Der extrem effiziente und günstig zu produzierende Radnabenmotor von DeepDrive könnte bald erste Großserienmodelle antreiben und sehr niedrige Verbräuche ermöglichen. Zusammen mit BMW startet jetzt der erste Praxistest.

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Bei Effizienz, Kosten, Nachhaltigkeit, Gewicht und Leistung liegt der vom Münchener Start-up DeepDrive entwickelte Doppel-Rotor-Motor an der Spitze aller E-Motortechnologien. Das behauptet zumindest eine unabhängige Studie des E-Motor-Experten Shafigh Nategh von der Polytechnischen Universität Turin und dem CEO des bei Göteborg/Schweden ansässigen Unternehmens SEDRIVE. Auch BMW hat das Potenzial von DeepDrive früh erkannt, rechtzeitig investiert und will nun sogar erste Autos mit der Doppelrotor-Technologie auf die Straße bringen.

Video: Animation Radnabenmotor DeepDrive

Nach den ersten umfangreichen Testrunden und vielversprechenden Prüfstandergebnissen planen BMW und DeepDrive die Integration des E-Antriebs in unterschiedlichste BMW-Modelle. Dabei werden die Fahreigenschaften verschiedener Varianten des Antriebs auf der Straße getestet – sowohl als Radnabenantrieb als auch als klassischer Zentralantrieb. Beim Doppelrotor-Konzept von DeepDrive treibt der Stator sowohl einen innen- als auch einen außenliegenden Rotor gleichzeitig an. Bei kompakter Bauweise und niedrigem Gewicht schaffen die Motoren eine sehr hohe Drehmomentdichte bei niedrigem Verbrauch. Die Gewichtsersparnis kann dabei laut BMW bis zu 150 Kilogramm betragen.

BMW lobt hohen Reifegrad und Skalierungspotenzial

Für beide Unternehmen scheint die Zusammenarbeit sehr fruchtbar zu sein und viele Vorteile zu bieten. DeepDrive wird so schnell in die große Indrustrie integriert, BMW profitiert dagegen von den schnellen Entscheidungsketten und der hohen Innovationskraft des Startups. Dabei ist BMW voll des Lobes: "Die Musterteile von DeepDrive haben die angekündigten Eigenschaften meistens übertroffen", sagt Karol Virsik, Head of Research Vehicle Concepts and Technologies bei der BMW Group. "Das ist in so einer frühen Phase mit einer komplett neuen Technologie schon ungewöhnlich."

Auf der anderen Seite DeepDrive: "Die Zusammenarbeit mit BMW war für uns ein ganz frühes Sprungbrett", sagt Felix Pörnbacher, Mitgründer und Co-CEO von DeepDrive. "Das hat uns geholfen, uns in der komplexen Konzernwelt zurechtzufinden und die hohen Standards der Automobilindustrie zu erfüllen und zu übertreffen. Jetzt ist es unser nächstes Ziel, dass wir es in ein Serienmodell schaffen." Längst arbeitet das ebenfalls in München ansässige Start-up aber auch mit anderen großen Herstellern und Zulieferern wie Continental zusammen (siehe unten). Nach eigenen Angaben ist DeepDrive bereits mit acht der zehn größten Automobilherstellern der Welt in Kontakt.

BMW Start-up Garage machts möglich

Die technische Zusammenarbeit von DeepDrive und BMW wird innerhalb der BMW Start-up Garage realisiert. Seit 2015 existiert diese sogenannte "Venture Client Einheit" der BMW Group, die vor allem den frühen Zugang zu Start-up-Innovationen sichern soll. Ziel des Programms ist es, Start-ups zu evaluieren und als langfristige Partner für die BMW Group zu befähigen, und so am Ende beide Unternehmen zu stärken.

Deutscher Innovationspreis 2024

Am 19. April 2024 wurde DeepDrive dafür mit dem deutschen Innovationspreis geehrt. Der Preis wird einmal im Jahr von der WirtschaftsWoche und den Partnern Accenture, EnBW und O2 Telefónica an Unternehmen verliehen, die mit bahnbrechenden Produkten, Technologien oder Geschäftsideen aufwarten. Und auch die anfangs erwähnte Studie betont die Vorteile der von DeepDrive genutzten Doppelrotor-Konfiguration. "Sie hob sich als herausragend hervor und demonstrierte eine einzigartige Kombination aus Innovation und Effizienz", heißt es in der Studie.

Video: Animation Radnabenmotor DeepDrive

Vier Dinge seien demnach beim Münchener Konzept außergewöhnlich im Vergleich zu anderen: Herstellungskosten, Effizienz, Gewicht und CO₂-Emissionen. In internen Tests hat DeepDrive bereits Verbrauchsdaten mit diesen Antriebssträngen erhoben. Mit gemessenen WLTP-Fahrzyklusverlusten von 2,2 kWh/100 km sei der In-Wheel-Motor der effizienteste Antriebsstrang auf dem Markt. Dazu liegt das Potenzial zur Reduzierung sogar bei unter 1,3 kWh/100 km. Im Vergleich zum aktuellen Stand der Technik würde dies eine Reichweitensteigerung von gut 20 Prozent ermöglichen.

Zusammenarbeit mit Continental

Continental hat sich als einer der größten Automobilzulieferer der Welt die erste strategische Partnerschaft mit DeepDrive gesichert. Dabei geht es um die Entwicklung eines Radnaben-Elektromotors mit integrierter hydraulischer Bremse hin zur Serienreife. Bei der Antriebseinheit handelt es sich um den von DeepDrive patentierten Doppelrotor-Radialfluss-Motor.

Der ist extrem kompakt, hocheffizient und obendrein noch günstiger zu produzieren als ein vergleichbarer Zentralantrieb. Dank seiner enormen Drehmomentdichte kann er auf ein Getriebe und dessen Reibungsverluste verzichten. Schon 2025 will der Zulieferer damit erste Fahrzeuge aus Volumensegmenten ausrüsten. Denn Continental will nicht nur Bremskomponenten beisteuern, sondern sich ebenso bei Industrialisierung und Serienentwicklung einbringen. Continental war schon Anfang des Jahres über seine Corporate Venture Einheit (co-pace) neben BMW (BMW i Ventures) an der Start-up-Finanzierung beteiligt.

Trommelbremse und Scheibe möglich

Bisher scheiterten Radnaben-Konzepte oft an der mangelnden Integrationsmöglichkeit für konventionelle Aufhängungs- oder Bremskomponenten. Im hier vorgestellten Beispiel ist die konventionelle, hydraulische Bremse gleich in das Motorgehäuse integriert. Für Hinterachsantriebe reicht dafür – wie bei vielen VW ID-Modellen auf MEB-Plattform üblich – eine Trommelbremse. Die ist wartungsfrei und verzögert im Notfall stark genug. Übrigens sollen Radwechsel trotz Radnabenmotor wie gewohnt möglich sein.

"Wir haben sogar schon eine geschlossene Scheibenbremse in unseren Doppelrotor integriert", sagt der promovierte Elektro-Ingenieur und Mitgründer des Start-ups DeepDrive, Alexander Rosen. Damit wäre also ebenfalls der Einsatz an der Vorderachse denkbar. "Auch Allradantrieb ist mit vier Motoren problemlos realisierbar", betont Rosen. Langfristig würden ohnehin trockene Bremssysteme ohne hydraulische Komponenten in die Fahrzeuge wandern.

Vollintegriertes Corner Modul ersetzt Aufhängung

Die Entwicklungs-Zusammenarbeit mit Continental spielt dem Start-up dabei in die Hände, schließlich verfügt Conti in Hannover über Expertise in nahezu allen Fahrzeugkomponenten, ist in der Großserien-Industrie zu Hause und verfügt über engste Kontakte zu den Fahrzeugherstellern. Doch auch für Continental ergeben sich mit der platzsparenden Doppelrotor-Technik von DeepDrive neue Möglichkeiten. "Mit DeepDrive haben wir einen perfekten Partner gewonnen, mit dem wir gemeinsam und nachhaltig die Marktdurchdringung der Elektromobilität vorantreiben können", sagt der Leiter des Geschäftsfelds Safety and Motion bei Continental, Matthias Matic.

"Die von DeepDrive entwickelten Elektromotoren sorgen für eine höhere Reichweite in Elektrofahrzeugen. Sie sind leichter, kostengünstiger und ressourcenschonender." Nicht zuletzt träumen einige Entwickler in Hannover schon vom sogenannten Corner Modul – einer vollintegrierten Einheit im Rad, die weitere Fahrwerkskomponenten, wie Luftfedersysteme von Continental beinhaltet. Eine solche Anordnung würde im Fahrzeug selbst mehr Bauraum für Batterien oder Platz im Innenraum freimachen.

Anfahrdrehmoment von 1.500 Newtonmetern

Schon jetzt nimmt der eigentliche Motor mit einer Tiefe von nur 130 Millimetern nur wenig Bauraum ein. Mit 430 Millimetern Durchmessern passt er sogar in eine handelsübliche 19-Zoll-Felge. "Für unsere Technik müssen Autohersteller nicht unbedingt neue Plattformen entwickeln", erklärt uns einer der Mitgründer von DeepDrive, Felix Poernbacher im Gespräch. "Die Radnabentechnik lässt sich prima in bestehende Fahrzeuge integrieren." Schon heute haben die Münchener drei unterschiedlich große Radnabenmotoren im Sortiment. Der kleinste mit 300 Nm und 18 kW Spitzenleistung (RM 300) eignet sich dabei besonders für Micro-Mobilität oder Fahrzeuge mit einer Gesamtmasse von höchstens 1.200 Kilogramm.

Für E-Fahrzeuge in den Volumensegmenten ist allerdings besagte RM 1500 vorgesehen, die sich in 19-Zöllern verstecken lässt. Die liefert direkt am Rad bis zu 1.500 Newtonmeter und eine Spitzenleistung von 150 kW (204 PS). Dauerhaft bringt es die Maschine auf 80 kW. Zusammen mit dem E-Motor im gegenüberliegenden Rad käme das Fahrzeug also auf eine mehr als alltagstaugliche Gesamt-Dauerleistung von 160 kW (218 PS) – die kurzzeitige Maximalpower läge sogar bei über 400 PS.

Effizienz-Vorteil des Radnabenmotors

Der große Vorteil der Motorposition in der Radnabe ist seine Effizienz. Getriebe, Differenziale, Antriebswellen oder eine Untersetzung sind wegen des Direktantriebs nicht notwendig. Dadurch minimieren sich Verlustleistung und Gewicht – der Gesamt-Wirkungsgrad des Antriebs steigt. Am Ende sprechen die DeepDriver von 20 Prozent, die sich direkt in der Reichweite auswirken. Käme das zentral angetriebene E-Auto also 500 Kilometer weit, legt das identische Fahrzeug mit Radnabentechnik und der gleichen Menge Strom 600 Kilometer zurück. Schnell genug wäre ein Radnaben-Auto ohnehin. Rotiert die Maschine im Rad beispielsweise mit nur 1.600 Umdrehungen pro Minute, läge das Tempo schon bei 200 km/h.

Hinzu kommen enorme Vorteile bei der Verkabelung. Weil zudem die Leistungselektronik im Motorgehäuse unterkommt, müssen nur Gleichstromkabel von der Batterie zum Rad geführt werden. Die können vom Kabelquerschnitt deutlich kleiner sein, als die bekannten, orange-ummantelten Pendants von klassischen Zentralantrieben. "Trotz 300 bis 450 Ampere kommen wir mit 25 mm2 bis 35 mm2 aus", versichert uns Alexander Rosen. Neben den Kabeln müssen dafür allerdings Kühlschläuche und konventionelle Hydraulik-Leitungen zum Rad geführt werden. Die Kühlung der Konverter passiert über eine fahrzeugseitige Platte, die die Antriebseinheit zudem vor Staub, Wasser oder mechanischen Einflüssen schützen soll.

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Nicht zuletzt bietet die DeepDrive-Doppelrotor-Radialflussmaschine einige Produktionsvorteile. Sie braucht 80 Prozent weniger Eisen, 50 Prozent weniger Magnetmaterial und verursacht 30 Prozent niedrigere Kosten (pro Nm) in der Herstellung als leistungsmäßig vergleichbare herkömmliche Aggregate. Vor allem kann der Doppelrotor-Motor auf die erwähnten schweren seltenen Erden verzichten.  © auto motor und sport

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