• Die Niederlande werden als Hochrisikogebiet eingeschätzt, nachdem Anfang Juli die Infektionszahlen stark anstiegen.
  • Dann zog die Regierung die Notbremse - offenbar mit Erfolg.
  • Doch Premier Mark Rutte will noch keine Entwarnung geben.

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Dicht an dicht sitzen die Leute an den Amsterdamer Grachten in der Sonne. Küsschen zur Begrüßung, kaum einer hält Abstand, keiner trägt Maske - die liegen allenfalls im Müll. Gedränge in den Läden, Grillparties in Parks. "Gezellig", so wie es die Niederländer eben lieben. War da noch was?

Ach ja - die Niederlande werden vom Robert-Koch-Institut als Hochrisikogebiet eingestuft. Die Infektionszahlen liegen hier etwa siebenmal so hoch wie beim deutschen Nachbarn.

Viele Urlauberinnen und Urlauber können fast ihren Augen nicht trauen. Aber in den Niederlanden ist fast alles wie immer. Und das alles bei Inzidenzen von weit über 100. Überhaupt: Das Wort Inzidenz ist ein Fremdwort. Wenn man einen Niederländer nach diesem Wert fragt, kann man höchstens die verständnislose Rückfrage erwarten: "Was ist das?"

Zahlen der Neuinfektionen in den Niederlanden sinken in allen Regionen

Doch nun ist die Trendwende da. Seit mehr als zwei Wochen gehen die Zahlen der Neuinfektionen in allen Regionen drastisch zurück. Und das alles ohne Lockdown. Nur ein paar Regeln gibt es: Maskenpflicht in Bus und Bahn, Auflagen für Museen, Theater und Kinos sowie andere Veranstaltungen.

Und doch gelang es, das Virus einzudämmen. Wie ist das möglich?

Die Notbremse der Regierung hat gewirkt. Vor etwa vier Wochen waren Premier Mark Rutte und sein Gesundheitsminister Hugo de Jonge zerknirscht vor die TV-Kameras getreten und hatten sich entschuldigt. Sie hätten mit der Lockerung fast aller Corona-Maßnahmen Ende Juni einen "Einschätzungsfehler" gemacht.

Folgenschwere Fehleinschätzungen der Regierungen

Das war leicht untertrieben. Minister de Jonge hatte zum Beispiel mit dem lockeren Slogan "Tanzen mit Janssen" die Jugend ausdrücklich ermuntert, sich schnell impfen zu lassen: Am Morgen eine Dosis Janssen - unter diesem Namen wird in den Niederlanden der Impfstoff des US-Unternehmens Johnson & Johnson vermarktet - und dann am Abend zur Party.

Da war der volle Impfschutz noch gar nicht gewährleistet; mittlerweile geht man dafür beim Präparat von Johnson & Johnson in den Niederlanden von einer Frist von vier Wochen aus. Bei dem Impfstoff reicht eine Impfdosis aus.

Der Fehler war folgenschwer. Kaum öffneten Discos, und Clubs, und gab es wieder Festivals und Studentenpartys, explodierten die Infektionszahlen um bis zu 500 Prozent. Bei Jugendlichen von 18 bis 24 sogar um 850 Prozent. Die Regierung zog die Notbremse. Das Nachtleben stoppte, alle Gaststätten müssen spätestens um Mitternacht schließen, Festivals sind verboten.

Notbremse läutete die Trendwende ein

Und das war der Hauptgrund für die Trendwende, analysiert das Institut für Gesundheit und Umwelt RIVM. Zuletzt wurden in einer Woche 21.000 Neuinfektionen registriert, 44 Prozent weniger als in der Vorwoche mit rund 37.000. Auch die Zahl der COVID-Patienten in Krankenhäusern stabilisiert sich.

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Vor allem in der Altersgruppe von 18 bis 24 Jahren beobachten die Expertinnen und Experten drastisch weniger Infektionen. Und die Jugendlichen waren genau diejenigen, die nach Öffnung der Clubs Ende Juni alle Zügel abgestreift hatten.

Clubs, Discos und Studenten-Partys waren in fast 40 Prozent der Fälle die Quelle der Ansteckung. Jetzt sind Gaststätten nur noch für weniger als vier Prozent der Neuinfektionen verantwortlich.

Das Virus ist auf dem Rückzug, stellen die RIVM-Experten fest, obwohl es bei 92 Prozent der Infektionen um die Deltavariante geht. Die Reproduktionszahl liegt nun bei weniger als 0,7. Das heißt, dass 100 Menschen rechnerisch 70 weitere anstecken.

Der zweite Grund für den rückläufigen Trend ist die gut verlaufende Impfkampagne. 21,3 Millionen Impfdosen wurden im Land mit 17 Millionen Einwohnern bisher gespritzt. Etwa zwei Drittel der Erwachsenen ist völlig geimpft, und mehr als 85 Prozent haben zumindest eine Dosis erhalten.

Rutte will noch keine Entwarnung geben

"Das sind an sich positive Zahlen", sagt Ministerpräsident Rutte. Und doch will er noch keine Entwarnung geben. "Sicher im Vergleich zu unseren Nachbarländern, wie etwa Deutschland, ist die Zahl der positiven Tests noch viel zu hoch."

Und dann müssen die Niederländer ja auch noch aus dem Urlaub zurück kommen. Schon jetzt gehen etwa zehn Prozent der Infektionen aufs Konto von Heimkehrern. Doch anders als in Deutschland müssen sich Niederländer nur testen lassen, wenn sie aus einem Hochrisikoland zurückkehren.

Am 13. August will die Regierung entscheiden, wie es weitergeht. Dürfen Bars und Clubs wieder öffnen? Und was ist Festivals oder Fußballspielen?

Fehler kann sich Premier Rutte nicht mehr erlauben. Immer mehr Bürgerinnen und Bürger wollen Klarheit. Eine Mehrheit sprach sich jetzt in einer Umfrage dafür aus, Maßnahmen nur vorsichtig zu lockern. Und jeder dritte will sogar erneut eine Masken-Pflicht. (Annette Birschel, dpa/ank)  © dpa

Studie: Infektionsrisiko bei vollständig Geimpften um zwei Drittel niedriger

Vollständig gegen Covid-19 Geimpfte haben laut einer britischen Studie ein deutlich geringeres Risiko, sich mit dem Coronavirus anzustecken als Ungeimpfte. Der Studie zufolge liegt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Geimpfter positiv auf das Coronavirus getestet wird, bei einem Drittel gegenüber Ungeimpften.
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