• Behandlungen mit Botox und Hyaluronsäure sind beliebt – auch schon bei jungen Menschen.
  • Für eine Sucht spricht es, wenn jemand immer mehr Schönheitsbehandlungen und Operationen in immer kürzerer Zeit vornehmen lässt.
  • Die Ursache dafür liegt oft in einem niedrigen Selbstwertgefühl. An dieser Stelle setzt die Therapie der Sucht an.

Mehr Beautythemen finden Sie hier

In der Mittagspause mal eben ein paar Falten wegspritzen lassen? Behandlungen mit Botox und Hyaluronsäure boomen: 2020 wurden in Deutschland mehr als 400.000 Behandlungen mit Botulinumtoxin und rund 285.000 Behandlungen mit Hyaluronsäure durchgeführt. Sie gehören auch weltweit zu den beiden häufigsten nicht-operativen Beauty-Eingriffen.

Wer interessiert sich für die Anwendungen? "Die Mehrheit der Patienten in meiner Praxis, die nach den Maßnahmen fragen, sind zwischen 40 und 50 Jahren alt", sagt Professor Dr. Henrik Menke, Präsident der Deutschen Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen. "Meistens handelt es sich um Frauen. Es scheint aber so, dass auch jüngere Menschen vermehrt mit diesem Wunsch kommen."

Immer mehr junge Menschen lassen sich Botox spritzen

Das besagt auch die aktuelle Statistik der International Society of Aesthetic Plastic Surgery: Die meisten Menschen, die sich weltweit Botulinumtoxin spritzen lassen, sind demnach zwischen 35 und 50 Jahren alt (50,2 Prozent). Aber: Die Jüngeren holen auf. Immerhin rund ein Viertel der Behandelten sind 19 bis 34 Jahre alt. Dabei handelt es sich längst nicht nur um Frauen – auch wenn sie sich weltweit etwa fünfmal häufiger mit Botox behandeln lassen als Männer.

Oft bleibt es nicht bei einer einzigen Behandlung – und das liegt auch in der Natur der Sache: Mit der Zeit baut der Körper die Stoffe ab, die Wirkung lässt nach und Falten zeigen sich häufig wieder. Substanzen wie Hyaluronsäure werden Menke zufolge nach zwei bis vier Monaten abgebaut. "Die Wirkung des Botulinumtoxins verschwindet nach etwa drei bis fünf Monaten", sagt der Experte. "Dann können diese Maßnahmen bedarfsweise wiederholt werden."

Nicht jeder, der sich wiederholt Botox spritzen lässt, ist süchtig

Immer wieder ist auch die Rede von einer regelrechten Botox-Sucht – und wohl jeder kennt Bilder von Stars, die es mit Beauty-Behandlungen übertrieben haben. "Grundsätzlich kann sich jedes Verhalten zu einer Sucht entwickeln", sagt die Psychologin und Privatdozentin Dr. Ada Borkenhagen.

Dass Behandlungen mit Botox und Hyaluronsäure in vielen Fällen wiederholt werden, ist aber noch kein Zeichen dafür, dass jemand süchtig danach ist. "Es ist letztlich ähnlich wie beim Haare färben", sagt die Expertin: "Die Farbe wächst heraus und man färbt die Haare erneut, damit man keinen Ansatz sieht."

Lesen Sie auch: Trend Kältetherapie: Wie funktioniert sie und welche Effekte hat sie?

Sucht: Immer mehr Behandlungen mit kürzeren Abständen

Aber: Beauty-Behandlungen haben durchaus das Potenzial, sich zur Sucht zu entwickeln – nämlich dann, wenn sie auf ein schlechtes Selbstwertgefühl treffen. Ein Anzeichen dafür ist es laut Borkenhagen, wenn jemand immer mehr Bereiche des Gesichts oder Körpers behandeln lässt und die Abstände zwischen den Behandlungen immer kürzer werden: "Die Betroffenen wollen sich verbessern und sind nie zufrieden."

Zu einer solchen Sucht neigen Borkenhagen zufolge vor allem Personen, die nicht im Reinen mit sich und ihrem Erscheinungsbild sind und eigentlich ganz anders aussehen wollen. "Oft handelt es sich um Menschen, die ein sehr negatives Körperbild von sich haben, obwohl sie in der Realität attraktiv sind."

Soziale Medien zeigen unerreichbare Idealbilder

Dabei spielen der Psychologin zufolge auch soziale Medien wie Instagram oder TikTok eine große Rolle: "Weil wir immer mehr über Bilder kommunizieren, ist das Aussehen noch wichtiger geworden." Die meisten dieser Bilder seien aber inszeniert und mit Filtern bearbeitet. "Sie zeigen ein Ideal, das kaum zu erreichen ist", sagt Borkenhagen. "Und da wir permanent davon umgeben sind, fällt es schwer, sich nicht damit zu vergleichen.

Vor allem bei jungen Menschen kann sich das auf ihr Selbstwertgefühl auswirken. Man brauche ein gereiftes Selbstwerterleben, um dem Druck dieser Idealbilder nicht zu erliegen und sich schlecht zu fühlen, sagt die Psychologin. "Bei Jugendlichen ist das Selbstwertgefühl aber noch labil. Sie sind daher sehr anfällig für solche Ideale."

Selbstwert nicht von außen abhängig machen

Wer unter einer Sucht nach Beauty-Behandlungen leidet, ist nie zufrieden. "Es wird immer wieder versucht, mit schönheitsmedizinischen Eingriffen das unerreichbare Ideal doch noch zu erreichen, was nicht gelingt", sagt Borkenhagen. "Daher finden Betroffene nach einer Behandlung auch sofort eine neue Stelle an ihrem Körper, die sie bearbeiten wollen."

Ein seriöser Behandler wird ein entsprechendes Verhalten bemerken und Behandlungen verweigern, um die Person zu schützen. Sofern Betroffene sich eingestehen, dass sie süchtig nach Schönheitsbehandlungen sind, können sie sich Hilfe suchen, zum Beispiel bei einer Psychotherapie.

"Dabei geht es dann auch darum, das eigene Ideal zu verändern und am eigenen Selbstwerterleben zu arbeiten, damit man sich von der geschönten Welt der Social-Media-Schönheiten nicht zu sehr beeinflussen lässt", sagt Borkenhagen. "Es hilft meines Erachtens auch, wenn man sich klarmacht, dass gerade die geposteten Fotos von Influencerinnen inszeniert sind und eben nicht das reale Leben zeigen."

Über die Experten:
Professor Dr. Henrik Menke ist Präsident der Deutschen Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen und Chefarzt der Klinik für Plastische, Ästhetische und Handchirurgie und dem Zentrum für Schwerbrandverletzte am Klinikum Offenbach sowie der Klinik für Plastische und Handchirurgie am Marienkrankenhaus Mainz. Darüber hinaus ist er langjähriger Vorsitzender des Landesverbandes der Plastischen Chirurgen in Hessen und Thüringen. Überdies nimmt er Lehrtätigkeiten an den Universitäten Mainz und Frankfurt am Main wahr.
Dr. Ada Borkenhagen ist Psychologische Psychotherapeutin, Psychoanalytikerin, Lehranalytikerin und Supervisorin. Sie hat sich auf Störungen des Körpererlebens sowie auf psychische Aspekte der ästhetischen Chirurgie spezialisiert. Sie arbeitet neben ihren Forschungsprojekten als Psychoanalytikerin in freier Praxis und hat als Privatdozentin Lehraufträge an verschiedenen Universitäten in Deutschland. Sie ist zudem Jurymitglied des Gaetano Benedetti Gedächtnispreis der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft.

Verwendete Quellen:

  • International Society of Aesthetic Plastic Surgery: Isaos International Survey on Aesthetic / Cosmetic Procedures performed in 2020
Interessiert Sie, wie unsere Redaktion arbeitet? In unserer Rubrik "So arbeitet die Redaktion" finden Sie unter anderem Informationen dazu, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte kommen. Unsere Berichterstattung findet in Übereinstimmung mit den JTI-Standards der Journalism Trust Initiative statt.
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.