Kleinkinder sollten nicht vor Bildschirmen geparkt werden, bestätigt eine neue Studie aus den USA. Denn der digitale Babysitter lässt die weiße Gehirnmasse schrumpfen. Das wirke sich auf die sprachlichen Fähigkeiten aus. Grund könnten jedoch indirekte Zusammenhänge sein: Wer vorm Bildschirm hängt, hat weniger Zeit, mit Menschen in seiner Umgebung zu sprechen.

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Dass zu viel Zeit vor Bildschirmen gerade für kleinere Kinder und deren Entwicklung schädlich sein kann, ist bereits bekannt. Nun gibt eine neue Studie weitere Hinweise darauf, wie sich der Medienkonsum auf das junge menschliche Gehirn auswirkt.

Mediziner berichten im Fachmagazin "JAMA Pediatrics" von strukturellen Unterschieden in bestimmten Hirnregionen bei Kindern, die besonders viel Zeit vor Bildschirmen verbringen. Das wirke sich speziell auf ihre sprachlichen Fähigkeiten aus.

Experten warnen vor zu viel Bildschirmzeit

"Das Hauptproblem ist in meinen Augen, dass Kinder, die viel Zeit vor Bildschirmen verbringen, weniger selbst sprechen und weniger dem Sprechen anderer lauschen", sagt Martin Korte von der Technischen Universität Braunschweig. Der Professor für zelluläre Neurobiologie war selbst nicht an der Studie beteiligt. Für die Entwicklung des Gehirns sei es am besten, wenn Eltern direkt mit ihren Kindern agierten, diese sich bewegten und Sport trieben.

Ähnlich formuliert es Christian Montag, Leiter der Abteilung Molekulare Psychologie an der Universität Ulm und ebenfalls nicht an der Studie beteiligt: "Ein Zuviel an Bildschirmzeit reduziert bei Kindern die Gelegenheit für echtes Spielen und dabei besonders für körperlich betontes Spielen." Solch ein "Rough and Tumble Play" genanntes Spielverhalten sei bedeutsam für das Entwickeln der Grobmotorik und sozialer Kompetenzen.

"Ich sehe keine Notwendigkeit von Bildschirmzeit für ganz kleine Kinder", betont Neurobiologe Korte. Die Sorgen mancher Eltern, ihr Nachwuchs könne durch ein Vorenthalten digitaler Medien in jungen Jahren einen Nachteil haben, sei unbegründet. "Kinder holen das später schnell nach."

Veränderungen im Gehirn nachgewiesen

Für ihre Studie hatten die Wissenschaftler des Cincinnati Children's Hospital Medical Center 47 Kinder im Alter zwischen drei und fünf Jahren untersucht. Zunächst wurde erfasst, wie viel Zeit diese vor Bildschirmen inklusive tragbarer Geräte verbrachten. Anschließend wurden die Kinder kognitiven Tests unterzogen, zudem wurden mit einer speziellen Form der Magnetresonanztomografie (DW-MRI) Aufnahmen ihrer Gehirne gemacht.

Bei den Kindern mit mehr Bildschirmzeit war die sogenannte weiße Substanz im Hirn verändert. Diese besteht aus Nervenfasern, die einzelne Hirnregionen miteinander verbinden und deren kommunikativen Austausch regeln. Die Mediziner beobachteten vor allem eine Wirkung auf jene Areale, die die Entwicklung von Sprache unterstützen. Damit verbunden sind bildliche und kognitive Fähigkeiten, mentale Kontrolle und Selbstbestimmung.

"Das Netzwerk, das die verschiedenen Sprachareale miteinander verbindet, war weniger dicht - vereinfacht könnte man davon sprechen, dass die Leitungsgeschwindigkeit der entsprechenden großen Datenautobahnen im Gehirn verringert war", erklärt Martin Korte von der TU Braunschweig.

Passend dazu schnitten die betroffenen Kinder schlechter in sprachlichen Tests ab. Konkret verwendeten sie eine ausdrucksschwächere Sprache, waren langsamer bei der Benennung von Objekten und insgesamt weniger weit in der Entwicklung ihrer sprachlichen Fähigkeiten.

"Diese Studie wirft die Frage auf, ob zumindest einige Aspekte der bildschirmbasierten Mediennutzung in der frühen Kindheit zu einer suboptimalen Stimulation während dieses prägenden Stadiums der Gehirnentwicklung führen können", gibt Hauptautor John Hutton zu bedenken.

Weitere Studien laut Experten notwendig

Christian Montag von der Universität Ulm plädiert für mehr Forschung. "Da in diesem wichtigen Bereich aufgrund der eher dürftigen Studienlage immer noch viel spekuliert wird, sind Studien wie die vorliegende Arbeit bedeutsam", erklärt er. Neurobiologe Korte unterstreicht: "Die Ergebnisse sollten sehr ernst genommen werden - auch wenn noch unklar ist, ob die beobachteten Schäden bleibend sind."

Einschränkend weist Montag darauf hin, dass es sich um eine korrelative Studie handelt, die keinen Aufschluss über Ursache-Wirkungsprinzipien zulasse. Es sei weiter ungeklärt, warum es durch ein Zuviel an Bildschirmzeit zu Veränderungen in der Hirnarchitektur kommen könnte. "Handelt es sich um direkte Effekte von einem Zuviel an Bildschirmzeit auf die Hirnentwicklung oder um indirekte Medieneffekte?"

Zuviel Bildschirmzeit führe beispielsweise zu weniger Möglichkeiten, direkt mit den Eltern zu sprechen und so die eigenen Sprachfähigkeiten zu schulen - ein Aspekt, den Martin Korte noch erweitert: "Zur Entwicklung von Sprache gehört auch, die Gestik und Mimik von jemandem zu beobachten, der spricht." Umso wichtiger sei es, dass Eltern ihre Kinder ansähen, wenn sie mit ihnen sprächen, anstatt etwa aufs Smartphone zu schauen.

Weitere negative Folgen von Bildschirmnutzung bekannt

Für Korte reiht sich die aktuelle Studie in eine Reihe von Untersuchungen ein, die mögliche negative Folgen unserer intensiven Nutzung digitaler Medien ergeben haben. Er spricht etwa das hohe Suchtpotential an, das sowohl bei Kindern als auch Erwachsenen festgestellt wurde, die Schrumpfung des Arbeitsgedächtnisses sowie die Abnahme der Konzentrationsfähigkeit durch Multitasking, welches oft mit digitaler Mediennutzung verbunden ist.

Zudem bedeute eine abendliche Bildschirmnutzung, dass man länger dem blauen Licht der Geräte ausgesetzt sei, was zu schlechterem Einschlafen und entsprechend kürzerem Schlaf führe.

In Deutschland raten Kinder- und Jugendärzte, bei Kindern unter drei Jahren keine Bildschirmmedien einzusetzen. Für Martin Korte sind diese alles in allem ein Werkzeug, bei dem es auf die Art der Nutzung ankomme: "Die Dosis macht das Gift und das gilt auch für digitale Medien." (dpa/kad)

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