Schon wieder ein neues "Tatort"-Team, diesmal kommt es aus Erfurt. Weil man in Sachen Ermittler in der hoffnungslos überfüllten deutschen TV-Krimi-Landschaft schnell den Überblick verliert, musste ein deutlich herausgearbeitetes Alleinstellungsmerkmal her. Der produzierende MDR fand auch eines: In Erfurt ist man jung, jung, jung! Und das nicht nur, weil der Debütfall "Kalter Engel" in der Studentenszene spielt, sondern auch die drei Hauptdarsteller Friedrich Mücke ("Friendship!"), Alina Levshin ("Kriegerin") und der aus Thüringen stammende Lokalmatador Benjamin Kramme alle knapp unter oder über 30 Jahre alt sind.

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Wie nervenzerfetzend ist die Spannung?

Eher nervig denn nervenzerfetzend kommt eine sinnlose Verfolgungsjagd zu Beginn des "jungen" ARD-"Tatorts" daher. Da müssen die Buddy-Kommissare Henry Funck (Mücke) und Maik Schaffert (Kramme) beweisen, dass sie so richtig wilde, junge Hunde sind – die nach dem Auslauf von ihrer gestrengen Chefin (Kirsten Block) gebändigt werden müssen. Als Krimimotiv ist dies ziemlich abgeschmackt.

Danach braucht der Zuschauer erst mal eine Weile, bis er die beiden Pappenheimer wieder ernst nehmen kann. Richtig spannend wird‘s jedoch auch später nicht. Ermittlungen schreiten in gemächlichem Tempo einer studentischen Semesterarbeit vor sich hin, das auf einen "Wettlauf mit der Zeit" gebürstete Finale wirkt konstruiert.

Ergibt das alles Sinn?

Abseits der bemühten Inszenierung eines jungen Lebensgefühls bei den Kommissaren erzählt der erste Erfurter Fall von einer Mordserie an jungen Frauen. Obwohl der Täter - wir erinnern uns an die gescheiterte Actionszene zu Beginn – gefasst scheint, wird eine weitere junge Frau ermordet am Fluss Gera gefunden. Es handelt sich um die 24-jährige Studentin Anna Siebert. Kennzeichen: hübsch, verblüffend teuer gekleidet und ziemlich unbeliebt.

Bei Nachforschungen in der WG der Toten und im sonstigen studentischen Umfeld treffen Funck, Schaffert und ihre Praktikantin Johanna Grewel (Levshin) auf eine kalte, berechnende Welt aus Leistungsdruck und Liebeswahn. So, wie die Jugendlichkeit bei den Ermittlern ein wenig nervt, scheint sie unter den Studenten Erfurts gänzlich zu fehlen. Wie alte, völlig desillusionierte Menschen schleichen die thüringischen Kommilitonen durch diese Krimi-Konstruktion. Das kann einen in guten Momenten ein wenig gruseln, realistisch erscheint diese Derrick-hafte Seelenlosigkeit allerdings nicht.

Braucht man das Drumherum?

Jedes neue Team will eingeführt werden. Oft ist das ein Problem in Fall Nummer eins, weil dies zu Lasten der Spannung geht. In "Tatort: Kalter Engel" wurde dies souverän gelöst, da erst gar keine Spannung aufkommt. Immerhin sind die privaten Koordinaten ganz nett ausgedacht: Henry Funck ist alleinerziehender Vater, in seine Nachbarin verliebt und ein wenig arrogant. Sein Kumpel Schaffert ist Single, hat einen Boxsack in seinem Apartment und ernährt sich tagsüber von Energy-Drinks (Bürokühlschrank) und abends von Bier (heimischer Kühlschrank). Praktikantin Grewel sieht hübsch aus, ist aber ein bisschen bieder und besserwisserisch. Aus diesen Eigenschaften sollten sich noch ein paar Folgen bauen lassen.

Würde man diese Kommissare im Notfall rufen?

Nach der Eröffnungssequenz nicht – sie würden einem ja nur die Wohnung kaputttreten.

Wie fies sind die Verbrecher?

Am fiesesten ist hier das Opfer, was ja in der Regel keine schlechte Idee ist. Mitleid hat man mit dem restlichen in Frage kommenden Täterpersonal. Wäre das Studieren heutzutage überall so stressig wie im Erfurter "Tatort", müssten alle Mörder rund um den Uni-Betrieb ohnehin mildernde Umstände bekommen.

Muss man das sehen?

Das Potenzial eines Krimis mit jungen Ermittlern wurde eindeutig verschenkt. Dennoch ist das Trio Mücke, Kramme und Levshin sympathisch und auch das schauspielerische Potenzial ist vorhanden. Gebt dem Erfurter Jungvolk ein besseres Drehbuch und lasst die bemühte Flockigkeit der Ermittler bleiben. Dann kann das in Zukunft durchaus noch etwas werden.  © 1&1 Mail & Media/teleschau

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