Lisa Marriott rettet seit 15 Jahren Pferde. Auf Auktionen nimmt sie die Tiere, die keiner will. Die Amerikanerin ist die letzte Chance für alle Tiere auf ihrem Gnadenhof. Manchmal kommt die Hilfe zu spät, doch immer wieder gibt es ein Happy End. Pferde.de hat mit ihr gesprochen.

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Den kleinen Mini-Shettys macht die eisige Kälte nichts aus. Sie begrüßen Besucher neugierig von ihrem Paddock aus, der zentral vor dem Wohnhaus auf dem kleinen Hof liegt. Sie drängen sich gegenseitig zur Seite, um an den Händen zu schnuppern, die sich ihnen entgegenstrecken. Warm eingepackt stapft Lisa Marriott an ihnen vorbei Richtung Stall. Einer ihrer Helfer funktioniert die Reithalle gerade in zwei große Paddocks um. "So können sich die Pferde trotz der Kälte frei bewegen", sagt Lisa.

Seit Tagen herrschen im US-Bundesstaat Michigan nördlich von Detroit zweistellige Minusgrade. Für die 14 Pferde und zwei Donkeys auf der Day Dreams Farm bedeutet das nur eingeschränkte Zeit draußen. Dank der neuen Konstruktion können die Schützlinge von Lisa sich nun alle in der Halle und nach draußen frei bewegen. Und beschnuppern können sich die Stuten und Wallache auch. Aufgeregtes Schnauben ist zu hören, die Pferde haben sichtlich Freude an den neuen Paddocks, traben hin und her oder zupfen an den Heuballen.

Sie rettet Pferde vor dem Schlachter

"Denen geht es richtig gut", sagt Lisa zufrieden. Keine Selbstverständlichkeit. Alle Tiere auf ihrem Hof waren schon abgeschrieben, zum Töten freigegeben und viele in sehr schlechter Verfassung, als sie zu ihr auf den Hof kamen. Lisa und ihre freiwilligen Helfer auf der Day Dreams Farm retten Pferde. Sie nehmen vernachlässigte Tiere auf, kaufen sie auf den Auktionen, wo sonst nur noch der Schlachter auf sie wartet. "Kill Auction" nennt man die in den USA auch.

Vor 15 Jahren hat Lisa die Farm mit einer Freundin und ihrem damaligen Mann gegründet. Die Freundin verstarb jedoch bereits kurz nach der Gründung der Farm, Lisas Ex-Mann im vergangenen Jahr. Jetzt leitet die 58-Jährige die Farm allein mit einem kleinen Team an Helfern. Die Farm ist auf Spenden angewiesen, das Geld ist knapp.

"Das ist für mich emotionale Erpressung"

"Um mehr Spenden zu bekommen, müsste man mehr auf die Tränendrüse drücken. Das Leid der Tiere herausstellen und so die Leute dazu bringen, Mitleid zu haben und zu Spenden. Aber ich mag das einfach nicht. Das ist für mich emotionale Erpressung", sagt Lisa. Gleichzeitig weiß sie: Ohne Geld kann sie keine Pferde retten.

Neugierig nähert sich Clover. Ein fuchsfarbenes Stütchen, breite weiße Blesse, noch kein Jahr alt. Sie ist ein Appaloosa-Quarterhorse Mix und auf der Day Dreams Farm geboren. Ihre Mutter wurde tragend von einer Kill-Action gerettet. Clover schnuppert an Lisa, die gibt ihr ein Küsschen auf die Nase. Schnell nähern sich auch die anderen Pferde und umringen sie. Lisa hat eine enge Bindung zu ihren Schützlingen, kann sich an fast alle Fälle erinnern. Die mit Happy End, so wie die Geschichte von Mighty Mouse, aber auch die ohne.

Sie nimmt die allerschlimmsten Fälle

"Ich nehme die allerschlimmsten Fälle, die die keiner will", sagt Lisa. Sie erinnert sich an eine Stute, die auf der Auktion die ganze Zeit nur gelegen hat. Nach langem Gerangel mit den Verkäufern durfte Lisa sie schließlich mitnehmen. "Sie hat bei uns gefressen, getrunken, hatte ihre Ruhe. Am nächsten Tag mochte sie aber einfach nicht wieder aufstehen. Wir haben alles probiert und sie dann gehen lassen."

Immerhin hat sich noch einmal jemand um sie gekümmert, hat ihr Zuneigung entgegengebracht. "Manchmal ist das alles, was wir tun können", sagt Lisa. Nicht ohne Grund nennt sie ihre Farm auch "Pferde-Hospiz".

Warum werden Pferde vernachlässigt?

Für Lisa gibt es zwei Ursachen dafür, warum es so viele vernachlässigte und misshandelte Pferde gibt, nicht nur in den USA, sondern überall. Die eine ist, dass die Menschen zu wenig über Pferde wissen und denken, sie könnten sie in ihrem Vorgarten halten. Die andere ist: Geld. "Es gibt Menschen, die Geld in Pferde stecken, und es gibt Menschen, die Geld mit Pferden verdienen. In den wenigsten Fällen sind das die gleichen."

Bei den Amish, auf der Rennbahn, beim Barrel Racing – es gäbe viele, für die Pferde nur ein Mittel sind, um Geld zu verdienen. Und das möglichst schnell. "Und wenn die Pferde dann nicht mehr funktionieren, dann werden sie einfach entsorgt", sagt Lisa. Sie kenne einfach zu viele Geschichten von Pferden, die wie Dreck behandelt wurden oder werden.

Auch nach 15 Jahren ist Lisa noch wütend

Lisa guckt zu ihren Vierbeinern in der Halle während sie das sagt. Sie wirkt wütend und traurig. Auch nach 15 Jahren mit ihrer eigenen Farm und davor einigen Jahren, in denen sie sich freiwillig engagiert hat, ist sie nicht abgestumpft. Immer noch empört sie sich. Immer noch leidet sie mit jedem Tier.

Aber etwas müde ist sie, gibt Lisa zu. In den letzten Jahren habe einfach das Schlimme überwogen. Die positive Seite – das Arbeiten mit Pferden und Menschen, das Therapieangebot – kommt seit einiger Zeit etwas kurz. "Darauf würde ich mich künftig gern mehr konzentrieren", sagt die 58-Jährige. Genug Pferde für solche Angebote hat sie, alles ehemalige Rescues.

Das erste eigene Pferd war ein Rescue

Lisa hat sich schon lange vor ihrer eigenen Farm für Pferde engagiert. Schon ihr erstes eigenes Pferd, das sie mit 15 Jahren bekam, war ein Rescue. Sie arbeitete als Trainerin im Bereich Hunter-Jumper, später auch in der Dressur. Als sie mit ihrem Mann in die Gegend zog, fing sie an, sich in der Freiwilligenarbeit zu engagieren. Die Organisation "Horse Haven", die 1987 gegründet wurde, war die erste in Michigan, die Pferde rettet. Hier lernte Lisa alles über das "Pferde retten".

Vor allem aber wurde ihr immer wieder klar, dass es sehr viele Menschen gibt, die einfach keine Nähe zu Pferden verspüren. Das sei anders als bei Hunden. Während Hunde sich aber bei Schmerzen bemerkbar machen durch Winseln oder Jaulen, sei das bei Pferden nicht so. "Das Schlimme ist, dass Pferde nicht vor Schmerzen schreien können – und viele dann einfach denken, die sind schon in Ordnung. Der humpelt nur, das macht ihm nichts."

Gerade auch, weil so viele so wenig Wissen über Pferde haben, sieht es Lisa als Teil ihrer "Mission", nicht nur Pferde zu retten, sondern den Menschen mehr über Pferde zu erklären. Seminare, Reitkurse, Besuchstage – das sind die Dinge, die der Pferderetterin wichtig sind, in die sie gern ihre Energie stecken würde. Die Helfer der Day Dreams Farm unterstützen auch andere Pferdebesitzer, helfen, wo sie können. Doch genau diese Dinge sind es, die im Moment zu kurz kommen.

Corona hat die finanzielle Situation verschärft

Etwa 20 bis 30 Pferde kann Lisa im Jahr retten. Es gab Zeiten, da hatte sie 40 Pferde auf dem Hof. Dann kam Corona. "Wir haben genauso weitergemacht und Pferde gerettet, und das, obwohl es gar keine Auktionen gab", berichtet Lisa. Finanziell allerdings wurde es durch Corona noch härter. Nur dank ihrer Helfer und treuer Unterstützer kann sie weitermachen. Lisa hofft, dass sie weitere Unterstützung finden kann, vielleicht auch Fördermittel bekommt. Doch auch die müssen erstmal beantragt werden.

"20 bis 30 Pferde im Jahr sind nicht viel, ich weiß. Das ist bestenfalls ein Pflaster. Aber nur so können wir überhaupt immer wieder auf das Problem aufmerksam machen", betont Lisa. Und am Ende zählte jedes Pferdeleben.

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Eine Pferdenase stupst sie energisch in den Rücken. Henry. Der Fuchs ist schon 36 Jahre alt und wirkt noch quietsch-vergnügt. "Er will raus", sagt Lisa. Normalerweise darf er auf dem Hof frei herumlaufen, dann steht er auch mal direkt vor der Haustür oder im Gemüsebeet. Lisa lacht: "Eigentlich ist das hier sein Hof, sein Platz. Uns anderen ist es nur erlaubt, hier zu sein."  © Pferde.de