Sprechen wolle er, aber nur anonym, sagt der Lokführer aus dem Raum München. Was er zum Mega-Streik der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) zu sagen hat, stellt nicht nur die Bahn in ein schlechtes Licht. Auch die GDL, der er als Mitglied angehört, kritisiert er heftig.

Ein Interview

Sie streiken nicht. Warum?

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Unter anderem, weil ich im Güterverkehr unterwegs bin und wie andere Kollegen fürchte, dass uns die wenigen verbliebenen Großkunden auf die Straße abwandern. Dann haben wir noch weniger Arbeit.

Seit zehn Monaten wird erfolglos verhandelt. Fast scheint es, als wollen sich Bahn und GDL nicht einigen.

Ich weiß nicht mehr, wem ich glauben soll. Claus Weselsky wird von den meisten Kollegen nicht als Heilsbringer, sondern kritisch gesehen. Es ist nicht klar, was der Bahn-Konzern konkret zum Tarifvertrag – jenseits von irgendwelchen Prozenten – angeboten und was die GDL ausgeschlagen hat. Wir wissen nicht genau, was verhandelt wurde. Die Kommunikation ist miserabel. Von beiden Seiten.

Was ist aus Ihrer Sicht die wichtigste Forderung?

Uns geht es um eine klare Regelung im Tarifvertrag und eine Zukunftsperspektive für unseren Beruf. Ich bin Lokrangierführer und Lokomotivführer. Das ist ein Berufsbild. Der Lokführer fährt die langen Strecken. Der Lokrangierführer fährt nicht nur in den Bahnhof, er wird im Nahverkehr eingesetzt und macht auch hunderte Kilometer an Tag. Die Anforderungen sind also die gleichen. Letzterer verdient aber bis zu 200 Euro im Monat weniger. Warum soll es weiterhin dieses Zwei-Klassen-System mit unterschiedlichen Tarifverträgen geben?

Vielen Bahnkunden geht dieser Streik zu weit. Wie könnte mehr Verständnis erreicht werden?

Man muss wissen: Viele Arbeitnehmer sind vom Unternehmen enttäuscht. Unser Arbeitgeber arbeitet immer mehr daran, unser Berufsbild abzuwerten, um bei den Gehaltszahlungen billiger wegzukommen. Seit 1994 herrscht eine Politik der Einsparens vor, um Gewinne zu erzielen. Vor allem im Güterverkehr. Man vernachlässigt den heimischen Markt, bewegt sich weg vom Schienenverkehr und expandiert international, weil man als großer Logistikanbieter mitmischen will.

Das wird in den Medien zur Zeit aber kaum thematisiert.

In der Öffentlichkeit werden wir als Zankapfel der Nation dargestellt. Die Lokführer sind die Bösen, die die ganze Republik für ihre Interessen in die Mangel nehmen, und die Bahn ist das Opfer. Das ist falsch. Die Bahn AG gehört dem Bund, darf aber handeln, wie sie will, ohne dass der Bund eingreift. Im Gegenteil, die Politiker greifen uns an. Dabei nehmen wir nur unser Grundrecht wahr.

Über die EVG wird derzeit eher wenig gesprochen. Wie ist das Verhältnis unter den beiden Gewerkschaften?

Wir reden miteinander, bekriegen uns nicht. Ich war früher in der EVG organisiert, die damals noch Transnet hieß. 2008 ist dann der Transnet-Vorstand in den Bahn-Vorstand gewechselt. Da kam ich mir von der EVG verkauft vor.

Im Osten fahren nur noch 15 Prozent der Züge, im Westen dagegen zwei Drittel. Sind das erste Anzeichen einer Streikmüdigkeit?

Seit der Urabstimmung im Sommer vergangenen Jahres haben wir achtmal gestreikt. Das haben nicht wir direkt entschieden, sondern unser Gewerkschaftsvorstand. Außerdem sind die Kollegen im Osten besser organisiert. Aber ich will betonen: Wir wollen eigentlich nicht streiken. Als es an Weihnachten hieß, wir bekämen eine Sonderzahlung, haben wir alle aufgeatmet und gehofft, dass man sich einigt und dieser schwelende Tarifkonflikt ein Ende hat.

Die EVG hat über 200.000 Mitglieder. Die GDL ist mit etwa 34.000 Mitgliedern nicht nur die deutlich kleinere Gewerkschaft. Angesichts zahlreicher Streikbrecher machen die Gewerkschafter auch keinen geschlossenen Eindruck. Wie sehr schadet der Konflikt der GDL?

Ich weiß es nicht. Darüber reden wir momentan nicht. Im Güterverkehr verbindet uns die Angst um unsere Arbeitsplätze. Kunden wie BMW können ihr Transporte nicht zeitweise, sondern dauerhaft von den Schienen auf die Straße verlagern.

Die Bahn setzt nun auf den brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck (SPD) als Vermittler. Was halten Sie davon?

Die SPD ist dem Bahnvorstand aus meiner Sicht immer sehr zugetan gewesen. Man hat den Managern auch in der jetzigen Situation freie Hand gelassen, obwohl es sich um ein Staatsunternehmen handelt und man über den Aufsichtsrat Einfluss nehmen kann. Daher bin ich eher skeptisch, ob Herr Platzeck etwas bewirken kann. Aber man muss ja reden und irgendwann eine Lösung finden.

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