Mit Rocky fing alles an – da war Claudia Milani-Flohr gerade 18 Jahre alt. Den Haflinger rettete sie von einem Händler, gab ihm ein neues Zuhause und ganz viel Liebe. Heute hat sie einen Schutzhof, rund 100 Tiere leben auf "Rocky‘s Traum". pferde.de sprach mit ihr darüber, warum jedes Pferd eine Chance verdient hat, dass es für jedes Pferd die passende Aufgabe gibt und wie auch aus vermeintlich "unbrauchbaren" Pferde tolle Partner fürs Leben werden können.
Pferdeliebe wurde Claudia Milani-Flohr in die Wiege gelegt: "Mein Großvater hatte noch Arbeitspferde. Und mein Vater war ein begeisterter Hobbyzüchter für Warm- und Vollblüter", erzählt sie im Gespräch mit pferde.de. Kein Wunder also, dass die heute 52-Jährige schon früh im Sattel saß. "Mit sieben Jahren habe ich dann mein erstes eigenes Pony bekommen."
Sie hat es geliebt, doch geprägt hat sie ein Pferd, dass erst später in ihr Leben kam. "Ich war damals 18, es war kurz nach der Wende. Damals hat ein Freund von mir in der ehemaligen DDR eine alte LPG übernommen. Und dort gab es einen Haflinger, der total abgemagert war", erinnert sich Milani-Flohr.
Hafi Rocky hatte sich aufgegeben
Dieser Haflinger ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. "Vor allem seine Augen haben mich fasziniert. Seine langen Wimpern und sein hilfloser Blick. Später haben wir erfahren, dass er von seinem Vorbesitzer oft geschlagen wurde. Das merkte man ihm an. Er hatte sich aufgegeben." Der Haflinger sollte zum Schlachtpreis verkauft werden. "Das waren 450 Mark. Doch ich hatte das Geld nicht." Sie lacht. "Also haben wir den Pferdehänger von meinem Vater in Zahlung gegeben, mein Großvater hat mir noch 100 Mark gegeben – und dann konnte ich ihn abholen."
Und so kam Rocky zu ihr. "Von dem Moment an, als er bei war, war er wie ausgewechselt. Als ob er wüsste, dass es ihm jetzt gut geht, dass ihn niemand mehr schlagen wird." Und für Milani-Flohr stand auch fest: Der damals siebenjährige Haflinger hatte bereits genug Reiter in seinem jungen Pferdeleben getragen, sein Rücken hatte zu oft gelitten. So war klar, dass er nicht geritten wird. Sondern nur eins machen soll: sein Leben genießen. "Später habe ich mit ihm Holz gerückt, da war er dann ganz in seinem Element. Das war seine Aufgabe."
Jedes Pferd hat eine Chance verdient
2007 erfüllte sich Milani-Flohr dann einen Traum: Sie eröffnete eine Ponyreitschule für Kinder. "Für Schulpferde hatte ich kein Geld. Also nahm ich Pferde, die niemand mehr wollte oder die zum Schlachter sollten. Durch Rocky wusste ich ja, dass jedes Pferd eine Chance verdient hat." Milani-Flohr überlegt kurz. "Es klingt vielleicht komisch, aber selbst Pferde, die bei anderen gebissen und getreten hatten, wurden bei mir ganz händelbar."
In ihrer Reitschule ging es nicht nur ums Reiten. "Die Kinder sollten den Umgang mit Pferden lernen. Das stand für mich immer an Nummer eins." Sie selbst wollte damals auch nicht reiten. "Ich hatte damals zwei Pferde auf der Weide. Sie kamen von einem Mann, der mit Pferden handelte. Er hat die Stuten in eine Stutenmilchstation gebracht, wo sie gemolken wurden und die Fohlen mit drei Monaten nach Belgien zum Schlachter verkauft."
Max – vom Deckhengst zum Seelenpferd
Bei ihm entdeckte sie Pilgrim, gerade acht Wochen alt – und in schrecklichem Zustand. "Der Kleine lag nur", erinnert sich Milani-Flohr. Sie rettete ihn – und seine Mutter. "Die beiden hatten eine tolle Zeit. Doch als er knapp drei Jahre alt war, hat jemand die Weidegatter aufgemacht. Die beiden sind auf die Straße gelaufen. Seine Mutter wurde schwer verletzt. Und in Pilgrim sind gleich zwei Autos reingefahren. Der Anblick war schrecklich. Danach wollte ich mich nie wieder aufs Pferd setzen."
Doch dann kam Max. "Er war damals sechs Jahre alt, kannte nichts. Max war als Deckhengst im Einsatz. Doch dann wollte sein Besitzer nicht mehr mit ihm züchten. Und weil Max ein Auge verloren hatte, wollte er ihn loswerden. So kam Max zu uns. Und auch wenn er keine Reiter kannte: Ich konnte sofort Kinder auf ihn setzen. Er ist so sanft. Auch im Umgang mit behinderten Kindern ist er einfach ein Seelenpferd."
Rocky‘s Traum – aber kaum Urlaub
Damals lebte die Familie in Niedersachsen. "Mein Mann hatte einen Bauernhof. Aber der wurde im Laufe der Zeit immer mehr zugebaut. Deshalb suchten wir einen neuen Hof." Wo? Da gab Max den Ausschlag. "Er wurde krank, hatte Atemprobleme. Also haben wir in der Nähe der Nordsee gesucht." Und sie wurden 2015 fündig: In Schlichting fanden sie einen Hof. Und dort gründete Milani-Flohr mit ihrer Familie einen Schutzhof: "Rocky‘s Traum".
Seitdem dreht sich ihr Leben nur noch um die Tiere. Urlaub? Milani-Flohr lacht. "Mein Mann und ich fahren mal einen Tag weg und gönnen uns eine Auszeit. Aber getrennt – damit immer jemand am Hof ist." Die Tage sind entsprechend lang: Um 4 Uhr stehen sie auf. "Wir gehen dann gleich raus, füttern die Tiere, geben ihnen Medikamente und versorgen die Katzen und Hunden." Um 6.15 Uhr ein kurzes Frühstück. "Danach fahre ich zur Arbeit." Claudia Milani-Flohr arbeitet halbtags im Pflegedienst. "In der Zeit macht mein Mann den Hof, lässt die Pferde und Ponys raus und mistet." Spätestens um 14 Uhr ist sie auch wieder da und betreut die Tiere. "Um Mitternacht drehen wir dann die letzte Runde durch den Stall, um zu sehen, dass es allen gut geht."
Mit 42 Jahren war Rockys Zeit vorbei…
Die Pferde leben im Offenstall. Dazu gibt es ein paar Boxen "für die Alten, die nachts hier reinkommen. Hier können sie dann auch in Ruhe ihr Futter fressen." Auch Rocky hat sein Leben hier noch genossen. Doch dann stürzte er auf dem Weg vom Stall zur Weide. "Erst konnte er gar nicht mehr auftreten, aber mit Hilfe ging es dann doch irgendwie." Der Tierarzt kam jeden Tag, gab Medikamente und Rocky konnte dann wieder etwas besser laufen. "Ich dachte schon, er hätte es geschafft", erinnert sich Milani-Flohr.
Aber vier Tage nach dem Sturz bekam Rocky eine Kolik. Der Tierarzt gab sein Bestes, doch gegen 22 Uhr war klar: Rockys Weg war zu Ende. "Wir haben ihn aus der Box auf den Hof gebracht, so dass er sich noch einmal von allen verabschieden konnte. Dann mussten wir ihn gehen lassen…" Als Rocky starb, war er 42 Jahre und zehn Monate alt. "35 Jahre war er bei uns. Und ich habe jeden Tag dafür gesorgt, dass es ihm gut geht."
Rocky‘s Traum – ein Zuhause für rund 100 Tiere
Und sein Vermächtnis bleibt – Rocky‘s Traum. Heute leben rund 100 Tiere auf dem Schutzhof: 27 Pferde und Ponys, drei Esel, acht Hunde, rund 20 Katzen, 18 Hasen, ein Schaf, sechs Ziegen und 50 Hühner. Die meisten der Hühner sind aus Mastbetrieben gerettet worden. Viele von ihnen humpeln und haben kaum Federn, wenn sie ankommen.
Und natürlich ist auch Max noch da. "Er ist mittlerweile 27 Jahre alt und ist noch immer eine Seele von Pferd." Auf dem Hof lebt auch Eseldame Inge. Als sie kam, wog sie nur 50 Kilo. Mit viel Liebe und gutem Futter wurde sie aufgepäppelt, heute bringt sie 125 Kilo auf die Waage.
Der letzte Neuzugang ist Calimero. "Eine Frau hat ihn auf einer Weide gefunden, mit einem Shetty zusammen. Er war völlig abgemagert, konnte kaum noch laufen", so Claudia Milani-Flohr. "Seine Beine waren angelaufen. Seine Zähne waren ganz schlimm, er konnte nichts mehr fressen."
Abschied nehmen? Gehört leider dazu
Mittlerweile geht es auch ihm besser. Was nicht nur an der Pflege liegt, sagt Milani-Flohr: "Wir haben den weltbesten Tierarzt. Er ist wirklich immer für uns da." Mit ihm zusammen versuchen sie jedem Tier einen schönen Lebensabend zu schenken. "Das haben sie einfach verdient." Doch nicht immer können sie helfen. "Manchmal kommen die Tiere auch zu spät zu uns. Dann können wir ihnen nur noch ein paar Tage Liebe geben." Der Abschied fällt ihr immer schwer. "Aber es gehört dazu…"
Wie sie das alles finanziert? Über Spenden und Patenschaften. "Dazu haben wir ehrenamtliche Helfer, die uns unterstützen. Ohne sie würde es nicht gehen." Dass sie mit ihrer Familie weiter für Tiere in Not da sein wird, das steht für Milani-Flohr fest. Und sie weiß, dass sie gebraucht werden. "Es ist heute leider so, dass die Menschen oft zu schnell aufgeben. Da bekommen wir ein Pferd mit Cushing, was sich die Besitzer nicht mehr leisten können. Und eine Woche später steht bei ihnen ein neues Pferd im Stall, mit neuem Sattel und allem drumherum. Das macht mich fassungslos."
Rocky‘s Traum: Hier werden alle geliebt…
Denn ein Tier bedeutet auch Verantwortung. "Wenn Menschen in finanzielle Not kommen und ihr Tier abgeben müssen, dann fällt ihnen das sehr schwer. Da appelliere ich an die Leute, dass sie ihr Tier lieber einen Tag früher abgeben als zu spät. Aber viele holen sich ein Tier und denken nicht daran, dass es auch älter wird und dann mehr Aufmerksamkeit braucht. Dabei haben sie alle ein Zuhause für immer verdient. Stattdessen werden sie weggegeben. Für das Tier ist es eine Katastrophe: Es verliert sein Zuhause und muss woanders neu anfangen."

Für gequälte Tiere ist Rocky‘s Traum ein Start in ein neues Leben. "Hier atmen sie durch. Und egal, mit welcher Vorgeschichte sie kommen: Hier sind sie alle lieb. Und so dankbar. Denn sie wollen doch auch nur eins: geliebt werden…" © Pferde.de