Im neuen "Tatort" aus Franken steht inmitten der lieblichen Landschaft eine Villa, die einmal ein Landschloss gewesen sein muss. Sie gehört der Familie Hentschel. Johannes Hentschel hat den Familienbetrieb zu einem der wichtigsten Zulieferer der Autoindustrie gemacht. Aber wenn man ihn so sieht in seinen Samtwesten inmitten seines verschnörkelten Holzmobiliars, könnte man meinen, man hat es mit dem fränkischen Markgrafen eines vergangenen Jahrhunderts zu tun.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Iris Alanyali dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Johannes Hentschel (André Jung) hat zwei Söhne, die den Betrieb übernehmen werden. So wie er den Betrieb von der Familie seiner Frau übertragen bekommen hat, weil man Töchter keine Geschäfte lenken lässt. Weshalb Antonia, seine ehrgeizige Erstgeborene, sich vor über einem Jahr das Leben genommen haben soll. Johannes Hentschel hat noch eine zweite Tochter, Eva (Sina Martens), aber die hält sich immer brav im Hintergrund und stört nicht weiter.

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Dieser Tatort gehört zum Subgenre des Psychopatriarchenkrimis

Doch jetzt haben Kommissar Felix Voss' Ermittlungen die Familie aufgemischt. Dazu kommen wir gleich. Erst einmal kommt Eva zu spät zum Abendessen. Als sie endlich auftaucht und ihren Vater des Mordes an ihrer älteren Schwester beschuldigt, nippt dieser am Rotwein und tupft sich die Lippen an der Damastserviette ab. Diese Sorte Familienoberhaupt ist Johannes Hentschel.

Mit anderen Worten: "Hochamt für Toni" ist ein "Tatort", der zum beliebten Subgenre der Psychopatriarchenkrimis gehört. Darin geht das Unheil immer von Familien aus, deren Mitglieder im Würgegriff eines Dickkopfes stehen, der steif und fest an Traditionen und seiner Machtposition festhält. An seiner Seite steht meist eine deprimierte Ehefrau – hier sitzt sie (Marita Breuer) im Rollstuhl und flüchtet sich lieber in ihr Künstleratelier im Wintergarten.

Der Nachwuchs teilt sich auf in überambitionierte Thronfolger und frustrierte Tunichtgute. In diesem Fall kümmert sich der biedere Sohn Christian (Johannes Allmayer) um die Geschäftsbücher, während sein Bruder Lukas (Sebastian Zimmler) einen gelben Porsche fährt und ein paar Hügel weiter mit Papas Geld ein Luxushotel bauen will – um "etwas Eigenes" zu haben.

Die "Tatorte" aus Franken sind immer ziemlich philosophische "Tatorte"

Psychopatriarchenkrimis machen meist viel Spaß, weil in einem herrlich abgehobenen und exaltierten Ambiente fesselnde Urtragödien erzählt werden, an denen Therapeuten ihre Freud'sche Freude hätten und die weniger extrem auch in gewöhnlicheren Familien vorkommen könnten. Auf "Hochamt für Toni" trifft das nicht zu. Dabei stammt das Buch von Bernd Lange, der unter anderem den Ausnahme-Zweiteiler "In der Familie" zum 50. "Tatort"-Jubiläum 2020 geschrieben hat.

Unter der Regie von Michael Krummenacher schwelgt dieser "Tatort" begeistert in den Bildern, die ihm die Landadel-Kulisse bietet, will aber eigentlich unbedingt etwas anderes erzählen: ein Melodram von der verlorenen Liebe des Felix Voss (Fabian Hinrichs).

Die "Tatorte" aus Franken sind oft philosophische "Tatorte", weil Kommissar Voss neben dem Mord immer auch in Sachen Leben ermittelt. Außer einem Mörder immer auch den Sinn des Lebens zu suchen scheint. Trotzdem sind die Folgen nie träge Bedeutsamkeitsbrocken: Erstens kommt Felix Voss bei aller Gedankenverlorenheit immer als ein heiterer Menschenfreund daher, und zweitens ankert ein spannendes Verbrechen den Fall im Hier und Jetzt.

Nach dem Mord ist Felix Voss melancholischer als sonst

"Hochamt für Toni" aber wirft Felix Voss in die Vergangenheit: Antonia war seine große Liebe während der Studienzeit in Berlin. Der Dritte im Bunde war Marcus Borchert (Pirmin Sedlmeir), der inzwischen Priester ist in der Gemeinde, die von den Hentschels kontrolliert wird.

Borchert hat seinen alten Freund in die Kirche bestellt, um ihm etwas Wichtiges über Toni zu erzählen. Und wird kurz zuvor ermordet. Und jetzt ist Felix Voss noch melancholischer als sonst.

Ganz schön lange ist Felix Voss ganz schön traurig. Und wütend. Aber weniger wegen des Mordes an Marcus, sondern wegen Toni. Geplagt von Erinnerungen. Was hätte sein können, was hätte werden können aus ihm und der Geliebten.

"Hochamt von Toni" ist eine melancholische Geschichte über verpasste Gelegenheiten

Der Kommissar in ihm ist entschlossen, der Sache auch polizeilich auf den Grund zu gehen. Indem er im Dorf umherfährt. In des Priesters Sachen sucht. In Büchern blättert. Antonias Familie auf die Nerven geht.

Die hat das verdient, die drei Hentschel-Männer sind wahre Dreckskerle. Aber fast alles, was wichtig ist für Felix Voss und für den Fall, ist längst passiert und wird nur nacherzählt. Tonis Schwester Eva erzählt es Felix, Tonis frühere Anwältin erzählt es Kommissarin Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel). Tonis Mutter erzählt es beiden.

Hinzu kommen einfallslose Szenen aus Felix Voss' Studienzeit: er und Toni beim Tanzen, er und Toni beim Schwimmen, er und Toni beim Picknick. Womit man die Liebe eines jungen Paares im wilden Berlin eben so bebildert.

"Hochamt von Toni" ist eine melancholische Geschichte über verpasste Gelegenheiten. Über das, was hätte sein können, wenn man andere Entscheidungen getroffen, mehr Mut bewiesen, mehr Vertrauen gezeigt hätte. Mehr träger Bedeutsamkeitsbrocken als spannender Krimi.

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