Viele träumen von der Frührente, doch die meisten können sie sich nicht leisten. Doch jetzt gibt es neue Möglichkeiten: Seit Januar dürfen Frührentnerinnen und -rentner unbegrenzt hinzuverdienen, ob in Voll- oder Teilzeit. "Finanztest" hat ausgerechnet: Das kann sich richtig lohnen.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Ulrike Sosalla dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Manchmal kommen Revolutionen ganz unscheinbar daher. Zum Beispiel die kleine Renten-Revolution, die seit Anfang Januar in Kraft ist. Seitdem dürfen Frührentnerinnen und -rentner unbegrenzt dazuverdienen – also Rente beziehen und gleichzeitig weiterarbeiten, ohne dass wegen des beruflichen Einkommens die Rente gekürzt wird.

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Eine spontane Umfrage unter der Generation 60 plus in meinem Bekanntenkreis hat ergeben, dass sich noch lange nicht herumgesprochen hat, was das in der Praxis bedeutet. Viele hatten zwar das Wortmonster "Wegfall der Hinzuverdienstgrenzen" schon mal irgendwo gelesen. Doch welche Folgen es für ihren eigenen Geldbeutel hat, hatten die meisten noch nicht überschlagen.

Deshalb jetzt einmal zum Mitschreiben: Egal, ob Normal- oder Besserverdiener – wer 35 oder 45 Beitragsjahre voll hat, sollte auf jeden Fall in Erwägung ziehen, mit 63, 64 oder 65 Jahren die Rente zu beantragen. Und zwar unabhängig davon, ob er oder sie noch bis zur regulären Altersgrenze weiterarbeiten möchte. Wer auf die Frührente verzichtet, verschenkt seit Januar unter Umständen Geld.

"Finanztest" hat verschiedene Möglichkeiten durchgerechnet. Besonders erfreulich: Die Kombination aus früher Rente und Voll- oder Teilzeitjob lohnt sich besonders für Beschäftigte, die auf 45 Versicherungsjahre kommen und die deshalb keine Rentenabschläge hinnehmen müssen.

Bei meiner Mini-Umfrage unter meinen Bekannten gab es drei sehr unterschiedliche Fraktionen zum Thema Frührente.

  • Ein Teil will auf jeden Fall so schnell wie möglich das Arbeitsleben hinter sich lassen und lässt sich auch von der Aussicht auf mehr Geld nicht umstimmen.
  • Ein anderer Teil würde es am liebsten genauso machen, fürchtet aber, dass die Rente nicht reicht.
  • Und die Dritten finden Frührente sowieso nicht attraktiv und wollen weiterarbeiten, bis sie regulär mit 66 oder 67 Jahren in Rente gehen.

Wenig erstaunlich: Die letzte Gruppe ist die kleinste. Doch egal, welcher Fraktion man zuneigt: Die Frührenten-Revolution hält für alle drei Gruppen gute Nachrichten bereit.

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Fall 1: Auf jeden Fall früher in Rente

Für die Frührenten-Fraktion ändert sich wenig – sie können ab 63 ihre wohlverdiente Freizeit genießen. Wer 35 Jahre lang Beiträge gezahlt - oder durch Ausbildung, Elternzeit etc. Rentenzeiten gesammelt hat - kann mit 63 Jahren mit Abzügen in Rente gehen. Die Abschläge sind jedoch hoch – den frühen Abschied muss man sich leisten können.

Für jeden Monat, den man früher in Rente geht, fällt die Rente lebenslang 0,3 Prozent geringer aus. Das hört sich wenig an – macht aber viel aus. Für den Modellfall mit einem Durchschnittsverdienst heißt das: Statt regulär 1.517 Euro Rente bekäme er ab 63 Jahren nur 1.291 Euro Rente pro Monat.

Fall 2: Früher in Rente, falls das Geld reicht

Jetzt wird es spannend. Für alle, die einen früheren Rentenbeginn etwa mit Teilzeitarbeit abfedern wollen, ergeben sich aus dem neuen Gesetz ganz neue Möglichkeiten. Hier heißt es: Rechnen und abwägen – am besten mithilfe einer Rentenberatung der gesetzlichen Rentenversicherung, die hier Hilfestellung geben kann.

"Finanztest" hat das für einen Durchschnittsverdiener berechnet, der mit 64 Jahren seine 45 Versicherungsjahre erreicht hat. Das heißt, dass er zu diesem Zeitpunkt abschlagsfrei Frührente beziehen könnte. Seine Rente ist allerdings ein wenig niedriger, als wenn er weiterarbeiten würde, weil ihm zwei Jahre Einzahlungen fehlen.

Das kann er mit Teilzeitarbeit mehr als ausgleichen: Falls er mit einer halben Stelle weiterarbeitet und gleichzeitig Renten bezieht, erhöht sich nicht nur seine Rente. Er hätte in diesem Fall nach Steuern und Sozialabgaben genauso viel Einkommen verfügbar wie jemand, der Vollzeit arbeitet, ohne vorzeitig Rente zu beantragen.

Das zeigt: In einigen Fällen lohnt es sich finanziell besonders, die verschiedenen Möglichkeiten durchzuspielen. Und: Teilzeit kann gerade für Ältere ein guter Weg sein, um den langsamen Ausstieg aus dem Job finanziell und kräftemäßig besser hinzubekommen.

Fall 3: Bis zur Regelaltersgrenze voll arbeiten

Auf den ersten Blick könnte man denken, dass sich für diese Gruppe gar nichts ändert. Doch auch die Fraktion "Rente mit 67" profitiert von den neuen Regeln. Die "Finanztest"-Berechnungen zeigen: Wer über 63, 64 oder 65 Jahre hinaus im Job bleiben will, sollte trotzdem prüfen, ob der gleichzeitige Bezug der Frührente nicht deutlich vorteilhafter ist.

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Denn über einen Zeitraum von drei oder vier Jahren fließt die Rente zusätzlich zum Arbeitseinkommen. Zwar sind dann auch höhere Einkommensteuern und Sozialabgaben fällig, unter dem Strich bleibt in den Berechnungen für unsere Modellfälle aber trotzdem deutlich mehr Geld übrig. Hinzu kommt: Arbeitsrechtlich ist das Modell Rente plus Job kein Problem, wie der Jurist Frank Bayreuther erläutert.

Jetzt bin ich sehr gespannt, wie sich die Ü60 in meinem Bekanntenkreis entscheiden: Rente und ein bisschen Job? Oder doch lieber so schnell wie möglich raus aus der Tretmühle? Wenn an dem Gejammer vom Fachkräftemangel etwas dran ist, müssten sich eigentlich auch die Unternehmen bewegen und viel häufiger Teilzeitmodelle für Ältere anbieten. Dann wird aus der kleinen Renten-Revolution eine große.

Zur Person: Ulrike Sosalla ist stellvertretende Chefredakteurin von "Finanztest" und damit ausgewiesene Fachfrau für Finanzfragen. Das Verbrauchermagazin "Finanztest" gehört zur Stiftung Warentest, die seit 30 Jahren Finanzdienstleistungen testet. Test.de und "Finanztest" sind komplett anzeigenfrei und gewährleisten damit absolute Unabhängigkeit gegenüber Banken, Versicherungen und der Industrie. Die Newsletter der Stiftung Warentest können Sie hier abonnieren.
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