Beinahe täglich liest man von Einsatzkräften, die angepöbelt, in ihrer Arbeit behindert oder sogar tätlich angegriffen werden. Ein Rettungssanitäter erzählt von den Herausforderungen bei seiner Arbeit und davon, wie man ihnen begegnen kann.

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Sie leisten mit ihrer Arbeit einen wertvollen Dienst für die Gesellschaft und werden doch immer wieder selbst zur Zielscheibe: Laut dem Merkblatt "Handlungshilfe ‚Gewalt gegen Einsatzkräfte" des Landesverbands Westfalen-Lippe des Deutschen Roten Kreuzes hat die Gewalt gegen Einsatzkräfte in den vergangenen Jahren zugenommen.

Das Spektrum reiche dabei von verbaler Gewalt über Sachbeschädigung bis hin zu Körperverletzungen und Waffengewalt.

Nimmt die Gewalt gegen Rettungskräfte zu?

Bei einer Erhebung der Ruhr-Universität-Bochum aus dem Jahre 2017 gaben 60 Prozent der befragten Einsatzkräfte an, in den vergangenen zwölf Monaten Formen der Gewalt ausgesetzt gewesen zu sein.

Ein Ergebnis, das auch Florian Lacher bestätigen kann. Er ist seit 1995 im Rettungsdienst tätig. Zehn Jahre lang hat er hauptberuflich dort gearbeitet. Seit 15 Jahren koordiniert er als Einsatzleiter Rettungseinsätze in enger Abstimmung mit der Polizei und Feuerwehr. Außerdem ist er Dozent in einer Berufsfachschule für die Ausbildung zum Notfallsanitäter.

Seiner Meinung nach stimmt es durchaus, dass verbale und tätliche Angriffe zunehmen und der Job gefährlicher wird. "Die Grenzen fallen zunehmend, sodass man sich immer öfter die Polizei dazu holt", so Lacher. "Ich glaube schon, dass ein bisschen schneller Fäuste fliegen, gespuckt wird und auch Kraftausdrücke fallen, als früher."

Welche Möglichkeiten haben Rettungskräfte um sich zu wehren?

Durch das Gesetz zur "Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften" aus dem Jahre 2017 wurde Rettungskräften der Rücken gestärkt.

Demnach droht bei tätlichen Angriffen auf Polizisten, ermittelnde Staatsanwälte, Feldjäger und andere Sicherheitskräfte bis zu fünf Jahren Haft. Ebenso geschützt werden dadurch jetzt hauptamtliche und ehrenamtliche Kräfte der Feuerwehr, des Katastrophenschutzes und der Rettungsdienste.

Im Falle eines drohenden oder konkreten Angriffs darf die Einsatzkraft die Hilfeleistung unterlassen, bis diese Gefahr gebannt ist. Die Einsatzkraft darf sich im konkreten Angriff mit dem mildesten, effektiven Mittel wehren, um sich selbst oder andere zu schützen.

Florian Lacher plädiert dafür, ein Stück weit zu versuchen, für Menschen in Ausnahmesituationen Verständnis aufzubringen. Das bedeute, sich auch für manche Situationen ein dickeres Fell zuzulegen, was natürlich nicht immer gelänge. "Ein Austausch im Kollegenkreis zur Bewältigung solcher Angriffe ist da sicher hilfreich und wird auch gelebt."

Fairerweise müsse man seiner Meinung nach aber auch erwähnen, dass bei vielen Kollegen im Rettungsdienst durch Arbeitsüberlastung und Frustration das eigene Nervenkostüm dünner geworden sei. Dies sei einer Deeskalation auch nicht dienlich.

Lacher fände es wünschenswert, dass Rettungssanitäter im Bereich Prävention und Deeskalation kompetenter ausgebildet würden. Dagegen sei es inzwischen gut etabliert, Einsatzkräften nach psychisch traumatisierenden Einsätzen zu helfen.

Wie umgehen mit Gaffern?

Wer durch Gaffen an einer Unfallstelle oder Blockieren der Rettungsgasse auf der Autobahn die Versorgung von Verunglückten erschwert, kann danach mit bis zu einem Jahr Haft bestraft werden. Auch mit Gaffern hat Florian Lacher im Laufe der Jahre so seine Erfahrungen gemacht.

"Man wird immer wieder mit Schaulustigen konfrontiert, ich persönlich habe aber im Einsatzgeschehen nie mitbekommen, dass Gaffer tatsächlich die Arbeit behindert hätten", so der Experte.

"Es gehört auch zu unseren Aufgaben, Leute in Ausnahmesituationen vor neugierigen Blicken zu schützen, deshalb gibt es immer mal wieder eine Konfrontation mit Leuten, die sich im Umfeld aufhalten. Die gab es allerdings auch früher schon."

Viele Menschen seien aber auch hilfsbereit, das dürfe man nicht vergessen zu erwähnen. Im Umgang mit Gaffern bewirke ein höfliches, nettes Wort oftmals schon viel. Oft helfe es auch, diesen Menschen den Spiegel vorzuhalten. Wenn man beispielsweise den Leuten klarmache, dass sie in einer ähnlichen Situation sicher auch nicht so betrachtet werden wollten, funktioniere das meistens.

Was passiert, wenn es für Einsatzkräfte kein Durchkommen gibt?

Florian Lachers Erfahrung ist, dass die Bildung einer Rettungsgasse weitestgehend klappt. Manche Verkehrsteilnehmer stünden verkehrt, weil sie nicht mitdenken, so seine Einschätzung. Dass jemand vorsätzlich die Rettungsgasse zumache, glaube er nicht.

Wenn Einsatzkräfte beispielsweise aufgrund der Verkehrslage nicht zum Unfallort durchkommen, dann sei dies in erster Linie schicksalshaft für den Patienten und eine adäquate Rettung und Versorgung verzögere sich gefährlich lange. "Hier verspürt man dann oft eine echte Hilflosigkeit", so Lacher.

"Durchaus versucht man dann, logistisch Fahrzeuge aus anderen Richtungen, der Gegenspur oder auch Rettungsmittel aus der Luft heranzuziehen. Dies ist aber immer auch von der Geografie der Einsatzstelle abhängig."

Verwendete Quellen:

  • Interview mit Florian Lacher
  • bussgeldkatalog.org: Sonderrechte nach § 35 StVO
  • feuerwehrmagazin.de: Was Ihr beim Fotografieren von Einsätzen beachten müsst
  • pnp.de: "Dürfen nicht zuschauen": Immer mehr Gewalt gegen Einsatzkräfte
  • lassretten.de: Gewalttaten gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte in Bayern
  • bundestag.de: Bundestag beschließt besseren Schutz für Be­amte und Rettungskräfte
  • drk-westfalen.de: Merkblatt Handlungshilfe "Gewalt gegen Einsatzkräfte"

Schaulustige: Seien Sie kein Gaffer

"Schaulustige", ein von der Sparkasse Osnabrück geförderter Kurzfilm. Er soll eine gesteigerte öffentliche Wahrnehmung für das Thema "Schaulustige bei einem Rettungseinsatz" bewirken und dazu auffordern, kein Gaffer zu werden. © YouTube
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