Stellt der Fiskus Steuerforderungen erst mit Verspätung, verlangt er Zinsen. Der Steuerzahler konnte schließlich in der Zwischenzeit mit dem Geld weiteres verdienen. Aber wie viel darf das Finanzamt verlangen, wenn Sparer von der Bank ohnehin kaum Zinsen bekommen?

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Erst braucht das Finanzamt Jahre, um den endgültigen Steuerbescheid auszufertigen. Dann fordert der Fiskus nach - und schlägt auch noch Zinsen auf, weil er das Geld erst später bekommt. Soweit legal. Aber diese Zinsen sind zu hoch, meint nun der Bundesfinanzhof.

Worum ging es im konkreten Fall?

Ein Finanzamt in Nordrhein-Westfalen hatte einem Ehepaar für das Jahr 2009 im Jahr 2011 zunächst einen Einkommenssteuerbescheid über 159.139 Euro geschickt. Nach einer Prüfung änderte das Finanzamt im November 2017 seinen Steuerbescheid und forderte eine Nachzahlung von 1,985 Millionen Euro - und oben drauf noch Nachzahlungszinsen von 240.831 Euro.

Kann das jedem passieren?

Happige Nachzahlungen drohen eher Unternehmen. Denn anders als bei Arbeitnehmern gibt es für Selbstständige und Unternehmen vom Finanzamt oft geänderte Steuerbescheide für weit zurückliegende Jahre - zum Beispiel wie hier nach einer Außenprüfung.

Was hat der Bundesfinanzhof entschieden?

Der Bundesfinanzhof setzte den Vollzug der Zinsforderung aus. Bei einer ersten, überschlägigen Prüfung kamen die Richter des 9. Senats zu der Auffassung, der Zinssatz von monatlich 0,5 Prozent der Steuerschuld sei "realitätsfern" und verstoße gegen das Grundgesetz - erst recht angesichts der äußerst niedrigen Zinsen, die Banken schon seit längerem zahlen. Sollten sie auch im Hauptsacheverfahren bei ihrer Auffassung bleiben, müsste der Große Senat des Bundesfinanzhofs entscheiden.

Um wie viel Geld geht es für den Staat?

Allein bei steuerlichen Betriebsprüfungen hat der Fiskus nach BFH-Angaben in den vergangenen Jahren mehr als zwei Milliarden Euro eingenommen. Allerdings gilt die Zinsregel auch umgekehrt: Wenn Steuerzahler eine Rückzahlung vom Finanzamt erhalten, wird diese ebenfalls mit sechs Prozent pro Jahr verzinst.

Unter dem Strich, also wenn man ausgezahlte und eingeforderte Zinsen gegeneinander aufrechnet, hat der Staat nach Angaben des Bundesfinanzministeriums seit 2010 insgesamt 7,3 Milliarden Euro an Nachzahlungszinsen eingenommen. Dabei geht es um die Einkommens-, Körperschaft-, Umsatz- und Vermögensteuer.

Was muss die Politik nun tun?

Vorerst nichts. Der 9. Senat kritisierte zwar, dass der Gesetzgeber den Zinssatz seit 1961 unverändert gelassen habe, obwohl die Europäische Zentralbank schon lange für Niedrigzinsen sorgt. Das spült viel Geld in die Kassen.

Sollte der Finanzminister jedoch eine juristische Niederlage befürchten und deshalb eine Grundsatzentscheidung verhindern wollen, könnte er im konkreten Einzelfall einfach nachgeben. Dann gilt: Wo kein Kläger, da kein Richter. Allerdings liegen in Karlsruhe bereits Verfassungsbeschwerden zur Entscheidung vor, bei denen es auch um diese Zinsen geht. Hier wird wahrscheinlich noch in diesem Jahr eine Entscheidung fallen.

Was heißt das für Steuerzahler?

"Am besten ist es, Einspruch einzulegen, wenn man einen Steuerbescheid mit Nachzahlungszinsen erhält", rät Isabel Klocke vom Bund der Steuerzahler. Dabei sollten Steuerzahler gleich auf die relevanten Verfahren vor dem Bundesfinanzhof (IX B 21/18) und dem Bundesverfassungsgericht (1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17) hinweisen.

"Man muss die Zinsen erst einmal zahlen, hat dann aber eine Chance, sie zurückerstattet zu bekommen", sagt Klocke. Wer schon gezahlt habe, ohne Einspruch einzulegen, habe hingegen wenig Aussichten auf Rückerstattung. (mar/dpa)

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