hier ein Team für technische Unterstützung gebildet, so dass auch die fünften Klassen nach kurzer Zeit im Onlineunterricht angekommen sind. Schüler, die kein geeignetes Endgerät haben, wurden mit Leihgeräten der Schule und der Stadt Calw schnell und unbürokratisch ausgestattet.

Seit dem Lockdown im März liegen ja bereits erste Erfahrungswerte vor. Was hat sich seitdem getan und wo hapert es Ihrer Meinung noch immer?

Von den Eltern haben wir durchgängig sehr positive Rückmeldungen erhalten, gerade was die Struktur und Qualität des Unterrichts angeht. Unabhängig hiervon ist Homeschooling für die Eltern eine große zusätzliche Belastung. Viele organisatorische oder erzieherischen Aufgaben, welche normalerweise in der Verantwortung der Schule liegen, müssen nun zu Hause geleistet werden.

Ein Mangel an Endgeräten lässt sich relativ schnell mit Leihgeräten abstellen. Ein überlastetes Internet oder die generell in einigen Orten zu geringe Bandbreite lässt sich nicht so schnell und einfach lösen. Ebenfalls unbefriedigend ist, dass es keine einheitlichen oder unzureichende Standards von der Schulverwaltung in der IT-Landschaft gibt.

Einzelne Schulen wie das Maria von Linden-Gymnasium haben hier früh Neuland betreten und auch mit etwas Glück auf die richtige Struktur gesetzt. In der Regel sollte man solche weitreichenden Entscheidungen aber nicht einer einzelnen Schule überlassen, sondern hier zentral und einheitlich vorgehen.

Die romantische Idee, die gesamte IT an einer Schule mit Open-Source-Produkten oder Insellösungen zu bewerkstelligen, wurde schon lange aufgegeben. Bis aber nun leistungsstarke kommerzielle Systeme flächendeckend eingesetzt werden können, ist keine Frage des Geldes, sondern ein strukturelles Problem.

Können Sie rückwirkend sagen, was bei Ihnen die Ursache für den Anstieg der Corona-Fälle war und wie man eine Wiederholung vermeiden kann?

Die Verteilung der infizierten Schüler legt die Vermutung nahe, dass die Infektion von außen in die Schule getragen wurde. Eine Übertragung innerhalb der Schule können wir aber trotzdem nicht ausschließen. Seit Montag dieser Woche gilt in Baden-Württemberg auch eine Maskenplicht im Unterricht. Noch mehr Maßnahmen lassen sich nicht realisieren, sonst müsste man die Schulen wieder flächendeckend schließen.

Eine Wiederholung solch einer Schließung oder Teilschließung lässt sich aufgrund der aktuellen Lage nicht vermeiden und ist eher wahrscheinlich. Einzig die Folgen für die einzelne Schule ließen sich begrenzen. Bisher wurden alle Schüler und Lehrer innerhalb eines Unterrichtsraumes aufgrund der vermuteten Übertragung durch Aerosole automatisch zu Kontaktpersonen der ersten Kategorie erhoben.

Trotz eines negativen Testes mussten damit alle in eine 14-tägige Quarantäne. Im Moment wird aufgrund der überall hochschießenden Infektionszahlen dieses Prinzip von einigen Gesundheitsämtern in Frage gestellt. Wenn hier weniger restriktiv vorgegangen würde, wäre zumindest die Anzahl von Lehrern in Quarantäne geringer und somit auch eine Fortführung des Regelbetriebes besser zu realisieren.

Machen Sie Eltern oder Schülern Vorwürfe?

Natürlich macht die Schule niemandem irgendwelche Vorwürfe. Die Infektion wurde ja nicht wissentlich in die Schule getragen. Auch unter der Annahme, dass jeder sich an alle Regeln gehalten hat, lässt sich eine Infektion nicht mit 100 prozentiger Gewissheit vermeiden.

Zur Person: Matthias Heidenreich ist Schulleiter des Maria-von-Linden-Gymnasiums in Calw-Stammheim.
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