Mit einem unbedachten Spruch über die Hautfarbe von David Jackson sorgte eine Kandidatin bei der RTL-Show "Bachelor" kürzlich für Aufregung. In den sozialen Medien wurde im Anschluss über Alltagsrassismus und seine Auswirkungen diskutiert. Aber was ist das überhaupt?
Im Interview mit unserer Redaktion spricht Reiner Becker, Leiter des Demokratiezentrums Hessen, über alltäglichen Rassismus und seine Folgen. Der Politikwissenschaftler erklärt, was sich in den letzten Jahren geändert hat und was noch passieren muss.
Eine allgemeine Frage zum Einstieg: Was ist Alltagsrassismus?
Reiner Becker: Allgemein ist Rassismus die Abwertung von anderen Menschen, die man einer konstruierten Gruppe zuordnet. Aus einer sozialpsychologischen Perspektive wird die eigene Gruppe dabei höher gewertet. Die Höherwertung der eigenen Gruppe geschieht dadurch, dass man andere abwerten muss. Das hat eine sehr lange Geschichte, ob es der anti-schwarze Rassismus ist, die sogenannte Muslim-Feindlichkeit oder der Kolonialismus, dessen Folgen bis heute nachwirken. Oder der Antisemitismus, die wahrscheinlich am längsten bekannte Form der Abwertung. Antisemitismus und Rassismus sind keine Konzepte, die rein ideologisch sind und nur abstrakt in Fachbüchern stattfinden. Es zeigt sich im Alltag der betroffenen Menschen in verschiedensten Formen.
Wie zum Beispiel?
Durch Sprüche, durch Beleidigungen, durch Übergriffe. Ob es verbaler Art ist, ob wir es in Texten oder in Büchern finden, was auch immer wieder ein Thema ist. Oder ob man es wie beim Thema Antisemitismus auf der weltgrößten Kunstschau in Kassel findet. Es ist keine enge, geschlossene Ideologie, sondern zeigt sich auf vielschichtige Art und Weisen. Die Wahrnehmung von Rassismus hängt sehr stark davon ab, wie sehr man von Rassismus grundsätzlich und tatsächlich im Alltag betroffen ist. Davon können nur Menschen berichten, die tagtäglich damit Erfahrungen machen und aufgrund ihrer Hautfarbe oder ihres Namens im Alltag von Rassismus betroffen sind.
Bei der RTL-Datingshow "Bachelor" gab es kürzlich eine Situation, in der der Bachelor
An solchen Beispielen macht sich die ganze Diskussion fest. Menschen, die mit ihrer Sprache Rassismus produzieren, sehen das oft gar nicht so und weisen es von sich. Der Bachelor hat den Spruch als "No-Go" bezeichnet, im Nachgang wird der Schokoladen-Spruch als rassistisch bezeichnet. Auf Twitter und in den sozialen Medien entwickelt sich dann eine Diskussion, die einem Ping-Pong-Spiel gleicht. Bei der relativiert wird, bei der das Thema oft ins Lächerliche gezogen wird. Was ich wirklich hilfreich finde, ist darüber nachzudenken, was es heißt, nicht von Rassismus betroffen zu sein. Und was es heißt, davon betroffen zu sein. Den meisten von uns fehlt die Betroffenenperspektive, die Erfahrungsgrundlage dafür, was es bedeuten könnte, von Kind auf in diesem Land mit solchen Sprüchen – die ja angeblich nie so gemeint sind – konfrontiert zu sein. Das bindende Glied könnte sein, dass man sagt: "Ich möchte Menschen nicht beleidigen und ich will auch nicht beleidigt werden."
Sie habe als weiße Person solche Erfahrungen nicht gemacht, entschuldigte sich Kandidatin Saskia. Ist das eine nachvollziehbare Entschuldigung?
Das korrespondiert genau mit dem, was ich eben gesagt habe. So etwas kann passieren, unsere Sprache ist voll mit diesen Dingen und wir sind sprachlich so sozialisiert worden. Bei anderen Dingen ist hingegen schon sehr lange klar, dass es eine rassistische Konnotation hat. Beim "Z-Schnitzel" oder dem "N-Kuss" wissen wir, dass Menschen damit beleidigt werden. Und trotzdem werden diese Wörter immer wieder hervorgehoben, nach dem Motto: "Warum soll ich das nicht sagen dürfen? Früher durfte man es doch auch sagen?“ Früher konnten wir also Menschen viel besser beleidigen. Das ist ein "schöner" Blick in die Vergangenheit.
Der Begriff "Z-Schnitzel" hat vor 20 Jahren noch niemanden gestört. Einerseits gibt es eine Sensibilisierung in der Gesellschaft, gleichzeitig aber auch eine Gegenbewegung.
Ja, es gibt beides. Und beides hat mit Sensibilität zu tun. Gerade für viele junge Menschen ist das überhaupt kein Thema mehr, das merkt man in vielen Bereichen. Es ist eine Generationenfrage, eine Frage der gemeinsamen Sprache. Und da sind wir wieder beim Alltag. Andere Formen der Sprache zu kritisieren, reizt natürlich viel mehr. Beispiele dafür sind auch die Umbenennungen von Straßen oder Apotheken. Soll die "M-Apotheke" umbenannt werden, ja oder nein? Sprache verändert sich, sie ist ein Ausdruck der Zeit. Damit müssen wir uns auseinandersetzen. Es ist ein Diskurs, es geht mehr um die Regeln des Diskurses, als um den Gegenstand selbst. Hier ist symptomatisch, dass viele Debatten eigentlich nicht mehr als Debatten geführt werden. Wir sprechen nicht umsonst in Teilen von Polarisierung oder Spaltung der Gesellschaft. Das zeigt sich auch in solchen Diskussionen.
Wie sehr tragen die sozialen Medien, in denen oft rassistische Meinungen anonym geäußert werden, zu dieser Spaltung bei?
Die sozialen Medien sind keine Diskursräume, sie wecken in diesem Fall eher niedere Instinkte. In den sozialen Medien findet man die vielbeschworene Polarisierung. Wenn es um ein solches Beispiel wie aus dem "Bachelor" geht, sind sofort die Positionen geklärt. Das "Das wird man ja wohl noch sagen dürfen"-Argument wird dann noch mit einem Meme versehen und hat sofort seine Deute- und Zustimmungsgemeinschaft. Wir sprechen über eine Technik, die uns scheinbar überfordert. Aber wenn man die Bedeutung der sozialen Medien in diesem Zusammenhang zu sehr hervorheben würde, würde man Symptom und Ursache verwechseln.
Die Frage "Wo kommst du denn her?" ist tatsächlich oft von ernsthaftem Interesse geprägt, wird aber von Menschen mit Migrationshintergrund häufig negativ aufgenommen. Ist das ein weiteres Beispiel für alltäglichen Rassismus?
Die möglicherweise interessierte Frage, wo jemand herkommt, würde ich nicht per se als rassistisch bezeichnen. Die gefragte Person antwortet dann möglicherweise, sie komme aus Castrop-Rauxel oder München - über eine solche kleine Irritation findet man vielleicht den Punkt, zu wissen, dass eine Person trotz nicht biodeutschem Namen oder nichtweißer Hautfarbe genauso hier geboren ist wie man selbst und es entwickelt sich vielleicht ein Gespräch. Wenn es darum geht, sich täglich zu begegnen, dürfen wir auch Fehler machen. Und wir dürfen auch darauf hingewiesen werden, dass wir Fehler gemacht haben. Das ist eigentlich etwas Alltägliches. Mit der zweiten insistierenden Nachfrage wird man dann vielleicht feststellen, dass die Frage für mich vielleicht unverfänglich ist, aber die Person gegenüber hat sie schon tausendmal gehört, was verletzend ist, obwohl sie vielleicht den gleichen Dialekt spricht wie ich.
Was muss sich in unserer Gesellschaft ändern, um Alltagsrassismus zu verhindern?
Der Rassismus findet im Alltag in vielfältiger Weise statt. Wir führen in Hessen viele Projekte durch, bei denen man schon in der Kindertagesstätte oder später in der Schule ansetzt, um für diese Fragen zu sensibilisieren. Sensibilisierung ist ein Thema, Teilhabe ist das zweite, Bildung das dritte. Man muss den Alltag von Menschen sichtbar machen, um aufzuzeigen, wie erfahrbar Rassismus für verschiedene Menschen ist. Auch Forschung spielt dabei eine wichtige Rolle. Die Bundesregierung hat einen Rassismusmonitor initiiert, bei uns am Demokratiezentrum Hessen gibt es in unserem neuen Forschungsbereich ein Teilprojekt zum Thema Rassismus. Einfach um deutlich zu machen, in welchen Bereichen der Rassismus stattfindet und welche Folgen das für die betroffenen Menschen hat. Unter dem Strich gibt es aber nicht das eine Patenrezept. Es ist ein Prozess. Ich finde, es passiert vieles, aber das ist noch nicht ausreichend. Man muss auch in anderen Zeiträumen denken und kann leider nicht die Erwartung haben, dass das Thema in kurzer Zeit erledigt sein könnte. Rassismus und Antisemitismus sind dafür viel zu tief in unserer Gesellschaft verwurzelt.
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