Im neuen Schwarzwälder "Tatort" hat eine reiche Fabrikantenwitwe kurz vor ihrem Tod ihre Gesellschafterin geheiratet – für ihre Kinder ein Skandal. Für die Kommissare Tobler und Berg ist "Was wir erben" dagegen ein komplizierter Fall um Gier, verletzte Gefühle und eine sehr deutsche Erblast.

Eine Kritik
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Wenn es in vornehmen Villen des deutschen Bildschirm-Bürgertums ums Erben geht, dann sind die niederträchtigen Nachkommen nicht weit. Hier geht es so los: Eine reiche Schokoladenfabrikantenwitwe (ein Wort, das man sich für die nächste Runde Scrabble merken sollte) sitzt im Standesamt und heiratet ihre Gesellschafterin. Die Gleichgeschlechtlichkeit der beiden spielt allerdings überhaupt keine weitere Rolle – Elisabeth Klinglers Nachkommen geht es in der anschließend einberufenen Familienzusammenkunft mitsamt Anwalt nur um die Eheschließung an sich.

"Mami!" ruft Tochter Gesine entsetzt, und Sohn Richard glaubt auch, dass "Mami" übergeschnappt sei. Und so albern die Anrede für die elegante Mutter wirkt, so kindisch verhalten sich ihre verwöhnten Blagen. Über die anwesende Gesellschafterin - und frisch gebackene Ehefrau - reden Gesine und Richard, als sei sie gar nicht im Raum. Elena Zelenko ist eine Hausangestellte, die gefälligst mit der Einrichtung verschmelzen soll und sich nun als "manipulative Hexe" unverschämterweise in den Vordergrund drängt.

"Tatort: Was wir erben": Omas Geld ist wichtiger als Omas Glück

Gesine und Richard sind, so ist schnell klar, die Sorte Kinder, die sich intensiv um das Erbe kümmert und wenig um die Erblasserin. Enkelin Toni ist die Einzige, die sich über "Omis" spätes Liebesglück freut. Allerdings nicht ganz ungetrübt: Als der Anwalt verkündet, Elena solle das Haus vermacht werden, ist auch Toni (Johanna Polley) verstört – die Studentin ist Waise und hat ihre Kindheit im Internat verbracht, Omi und der prächtige Familiensitz wurden in den Ferien zu ihrem Zuhause.

Mitten in der Aufregung verlässt Elisabeth Klingler aufgebracht den Raum, Elena folgt ihr und dann kommt es zur Tragödie, die die Ermittler auf den Plan ruft: Die Witwe stürzt, landet im Koma und Tochter Gesine verdächtigt Elena des Mordversuchs. Übereifrig unterstützt von Bruder Richard, der ebenfalls umgehend mit verdächtigen Indizien aufwarten kann.

Der Kommissarin zeigt sich die hässliche Fratze des Bürgertums

Es ist eine ziemlich hässliche Fratze, die sich den Kommissaren Franziska Tobler (Eva Löbau) und Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner) hinter all der arroganten Vornehmheit im Folgenden präsentiert. Vor allem Franziska Tobler mit ihrem bodenständigen Gerechtigkeitssinn kann ihre Ungeduld und Irritation kaum verheimlichen – die Verlogenheit und beleidigte Selbstgerechtigkeit der Kinder ist schwer zu ertragen.

Wie ihr Vorbild Claude Chabrol, der in seinen Filmen so gern das französische Bürgertum sezierte, inszeniert Regisseurin Franziska Schlotterer "Was wir erben" auch als Klassenkonfrontation. Als Kommissar Berg Elena Zelenko gegenüber bedauert, sie in ihrer Trauer als Verdächtige behandeln zu müssen, winkt die nur ab: Den Verantwortlichen tue es "immer nur leid", und es treffe immer "die da unten". Für Gesine wiederum sind die Staatsbediensteten Tobler und Berg "die da unten": Gönnerhaft merkt sie an, sie wisse ja, dass die Polizei unterbezahlt und überarbeitet ist, die beiden sollten den Fall aber bitte trotzdem schnell klären.

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Dieser "Tatort" ist böse, aber kein Film von Claude Chabrol

Wir erwähnen die französische Kinolegende Chabrol nur, weil Franziska Schlotterer sie als Inspirationsquelle nennt, aber wir werden die Regisseurin für den Vergleich nicht haftbar machen: Natürlich ist "Was wir erben" kein Chabrol.

Es fehlt dem Drehbuch (von Patrick Brunken) die elegante Scharfzüngigkeit und die verwöhnten Erben wirken eher schmierig (Richard) oder verhärmt (Gesine) als dekadent. Und weil die Villa einfach ein bisschen zu deutsch, zu spießig eingerichtet sein muss, fehlt auch dem Set der aparte Charme, den französische Filme dem deutschen Publikum so einfach bieten können.

"Was wir erben" ist stattdessen ein sehr deutsches Drama über die Last des Erbens und darüber, was diese Jahrhunderte alte Gepflogenheit mit einer Familie macht.

Der von Jan Messutat gespielte Richard ist zwar nur ein simpler Tunichtgut, der das Familienvermögen schlichtweg als Geldquelle für seine halbseidenen Partygeschäfte verschwendet und entsprechend dringend benötigt. Aber Jenny Schily darf seine Schwester Gesine als komplexere Figur zeichnen: Gesine hat die Leitung der Pralinenfabrik auch aus Verantwortungsgefühl gegenüber der Familie übernommen. Elisabeth Klingers Heirat und drohende Testamentsänderung empfindet sie dadurch als persönliche Beleidigung, ein Schlag der Mutter ins Gesicht ihrer nach Anerkennung dürstenden Tochter.

Ein Klischee auf vernünftigen Absätzen

Und das Thema nimmt eine weitere, seine urdeutsche Dimension an, als der Fall eine dieser "überraschenden Wenden" nimmt, die in diesem Fall nicht wirklich überraschend ist: Schließlich sehen wir Elena Zelenko (Wieslawa Wesolowska) von Anfang an nur in blümchenbedruckten Altfrauenkleidern als anklagendes Orakel durch die Geschichte wandern – ein "russlanddeutsches" Klischee auf vernünftigen Absätzen.

Aber es ist diese Wendung, die Elenas Beziehung zur toten Witwe eine neue Dynamik verleiht und auch der Beziehung zwischen Elisabeth Klingler zu ihrer Tochter Gesine eine ganz neue Dynamik verliehen hätte – nur ist der Krimi leider vorbei, bevor er diese Komplikationen ausloten darf. Auch das angespannte Verhältnis zwischen Gesine und ihrer Nichte Toni, die sich genau die Freiheiten nimmt, die Gesine sich nie zu nehmen traute, kann nur angedeutet werden.

Diese Erblast unter Frauen – das ist das spannende Thema, das nachwirkt, das von diesem Schwarzwälder "Tatort" übrig bleibt.

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