Vielleicht sind ja "Tatort"-Autoren im Innersten ihres Herzen Science-Fiction-Fans. Vielleicht würden sie lieber Star-Wars-Trilogien schreiben oder James-Bond-Filme inszenieren.

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Kleine Fälle vor Ort, ein Mord und seine Aufklärung, psychologische Motive und Hintergründe reichen ihnen jedenfalls seit Längerem schon nicht mehr. Das war in Bremen so, in Wien – und jetzt also auch in Leipzig. Die Welt ist voller Drohnen, Raketen, Geheimdiensten und Giftgas im Nahen Osten. Da ist nun mal die Verlockung groß, gedanklich hinaus in die weite Welt zu schweifen – dabei liegt das Gute doch so nah.

Im Leipziger "Tatort" "Die Wahrheit stirbt zuerst" wäre das die Aufklärung eines Kindsmords gewesen. Ein kleines Mädchen wird an einem zugefrorenen, verschneiten Waldsee gefunden. Wie Schneewittchen ist die Leiche in ein Boot drapiert. Sehr bald deutet alles auf ein Familiendrama hin. Die Mutter (Anne Ratte-Polle, angemessen verhärmt) wollte mit dem neuen Lebensgefährten nach Ägypten ziehen und dort ein neues Leben beginnen. Möglicherweise hatte das der leibliche Vater in letzter Minute verhindern wollen, so schließen die Leipziger Kommissare, die strickbemützte Simone Thomalla und der gesichtsgegerbte Martin Wuttke, messerscharf.

Alles nachvollziehbar. Erst recht, als der Vater des Kindes, von dem die Mutter getrennt lebte, mit aufgeschnittener Pulsader in seinem Auto aufgefunden wird. Alles deutet auf einen erweiterten Selbstmord hin. Dass die Tochter Asthmatikerin war, spielt dabei eine besondere Rolle: Die kleine Amelie hätte auf einem letzten Ausflug mit ihrem Vater dringend ihr Asthma-Spray gebraucht, der Vater hatte es ihr - warum auch immer - vorenthalten.

Sehr plötzlich wird nun leider aus dem bösen deutschen Krimimärchen mit der toten Prinzessin eine Science-fiction-Posse, in der es um getunte Leipziger GPS-Systeme geht, um Raketenabwehr im Sudan, an der das BKA indirekt beteiligt ist. Ein starkes Stück, zumal Katja Riemann als Stargast die Alleswissende spielt, die man den armen Leipzigern vor die Nase setzt. Wie ein Tornado spielt sie wuschelköpfig und mit gewohntem Silberblick unser gutes, altes Polizistenpärchen an die Wand – eine James Bondin wie sie im Buche steht.

An entscheidender Stelle hat zudem der Tonmann dem Mikro den Saft abgedreht (oder war’s der Cutter?), sodass man den ganzen Humbug einfach glauben musste, wollte man sich den Krimi-Abend nicht ganz vermiesen. Regisseur Miguel Alexandre gab sein Bestes, auch wenn er fast alle Akteure mit weit aufgerissenen Augen (Riemann) und Mündern (Thomalla) ins Overacting trieb. Doch hatte so beim erschreckend schlecht zusammengezimmerten Asthma- und Raketen- Plot wenigstens die Oberfläche ihren Thriller-Reiz.

Wenn die "Tatort"-Autoren – hier gleich drei an der Zahl: André Georgi, Harald Göckeritz und Regisseur Alexandre - erst einmal wieder wegkämen von ihren verquasten CIA-Ideen und - zugegeben – derzeit nicht ganz unmotivierten BKA-Einmischungen samt Dauerstress für die armen örtlichen Kommissare, könnte vielleicht auch im "Tatort" der ARD die Wahrheit wieder zum Leben erwachen. Diese Hoffnung jedenfalls stirbt ganz zuletzt.  © 1&1 Mail & Media/teleschau

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