Die erste Welle im Frühjahr hatte unser Nachbarland gut im Griff, jetzt folgt die Ernüchterung: Ging Tschechien im Sommer zu locker mit dem Coronavirus um?

Mehr aktuelle Informationen zum Coronavirus finden Sie hier

Zuerst musste der Gesundheitsminister gehen, jetzt wurde auch noch ganz Tschechien von seinem deutschen Nachbarn zum Corona-Risikogebiet erklärt. Der Grund: In allen Landesteilen steigen die Fallzahlen rasant. Zuletzt meldete das dortige Gesundheitsministerium 3.493 neue Fälle an einem Tag (Stand: 1.10.2020). Die positive Nachricht: Die Zahl der Krankenhauspatienten bleibt derzeit konstant niedrig bei 2,83 Prozent (Stand 30.9.2020).

Gleich eine der ersten Aufgaben des neuen Gesundheitsministers war heikel: Der Epidemiologe Roman Prymula, der bei der ersten Corona-Welle im Frühjahr schon den Krisenstab geleitet hat, musste den Notstand ab Montag, 5.10., verkünden: "Unsere Zahlen gehören leider zu den schlechtesten in der Welt. Wir wollen nicht so strikte Maßnahmen einführen wie im Frühjahr. Aber wir müssen den Zustand stabilisieren", zitiert ihn das ARD-Studio in Prag.

Lesen Sie auch: Alle aktuellen Entwicklungen zum Coronavirus in unserem Live-Blog.

Zweiter Notstand soll Wirtschaft schonen

Es ist der zweite Notstand in diesem Jahr. Der erste dauerte bis Ende Mai zwei Monate lang an und half Tschechien, gut durch die erste Corona-Welle zu kommen. Nun also folgt zwangsweise der zweite Ausnahmezustand. Er wird 30 Tage dauern, tritt aber nicht sofort in Kraft, sondern erst am kommenden Montag.

Der Grund: Am Wochenende fanden Regional- und Senatswahlen statt. Und dafür hat Tschechien extra knapp 80 Drive-in-Wahllokale organisiert. Eine Briefwahl gibt es nämlich nicht.

Durch den Notstand kann die Regierung um den populistischen Milliardär Andrej Babis die Bewegungs- sowie die Versammlungsfreiheit einschränken, Personal für beispielsweise Krankenhäuser rekrutieren und auch Geschäfte schließen. Doch gerade hier bleibt sie vorsichtig: Die Wirtschaft soll unter keinen Umständen leiden.

Deswegen bleiben Restaurants, Hotels, Museen und Sehenswürdigkeiten laut dem Auswärtigen Amt mit Einschränkungen bezüglich ihrer Belegungs- oder Besucherzahlen weiter geöffnet.

Restaurants und Bars müssen nur zwischen 22:00 und 6:00 Uhr schließen. Und: Nur noch maximal sechs Personen dürfen an einem Tisch Platz nehmen. Bereits seit Mitte September gilt in ganz Tschechien mit einigen wenigen Ausnahmen eine Maskenpflicht in den Innenräumen und öffentlichen Verkehrsmitteln.

Tschechien plant wegen Corona keine Grenzschließungen

Die Grenzen werden - anders als im Frühjahr - nicht geschlossen. Auch soll es noch keine verstärkten Grenzkontrollen geben. Gesundheitsminister Prymula hatte bereits am Dienstag verkündet, dass den Tschechen im Moment kein Risiko aus den Nachbarländern drohe. Heute sei die Situation eine andere als im Frühjahr.

Tschechien hatte von Mitte März bis Anfang Juni weitreichende Einreisebeschränkungen für Ausländer verhängt und damit nicht nur die Wirtschaft, sondern vor allem auch die Grenzbewohner getroffen: Da Familien getrennt wurden, kam es an der polnischen Grenze zu Protesten.

Dies soll jetzt im Herbst anders werden. Für Grenzpendler beispielsweise aus Sachsen und allen anderen Einreisen aus den EU- und Schengenstaaten bedeutet der zweite Notstand laut dem Auswärtigen Amt nun, dass sie sich in Tschechien 48 Stunden lang frei bewegen können, ohne danach in Quarantäne zu müssen.

Auch die Durch- und Weiterreise ist ohne Anzeigepflicht bei den lokalen Hygienestationen möglich. Dabei ist es auch egal, ob man sich vorher in einem Landesteil aufgehalten hat, der im tschechischen Ampelsystem als grün oder rot (geringes oder hohes Risiko) eingestuft wurde. Anders jedoch sieht es für die tschechischen Bürger aus: Sie dürfen sich nur noch 24 Stunden lang in Deutschland aufhalten, ohne anschließend in die Quarantäne zu müssen.

Waren die Tschechen zu sorglos?

All diese Maßnahmen sollen nun die negativen Folgen eines "sorglosen Sommers" wieder wettmachen. Jarmina Razova, oberste Gesundheitsbeamtin des Landes, sagte laut dem ARD-Studio in Prag: "Vor zwei Wochen sind viele Leute aus dem Urlaub zurückgekommen. Die Kinder gehen zur Schule und wir alle kehren zu unserem gewohnten Alltag zurück. Die jetzige Lage entspricht also dem lockeren Verhalten, das wir über den Sommer gepflegt haben." Die Opposition wirft Regierungschef Babis vor, nicht gut auf die zweite Welle vorbereitet zu sein.

In der Hauptstadt Prag werden zudem die Intensivbetten knapp. Laut dem tschechischen Gesundheitsministerium befinden sich derzeit insgesamt 1.028 Patienten mit COVID-19 im Krankenhaus (Stand 1.10.2020). Zwölf Todesfälle gab es zuletzt an einem Tag. Insgesamt werden 678 Todesfälle mit einer COVID-19-Erkrankung in Verbindung gebracht (Stand: 2.10.2020). Das Land verzeichnet aktuell 39.391 bestätigte Fälle. Insgesamt sind es seit Ausbruch der Pandemie 74.255 (Stand 2.10.2020). Tendenz: weiter stark ansteigend.

Verwendete Quellen:

  • Auswärtiges Amt: Tschechische Republik: Reise- und Sicherheitshinweise
  • Deutsche Botschaft in Prag: Beschränkungen aufgrund des Coronavirus in der Tschechischen Republik
  • Tschechisches Gesundheitsministerium: Covid-19 epidemic in the Czech Republic
Interessiert Sie, wie unsere Redaktion arbeitet? In unserer Rubrik "Einblick" finden Sie unter anderem Informationen dazu, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte kommen.
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.