Wer die Natur betrachtet, entdeckt oft frappierend perfekte Konstruktionen. Nehmen wir zum Beispiel das Haus einer Weinbergschnecke. Fast ebenso organisch geschlossen und ohne jegliche Kanten wölbt sich der Aufbau des Wingamm über seinen fahrbaren Untersatz. Wobei der Vergleich hinkt. Denn anders als bei einer Weinbergschnecke existiert zwischen Drunter und Drüber noch nicht einmal eine Fuge. Der aufwendig modellierte Monocoque-Aufbau des Oasi ist fugenlos ans Fahrerhaus anlaminiert; und das bei einer Oberflächengüte, einer Glätte und einem Glanzgrad, wie er für GfK-Aufbauten selten ist.

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Wingamm Oasi 610 M

  • Grundpreis ab: 117.215 Euro
  • Länge/Breite/Höhe: 6,10/2,24/3,03 m
  • Zul. Gesamtgewicht: 3.650 kg
  • Gurte/Schlafplätze: 4/4

Schlafen

Es sind Details wie diese, weshalb man sich für ein Mobil aus dem schönen Verona entscheidet. Für den neuen Oasi 610 M sprechen allerdings noch andere Gründe. Die vier Schlafplätze auf gerade mal 6,1 Meter Länge beispielsweise. Der 610 M kombiniert ein Längsdoppelbett mit einem Hubbett – längs statt wie vielfach üblich quer angeordnet, noch so eine Spezialität des Hubbett-Pioniers Wingamm.

Man klettert vier Leitersprossen hoch und liegt auf der 1,93 mal 1,33 Meter großen, lattenrostunterfederten Matratze nicht übermäßig ausladend, aber angenehm weich. Die Kopffreiheit geht in Ordnung, die Decke ist schön textil verkleidet, zwei Dachhauben sorgen für Luft, und zwei Leselampen am Kopfende gibt’s ebenso wie Ablagen auf den nahen Hängeschränken.

Bei abgesenktem Hubbett ist die Sitzgruppe nicht mehr nutzbar, was – nebenbei – ein schlagendes Argument für das Längsbett im Heck ist. Denn dieses bleibt auch dann gut zugänglich und einsatzbereit, wenn die Sitzgruppe noch oder schon wieder von der Reisebegleitung in Beschlag genommen wird.

Die dicke Matratze ist ein straffer Kontrast zum Hubbett – gut, wenn man an den Liegekomfort unterschiedliche Ansprüche hat – und seltsamerweise weder unterfedert noch unterlüftet; sie liegt einfach auf einem Brett. Ablagen und gute Schwanenhalsleselampen mit Touchfunktion und USB-Ladebuchsen im Sockel sind vorhanden. Allein hat man hier reichlich Platz, zu zweit wird es bei maximal 1,25 Meter Breite kuschelig.

Beladen

Man könnte nun auf die Idee kommen, den Oasi 610 M tatsächlich zu viert zu nutzen, doch dieses Vorhaben stößt an Grenzen. Familienurlaub im Wingamm dürfte zum einen am knappen Stauraumangebot, zum anderen an den blütenweißen Möbeln scheitern. Eine ganze Familie benötigt viel Gepäck und Dreck ist bei schlechtem Wetter ein ständiger Begleiter im Wohnmobil.

Nicht nur Kindern auch erwachsenen Testern gelingt es, in kurzer Zeit unschöne Spuren auf den empfindlichen Oberflächen zu hinterlassen. Allen, die das unpraktisch oder auch zu kühl und ungemütlich finden, bietet Wingamm zwei alternative Möbeldekore an. Der Schrankraum deckt den Bedarf von zwei Reisenden. In angenehmer Höhe ist zwischen Bad und Sitzgruppe der geräumige, aber unbeleuchtete Kleiderschrank platziert.

Drei Schubladen finden sich unmittelbar darunter, eine weitere in der Sitztruhe. Darüber hinaus gibt es lediglich vier Hängeschränke mit teils schmalen Klappen. Besonders die hohen Dachstaukästen über dem Heckbett sollten zudem eine Unterteilung haben, um sie übersichtlicher belegen zu können.

Erstaunlich viele Außenstauräume bringt Wingamm im kleinen 610 unter. Gleich zwei elegant eingelassene Schürzenfächer nehmen Kleinteile auf. Der Bettkasten ist das größte Gepäckabteil, allerdings etwas zerklüftet, was nachteilig ist beim Verstauen von Stühlen und Tisch, die, je nach Format, nur hier Platz finden. Hinter dem Heckstoßfänger versteckt sich ein weiteres Fach, in dem kleinere Gegenstände unterkommen; das Öffnen der schweren Klappe mit dem Spezialschlüssel ist allerdings richtig fummelig.

Wohnen

Die Sitzgruppe ist für ein so kleines Fahrzeug erstaunlich raumgreifend. Wegen der Wingamm-typischen sehr langen L-Bank sitzen Reisende mit ungewohnt großem Abstand zueinander. Beim Drehen kommt dem Beifahrersitz der Küchenblock etwas in die Quere, und trotz großer, verschiebbarer Tischplatte ist dieser Platz nicht optimal eingebunden. Eine etwas tiefere Positionierung der Tischplatte wäre von allen Sitzen aus bequemer, doch der Unterbau lässt sich nicht in der Höhe verstellen. Bequem sind die gegen Aufpreis belederten, hochwertig und akkurat verarbeiteten Sitzpolster ohne Frage.

Die Küche nebenan braucht nicht viel Platz, bietet allerdings auch nur wenig Stauraum. Der große, nicht unterteilte Hängeschrank, drei schmale Schubladen und ein Unterschrank reichen für das Nötigste. Große Töpfe oder Pfannen bekommt man nirgends unter; auf dem kleinen, elektrisch gezündeten Zweiflammkocher haben sie ohnehin kaum Platz. Großes Lob verdient die sehr gut nutzbare Spüle. Ihre Abdeckplatte dient als Arbeitsfläche. 85 Liter fasst der tief eingebaute Kompressor-Kühlschrank. Wer öfter ohne Landstromanschluss steht, sollte sich gleich eine zweite Bordbatterie gönnen.

Überraschend geräumig – von der Stehhöhe (1,86 m) abgesehen – fällt im Verhältnis zu den Außenabmessungen der Sanitärraum aus. Er streckt sich neben dem Heckbett in die Länge. Das großzügige, aber eben auch raumgreifende Waschbecken engt den Einstieg indes spürbar ein. Die optische Gestaltung und die hübsche wie effektive Beleuchtung gefallen.

Die Dusche ganz hinten lässt sich mit einem Vorhang abtrennen. Die mitduschenden Wände sind mit Kunstleder verkleidet, die Ecken teilweise mit Kederband, teilweise gar nicht abgedichtet. Die flache Duschtasse aus weißem Kunststoff zeigt sich enorm solide. Der einzige Abfluss liegt aber eher versteckt. Der Spiegel ist dagegen ziemlich klein. Stauraum gibt es reichlich, ein wenig unterteilt wäre er jedoch besser nutzbar. Ein Fenster dient der Entlüftung.

Technik

Sämtliche Rahmenfenster legen sich flach an die GfK-Karosserie. Vom anspruchsvollen Monocoque-Aufbau war schon die Rede. Erwähnung verdienen auch die versteckten Scharniere von Türen und Klappen, die per Knopfdruck elektrisch entriegelt werden. An wenigen Stellen scheitert der Oasi indes am eigenen Perfektionsanspruch: den ungleichen Spaltmaßen um die Klappen etwa, oder der Passung der zentralverriegelten Tür, die nur mit Karacho zum Schließen zu bewegen ist.

Auch im Innenraum zeigt die Verarbeitung Verbesserungspotenzial. Das Kederband zwischen Möbeln und Wandverkleidung wirft teils unschöne Falten. Die Stromleitungen in der Hubbettschale sind etwas lässig verlegt. Für den gehobenen Preis – 117.215 Euro sind stattlich – sollte man mehr Sorgfalt erwarten dürfen.

Die Technik ist ansonsten klassenüblich und weist keine großen Besonderheiten auf. In der Beifahrersitzkonsole sind die 95-Ah-Bordbatterie und das 16-A-Ladegerät untergebracht. Die Kombi-Heizung läuft serienmäßig mit Elektro-Unterstüzung, sitzt unter dem Bett und verteilt auch deshalb die Wärme etwas hecklastig. Die Beleuchtung ist sehr ausführlich, die meisten LED-Lampen sind zudem dimmbar. Während an USB-Anschlüssen kein Mangel herrscht, fehlt es etwas an 230-Volt-Dosen. Das Fassungsvermögen der Wassertanks ist überdurchschnittlich. Zudem sind sie frostsicher in einer beheizten Unterflurwanne untergebracht.

Kommen wir noch mal zum hinkenden Vergleich vom Anfang zurück. Eigentlich hat der Fiat Ducato ja gar nichts Schneckenhaftes. Doch der bekannte 140-PS-Motor scheint im Oasi etwas nach unten zu streuen. Mitunter fühlt man sich ein wenig untermotorisiert. Beim Überholen oder auf dem Beschleunigungsstreifen dürfte es durchaus mehr Wumms sein, was wohl auch daran liegt, dass sich der handliche Oasi prinzipiell sehr agil fährt. Parkplatzsuche und Rangieren gelingen unkompliziert. Eine Sänfte ist der Fiat, wie bekannt, nicht. Die Kulisse aus zahlreichen Nebengeräuschen schmälert den Komfort allerdings zusätzlich.

Echte Liebhaber dürfte das indes ebenso wenig schrecken wie der hohe Preis. Es ist die Summe seiner Besonderheiten, die den Oasi so attraktiv macht.

Das fiel uns auf

(+) Kleines Auto, riesiges Waschbecken. Hier gelingt die Morgenwäsche entspannt und ohne Spritzer.
(+) Leselampen mit bequemer Touchbedienung, langem Schwanenhals und USB-Ladebuchsen.


(+) (-) Die Formgebung der Klappen ist hinreißend. Die Spaltmaße sind aber auffallend ungleichmäßig.

(-) Die unpraktischen Rundschlüssel zum Öffnen des Stoßstangen-Fachs sind ziemlich fummelig zu bedienen.
(-) Die Verlegung der Lampenkabel unter der Hubbett-Matratze wirkt ziemlich provisorisch.
(-) Die Klappen der Hängeschränke sind recht schmal. Zwischenböden wären für mehr Ordnung sinnvoll.

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Daten und Messwerte

  • Auf- und Ausbau: Monocoque-Bauweise, außen und innen GfK, teils mit Textilverkleidung, Isoliermaterial Wand/Dach/Boden PU-Schaum, Wandstärke Wand/Dach/Boden 30/30/50 mm, 4 Kunststoff-Isolierfenster mit Alu-Rahmen, 2 Dachhauben, 1 Panorama-Dachfenster.
  • Bordtechnik: Gas-Gebläseheizung/Boiler Truma Combi 4 E, 9 Ausströmer (2 x Sitzgruppe, Einstieg, Bad, 2 x Gang, Frisch- und Abwassertank, Außenstauraum), Wasseranlage: Frischwasser-/Abwasserrohre, Druckpumpe.
  • Basisfahrzeug: Fiat Ducato, Flachrahmen, Vorderradantrieb, Vierzylinder-Turbodiesel, Hubraum 2.184 cm3, Leistung 103 kW/140 PS bei 3500/min, Drehmoment 350 Nm bei 1400/min, Sechsgang-Schaltgetriebe.
  • Fahrleistungen: Beschleunigung 0–50/80/100 km/h 6,9/13,8/24,0 s; Elastizität 60–80/100 km/h (4.//5. Gang) 4,5/14,7//9,6/21,3 s, Testverbrauch 10,1 L/100 km.

Preise und Ausstattung

Grundpreis: 119.105 Euro

(Fiat Ducato 35 L, Motor 96 kW/130 PS) mit TÜV und Zulassungsbescheinigung II

Testwagenpreis: 139.449 Euro

  • ✘ Automatik-Getriebe (18 kg): 3.987 Euro
  • ✘ Komfortpaket: DAB-Radio, Radiovorbereitung, Leder-Lenkrad mit Fernbedienungstasten, Klimaautomatik, elektrische Außenspiegel (8 kg): ✔ 1.547 Euro
  • ✘ Oasi-Paket: Insektenschutztür, Aufbautür mit Fenster und Mülleimer, Teppichboden Fahrerhaus, el. Trittstufe, Fahrerhaus-Verdunkelung, Thermomatten, zusätzliche 230-V-Steckdose, beheizte Wassertanks, Gasflaschen-Umschalt- automatik, Fußbodenheizung u. a. (16 kg): ✔ 5.355 Euro

✘im Testwagen enthalten; ✔empfehlenswert

Wertung

maximal 5 Punkte möglich

  • Wohnen: 2,8 von 5 Punkten
  • Beladen: 3,0 von 5 Punkten
  • Technik: 3,4 von 5 Punkten
  • Fahren: 3,1 von 5 Punkten
  • Preis & Service: 1,9 von 5 Punkten

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