Das Prinzip der Doku-Reihe "Kannst Du ein Tier töten?" ist simpel: Fleischesser nehmen ihre Nahrung als Lebewesen mit Bewusstsein und Charakter wahr, nicht als stetig verfügbares Verzehrprodukt aus der Kühltheke. Was das wirklich heißt, erlebten die Zuschauer in der Auftaktfolge am Freitag: Die halbstündige Extrem-Doku im NDR war nichts für schwache Nerven und gerade deshalb lehrreich und relevant.

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Ein bestürztes "Gott!" - Das war Mayas Reaktion auf die fast schon liebevoll zurechtgelegten Schlachtermesser. Der Blick der 24-Jährigen gab Aufschluss über ihre Gefühlswelt. Maya Leidig studiert Geografie in Göttingen und isst gerne Fleisch aus der Region.

Nun sah sie dabei zu, wie ein Schaf nach einem Kehlenschnitt in einen Ausguss ausblutete. "Ich habe versucht, das sehr rational zu sehen", so die junge Frau nach der miterlebten Tötung.

Dass dieses Vorhaben nicht zu 100 Prozent gelang, liegt nahe. Schließlich handelte es sich um ihre erste Schlachtung. Außerdem hat sie gemeinsam mit dem Schaf dessen letzte Tage verbracht: vom Füttern des Tieres, über dessen Transport, bis hin zu seiner Tötung und dem Zerlegen des Körpers war sie mit dabei.

"Schafe haben einen unglaublich guten Instinkt"

In diesem Fall kannte die Studentin den Schäfer sogar persönlich. Kai Söth ist ihr Stiefvater und eigentlich Ur-Hamburger. Er beschloss von einem Tag auf den anderen aufs Land zu ziehen und Schafe zu züchten.

Er hält bewusst lediglich eine geringe Anzahl, um sich um jedes einzelne Tier zu kümmern. Eine echte Herzensangelegenheit. Dementsprechend kommt jeder Gang zur Schlachtung auch für ihn einer Überwindung gleich.

"Schafe haben einen unglaublich guten Instinkt: Mutterinstinkt, Überlebensinstinkt", sagte er. "Aber je intelligenter ein Tier ist, umso schwerer ist es ja, es aus dem Leben zu befördern."

Einfacher werde es auch nach mittlerweile zahlreichen Abläufen nicht. Wie nahe ihm die Entscheidung über Leben und Tod eines seiner Tiere geht, bezeugt, dass er sich selbst wie ein "Verräter" fühlt, führt er ein Tier zur Schlachtbank.

"Auf der einen Seite hegt und pflegt man seine Tiere, und dann beschließt du: Du hast heute deinen letzten Tag." Aus diesem Grund tragen seine Schafe auch keinen Namen.

Explizite Schlacht-Prozedur

Maya ging auf einer Weide in der norddeutschen Provinz auf Tuchfühlung mit dem wolligen Vieh. Sie hat die Schafe mit Äpfeln und Zwiebeln gefüttert und sie auf dem Feld beobachtet. Beim Gedanken an die Schlachtung machte sich "Unbehagen" bei Maya breit. Der Respekt vor dem entscheidenden Moment war groß.

Sie war unsicher, ob sich ihre Sicht auf Fleisch-Produkte nach dem Erlebnis ändert: "Ob ich Fleisch esse, oder nicht?" - Auf dem Weg zum Schlachthof fing die Kamera nachdenkliche Gesichter ein. Sowohl Söth als auch Maya blicken gedankenverloren aus dem Fenster.

Laut Söth handelte es sich bei dem zu verzehrenden Schaf um ein Exemplar einer charakterlich genügsamen, aber pflegeintensiven Rasse, die ihn viel Zeit und Geld kostet. Die freie Haltung am Waldrand und die dementsprechend abwechslungsreiche Nahrung der Tiere mache sich in der Qualität des Fleisches bemerkbar. "Wenn ich meine Schlachtkörper esse, habe ich manchmal das Gefühl, ich beiße in den Wald."

Die Schlacht-Prozedur wurde dann ebenso wie der Kadaver des Tieres sehr explizit gezeigt: Nachdem das aufgeregte Tier von seinem Auto-Anhänger in den gekachelten Raum gebracht und mit einer sogenannten Betäubungszange gelähmt wurde, wird zum tödlichen Schnitt angesetzt. Maya verfolgte die blutige Szenerie ruhig, mit aufgerissenen Augen, Kai brauchte anschließend draußen einen Moment für sich.

"Was ich sehr befremdlich fand: Als das Fell des Schafes mitsamt dem Kopf zur Seite gelegt wurde, waren die Augen offen", beschrieb Maya die beklemmende Situation, als das eben noch zuckende Tier regungslos in die Kamera blickte.

Schlachtung mit allen Sinnen erlebt

Anschließend reflektierte Maya ihr eigenes Verhalten. Dass sie trotz des Gesehenen beim Verlassen des Schlachthofes Hunger verspürte, kommentierte sie erschüttert: "Das kann jetzt nicht sein."

Allerdings glaubt sie: "Es ist eine Erfahrung, die man mal gemacht haben sollte", so die 24-Jährige, die die Tötung nach eigener Aussage nicht nur sah, sondern auch hörte, roch und fühlte. Schließlich landet das Fleisch gemeinsam mit Kartoffelpüree und Gemüse auf dem Teller von Maya und ihrem Stiefvater.

Ob die offene Darstellung der Schlachtung auch die Einstellung mancher Zuschauer ändert, ist fraglich. Eine Anekdote Söths zeigt jedoch, dass es nötig ist, ein Bewusstsein zu schaffen.

Er berichtete seiner Cousine von den Filmaufnahmen. Diese empörte sich, wie er sich nur dafür hergeben könne - wohlgemerkt während des Verzehrs eines Schinkencroissants. "Auch hierfür ist ein Tier gestorben", hat er entgegnet.

Verwendete Quellen:

  © 1&1 Mail & Media/teleschau

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