Heutzutage darf selbst in den entlegensten Ecken der Welt eines nicht fehlen: der inszenierte Schnappschuss, der später samt Geo-Tag in den sozialen Medien landet. Manch Instagram-tauglicher Ort erlangte so unerwarteten Ruhm. Das kann den Tourismus ankurbeln - aber auch weitreichende Folgen haben.

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Bunte Tulpenfelder in den Niederlande, ein türkisblauer Bergsee samt Fischerboot oder eine pittoreske Almhütte - all diese Orte haben eines gemeinsam: Sie geben das ideale Instagram-Motiv ab. Und genau das wollen alle haben.

"Da will ich auch hin!", steht häufig in den Kommentaren unter den Bildern. Orte, wie zum Beispiel der wildromantische Lago di Braies (Pragser Wildsee) in Südtirol, wurden so zu kleinen Berühmtheiten - manche sogar zu regelrechten Instagram-Wallfahrtsorten.

Dem durch soziale Medien ausgelösten Andrang können die Destinationen allerdings nicht immer standhalten. "Durch die sozialen Medien können Orte unvorhergesehen und quasi über Nacht zur touristischen Attraktion werden", sagt Laura Jäger, Referentin bei Tourism Watch der Fachstelle für mehr Nachhaltigkeit im Tourismus.

Manchmal braucht es nur einen einflussreichen Menschen, um ganze Orte zu ruinieren und für diese gibt es kaum Möglichkeiten zu steuern, wie sie in den sozialen Medien dargestellt werden.

Appenzeller Dorf wird von Touristen überrannt

Genau das wurde einem malerischen Berggasthof im Schweizer Kanton Appenzell zum Verhängnis. Vorbei war's mit entspannter Hüttenromantik, denn dank der Touristen, die hier das perfekte Bild fürs Netz suchten, war plötzlich die Hölle los. Die Infrastruktur des Gebäudes konnte nicht mit der sprunghaft gestiegenen Gästezahl Schritt halten. Die Pächter gaben daher zum Saisonende 2018 auf.

Auch die Stadt Lake Elsinor litt dieses Frühjahr unter dem Ansturm der Instagrammer. Jedes Jahr lockt der "Superbloom" der Mohnwiesen die Besucher in die Hügel des Walker Canyons im Süden Kaliforniens. Dieses Mal allerdings zu viele.

Rund 50.000 Menschen strömten in die Felder und zertrampelten auf der Suche nach dem besten Motiv hemmungslos die blühenden Mohnblumen, um sich dann hinterher als Naturliebhaber auf Instagram zu inszenieren.

Ähnliche Szenen spielen sich in den Niederlanden zur jährlichen Tulpenblüte ab. Anstatt auf den befestigten Wegen zu bleiben, gehen die Fotowütigen in die Felder und hinterlassen dort nicht nur kaputte Blumen, sondern auch Müll. Ihre Pkws stellen sie unerlaubterweise irgendwo ab und blockieren Zufahrtsstraßen.

Nach dem Besucheransturm haben die kalifornischen Behörden nun die Reißleine gezogen und den Zugang zu den Mohnfeldern an den Hängen des Walker Canyon gesperrt.

Auch in den Niederlanden sperrten dieses Jahr zum ersten Mal Bauern und Tulpenzüchter Felder ab oder stellten Hinweisschilder auf, die zum respektvollen Umgang aufrufen: "Genießt unsere Blumen, respektiert unseren Stolz". Ein Appell an die Instagram-Jünger, die wie Heuschrecken über beliebten Schauplätze herfallen und ohne Rücksicht auf Verluste Blumenzwiebeln zertrampeln und Tulpenfelder zerstören.

Instagrammability - Das Phänomen hat einen Namen

Diese Entwicklung hat längst einen Namen bekommen, der unter "instagrammable" bereits im renommierten Wörterbuch "Merriam Webster's Dictionary" verankert ist.

Millennials, so heißt es, suchten ihre Urlaubsziele nach ihrer Social-Media-Verwertbarkeit aus. Eine Umfrage einer britischen Versicherungsfirma in 2017 bestätigt, dass vierzig Prozent aller Reisenden unter 33 Jahren ihr Reiseziel nach "instagrammability" auswählen, weshalb einige Reiseziele derzeit besonders boomen.

Island und Neuseeland erweisen sich anscheinend als besonders Instagram-tauglich, ebenso Norwegen. Inzwischen stehen sich die Touristen zu Hunderten für den perfekten Schnappschuss am Roys Peak in Neuseeland und an der Felszunge Trolltunga bei Skjekkedal in Norwegen die Beine in den Bauch.

Tourismus ist ein zweischneidiges Schwert

Doch so alt wie der Tourismus, ist auch die Klage über die Touristen. Immerhin macht sich die Tourismusbranche die sozialen Medien und Influencer auch gerne zunutze.

Hier baut eine große deutsche Reederei ein neues Schiff und verspricht laut Pressemitteilung "instagrammable moments", dort prahlt ein Luxushotel, es gehöre zu den "most instagramable" Hotels - und auch andernorts weiß man, wie wichtig Tourismus ist - etwa für die Entwicklung bestimmter Regionen und den kulturellen Austausch.

Dass der Tourismus ein zentraler Wirtschaftsfaktor ist, Massentourismus aber enorme Belastungen mit sich bringt, war schon vor der Zeit der sozialen Netzwerke und Influencer so. Instagram verstärkt den Effekt jedoch, weil die Plattform auch kleine, unbekanntere Orte durch genau zu ortende Geo-Tags populär macht.

Maßnahmen gegen den Massenandrang

Bleibt die Frage, was gegen die Folgen des Massenansturms getan werden kann. Ein Patentrezept gibt es nicht, aber grundsätzlich müssen Fremdenverkehrspolitik und Reiseveranstalter immer im Blick behalten, wo die kritische Grenze eines Ortes ist.

Wenn es zu so einem Ansturm kommt, "gilt es schnell und professionell darauf zu reagieren", so Laura Jäger von Tourism Watch. Orte müssten dann Grenzen definieren, damit weder die Umwelt noch die Bewohner unter dem Touristenwachstum leiden.

Allen voran steht jedoch die Aufklärung. Oft steckt pure Unwissenheit hinter achtlosem Verhalten. Viele Menschen haben heute zudem den Bezug zur Natur verloren und sind sich darüber nicht im Klaren, was sie möglicherweise anrichten.

Das niederländische Fremdenverkehrsamt beispielsweise unterstützt deswegen die Tulpenbauern mit einem "dos and don'ts"-Guide. Dieser soll Touristen zeigen, wie man ein Selfie nahe einem Tulpenfeld macht, ohne dabei Pflanzen zu zerstören.

Auch in Neuseeland sah sich die Behörde für Umweltschutz dazu veranlasst, die vielen neuen Besucher über richtige Verhaltensregeln in der Natur zu unterrichten.

Selbstregulierung der Influencer und posten ohne Geo-Tag

Reisende und vor allem reisende Influencer müssen sich bewusst machen, wie sich ihr Verhalten vor Ort und in den sozialen Medien auf die Zielgebiete auswirken kann. Das klappt immer besser. In vielen Superbloom-Posts beispielsweise weisen die Urheber darauf hin, dass für das Foto keine Blumen zertrampelt wurden und ermahnen andere Instagrammer zu mehr Rücksicht.

Manche maßregeln sich auch untereinander. So hat sich kürzlich ein russischer Influencer in Island durch sein Fehlverhalten und seine Uneinsichtigkeit den Zorn seiner Fans zugezogen.

Jeder Urlauber hat es zudem selbst in der Hand, im Rahmen seiner Möglichkeiten nachhaltiger zu reisen. Auch abseits der touristischen Pfade und der populären Instagram-Spots lässt sich Spannendes entdecken. Auf den Geo-Tag sollte man dann aber auch mal verzichten.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch/Nachfrage Tourism Watch Laura Jäger
  • dpa
  • Reisereporter.de: Instagram zerstört diese Orte komplett
  • Nw.de: Wie Instagram-Jünger Reiseziele in Bedrängnis bringen
  • Utopia.de: Instagram-Tourismus: Reise-Influencer muss Geldstrafe zahlen
  • Independent.co.uk: "Instagrammability": Most important factor on choosing holiday destination
  • Cbsnews.com: Crowds overwhelm lake Elsinore
  • Nytimes.com: Is Geotagging on Instagram Ruining Natural Wonders?
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