Bereits dem Titel kann der Zuschauer entnehmen, worum es in dem Horrorfilm "A Quiet Place" (zu Deutsch: "Ein ruhiger Ort") von Regisseur John Krasinski gehen soll: Stille. Genauer gesagt, die Last der Stille. Ganz so philosophisch wird es dann aber doch nicht.

Daria Raegany
Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Daria Raegany dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Legt eine Mutter ihre Finger an die Lippen und bedeutet ihrem Nachwuchs damit still zu sein, ist es meist aus Rücksicht vor anderen Menschen. Die Kleinen sollen nicht so laut sein, die Großen möchten sich unterhalten.

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Es geht um Höflichkeit.

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Wenn Evelyn Abbott (gespielt von Emily Blunt) im neuen Horrorfilm "A Quiet Place" ihren bebenden Finger an die Lippen hebt, weiten sich die Augen ihrer Kinder vor Angst.

In der postapokalyptischen Welt, in der die Familie lebt, kann jedes Geräusch das letzte sein, das man hört. Es geht ums nackte Überleben: Stille bedeutet relative Sicherheit, Lärm der sichere Tod.

Die Geschichte der Familie Abbott um Oberhaupt Lee (gespielt von John Krasinski) in einer postapokalyptischen, von Aliens heimgesuchten Zukunftswelt, schafft es, den Zuschauer in ihren Bann zu ziehen.

Was genau mit der Zivilisation, wie wir sie kennen, passiert ist, bleibt vage - was kein Manko des Films ist. Man reimt sich die vorausgegangenen Geschehnisse selbst zusammen.

Das Szenario spielt in der Zukunft. Auf der Erde wandeln inzwischen riesenhafte, blinde Wesen, die durch ihre dicken Panzer unzerstörbar wirken. Sie gehen auf alles los, was Geräusche verursacht.

Eine liebende Familie

Gut an diese lebensfeindliche Umgebung angepasst haben sich die Familienmitglieder. Sie laufen ausschließlich barfuß, bestreuen die Wege mit Sand, um ihre Schritte zu dämpfen und kommunizieren per Gebärdensprache.

Nützlich dafür ist das Schicksal von Regan. Die älteste Tochter ist taub. Die Familie wusste also schon vor der Katastrophe, wie man sich ohne Worte verständigen kann.

Anders als im Horror-Genre oft üblich, weisen die Charaktere eine persönliche Tiefe auf, die Dynamik innerhalb der Familie ist erlebbar, es gibt Innigkeit und Emotionalität – und alles ohne viele Worte.

So teilt das Ehepaar etwa in stillem Tanz einen intimen Moment der Zweisamkeit mit dem Publikum. Die Musik läuft dabei über Kopfhörer, die sich beide teilen.

Auch beim familiären Tischgebet, bei dem sich Eltern und Kinder an den Händen fassen, entsteht der Eindruck von Wärme und Geborgenheit - als Kontrast zur verstörenden Apokalypse vor der Tür.

Das anschließende Essen findet in absoluter Stille statt, keine distanzierte Stille, bei der sich die Beteiligten nichts zu sagen hätten. Vielmehr handelt es sich um die Art nonverbaler Kommunikation, die große Vertrautheit ausdrückt.

Statt mit Worten wird mit Körpersprache und Gesten gearbeitet. Die Darsteller bringen ihre Charaktere glaubhaft auf die Leinwand und vermitteln dem Zuschauer das Bild einer intakten Familie innerhalb einer zerstörten Lebenswelt.

Emily Blunt und John Krasinski sind liebende Eltern, die ihre Kinder vor dem Horror zu beschützen versuchen. Dabei liefern auch die Kinderdarsteller Millicent Simmonds als Regan und Noah Jupe als Marcus eine bemerkenswerte Leistung ab.

Kein blutiger Horror-Schocker, sondern leise Töne

Hier wird nicht mit Blut gespritzt, es überwiegen die leisen Momente, in denen der Zuschauer den Atem anhält. Das sind die starken Momente. Und dennoch hat "A Quiet Place" auch seine Schwächen.

Die Idee ist vielversprechend, die Umsetzung solide, die Geschichte in ihrer Logik aber bisweilen lückenhaft - und auch das Finale bietet keine wirklich cineastische Offenbarung.

Trotzdem ist "A Quiet Place" wenn auch kein Meilenstein des Genres, so aber doch ein guter Horror-Film der etwas anderen Art. Er macht das Grauen einem breiten Publikum zugänglich, überschreitet dabei auch die Schwelle zur Science-Fiction.

Klassische Horror-Elemente, wie Schocker-Szenen, bekommen durchaus ihre Momente, doch verschiebt sich - ohne nun zu spoilern - gegen Ende der Fokus des Films.

Dabei sind es vor allem die Szenen aus Sicht der tauben Regan, die dem Zuschauer vermitteln, wie beklemmend sich Stille anfühlen kann.

Auch Situationen, in denen Lärm unumgänglich scheint, werden clever gelöst: etwa bei der Geburt eines Kindes.

Ganz ohne Geräusche kommt also auch "A Quiet Place" nicht aus. Dennoch verfehlt die Stille als zentrales Element des Horrors nicht ihre Wirkung. Expertin Sieglinde Geisel weiß, woran das liegt.

Die Stille ist unerträglich

Die Autorin des Buches "Nur im Weltall ist es wirklich still: Vom Lärm und der Sehnsucht nach Stille" hat sich für ihre Buch-Recherchen mit dem Thema Stille auseinandergesetzt.

Den psychologischen Aspekt von "A Quiet Place" findet Geisel interessant: "In unserer Welt glauben wir ja immer, das Schlimmste sei der Lärm und wir würden darunter ganz furchtbar leiden. Es gibt aber etwas, was noch schlimmer ist als Lärm - und das ist die Stille. Damit können wir ganz schwer umgehen."

Und so sind es auch diese Szene des Films, die Momente absoluter Stille, die dem Kino-Zuschauer ein beklemmendes Gefühl vermitteln.

"Wir schützen uns durch Lärm", erklärt Geisel. "Schlimm ist es nur, wenn man die einzelnen Geräusche nicht lokalisieren kann. Ein Klangteppich nimmt Stress weg."

Unter Stress steht der Zuschauer die meiste Zeit des Films. Hartgesottenen Horror-Fans könnte das Gefühl eines klassischen Schockers fehlen.

Für ein breites Publikum aber ist "A Quiet Place" durchaus sehens- und hörenswert.

Der Horrorfilm "A Quiet Place" kommt am Donnerstag, 12.04. in die Kinos.
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