Hinter dem Ziel, das Klima zu retten, könnte sich eine Gesellschaft versammeln. Stattdessen sorgen Maßnahmen für den Klimaschutz derzeit vor allem für Streit. Nur 31 Prozent der Deutschen sind bereit, für das Klima ihren Lebensstil zu ändern. Experten sehen die Lösung in einer einheitlicheren Kommunikation der Politik – und in einem Bewusstseinswandel.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Jan-Henrik Hnida und Fabian Busch sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Stell dir vor, es ist Klimawandel – und keiner macht wirklich etwas dagegen. Dieses Gefühl dürfte gerade viele Menschen beschleichen. Zumindest diejenigen, die sich um die Erderwärmung und ihre Folgen Sorgen machen. Der Kampf für das Klima spielt in der öffentlichen Debatte derzeit eine große Rolle. Doch häufig geht es darum, was wir nicht wollen.

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Ab 2035 keine neuen Autos mit Verbrennungsmotoren mehr auf europäischen Straßen? Dem repräsentativen ARD-DeutschlandTrend zufolge sind 67 Prozent der Deutschen dagegen. Ein Abschied von herkömmlichen Gas- und Öl-Heizungen? Bundeswirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck hat sich mit solchen Plänen massiven Gegenwind eingehandelt. Und in Berlin verpasste ein Volksentscheid, der die Landesregierung zu entschiedenen Maßnahmen verpflichten sollte, gerade das nötige Quorum.

Jahrelang bestand Klimapolitik vor allem daraus, sich Ziele zu setzen: Im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter soll sich die Erderwärmung auf 1,5 Grad beschränken. Die Europäische Union will bis 2050 klimaneutral sein, Deutschland schon 2045. Jetzt geht es um die Umsetzung, jetzt wird es ernst. Und jetzt stellt sich umso dringlicher die Frage: Schaffen wir das? Was wollen wir uns zumuten? Und was darf und muss die Politik uns zumuten?

So viele Sorgen – und dann auch noch das Klima?

"Ehrlich gesagt, ich habe auch ohne Klimawandel schon genügend Sorgen", sagt ein Tier im "Sorgenpool" – und sieht die Flutwelle nicht, die sich nähert. Diese Karikatur stammt aus dem Buch "Die Kunst der Ausrede. Warum wir uns lieber täuschen, statt klimafreundlich zu leben" des Psychologen Thomas Brudermann. "Der Sorgenpool ist eine von vielen Strategien, die wir anwenden, um uns dem einen Thema doch nicht zu stellen", sagt der Professor für Innovations- und Nachhaltigkeitsforschung an der Universität Graz.

Wenn Menschen sich um die Bezahlung ihrer Miete, explodierende Preise oder ihre Gesundheit sorgen, hätten viele nicht die Kapazität, auch über den Klimawandel nachzudenken. Dieser wirke auf viele wie ein "Luxusproblem": Von zu viel CO2 in der Atmosphäre oder steigenden Meeresspiegeln könne man sich leichter distanzieren.

Dabei ist der Klimawandel auch in Deutschland keine abstrakte Bedrohung mehr. Die Flutkatastrophe im Ahrtal 2021 und die Dürre-Sommer der vergangenen Jahre haben das gezeigt. "Aus Befragungen wissen wir, dass bei Menschen, die direkt von Klimafolgen betroffen sind, die Besorgnis zunimmt", sagt Thomas Brudermann. Zumindest bei denen, die sich vorher schon Sorgen gemacht haben.

Man würde ja gerne anders handeln, aber es klappt oft einfach nicht. Dann steigt man doch wieder in den Flieger nach Thailand, isst Schnitzel statt Tofu-Würstchen und macht sich Kaffee aus der Alu-Kapsel. "Wir Menschen wollen uns gut fühlen und uns nicht unbedingt negativen Realitäten stellen", erklärt der Psychologe. Außerdem halte sich jede und jeder für gut, ehrlich und hart arbeitend.

Weniger als ein Drittel ist bereit, Lebensstil zu ändern

Dass die Deutschen klimamüde sind, lässt auch eine repräsentive Umfrage im Auftrag unserer Redaktion vermuten: "Wären Sie bereit, für mehr Klimaschutz Ihren derzeitigen Lebensstil zu ändern?" Diese Frage stellte das Meinungsforschungsinstitut Civey und wertete dafür vom 22. bis 24. März 2023 die Antworten von 5005 Befragten aus. Das Ergebnis: 31 Prozent der Deutschen wären bereit, ihren Lebensstil für den Klimaschutz zu ändern, eine Mehrheit von 57 Prozent dagegen nicht.

Unter den 18- bis 29-Jährigen ist die Bereitschaft mit 37 Prozent der Befragten noch am größten, am geringsten ist sie unter den 30- bis 39-Jährigen. Insgesamt sinkt die Bereitschaft aber sogar: Im Oktober 2021 war eine Änderung des Lebensstils noch für 46 Prozent der Deutschen akzeptabel und für 41 Prozent nicht.

Tauschen statt Verzichten: Psychologe wirbt für lustvollen Klimaschutz

Sind wir also vielleicht gar nicht bereit und in der Lage, den Klimawandel entschieden zu bekämpfen?

"Es hat sehr viel mit der Art der Kommunikation über die Veränderungen zu tun", sagt Brudermann. Verzicht oder Verlust: Meistens sei der Kontext negativ, wenn über Klimaschutz geredet werde. "Das ist problematisch. Denn die Menschen wollen weder auf etwas verzichten noch etwas verlieren." Eine Emotion wie Angst sorgt häufig dafür, dass Menschen im übertragenen Sinne erstarren oder davonlaufen. Eine derart verengte, kurzfristige Sichtweise helfe bei den komplexen Herausforderungen der Klimakrise nur bedingt.

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Der Wissenschaftler plädiert deshalb für Zweck-Optimismus und Hoffnung durch konkrete Zukunftsvisionen: Besserer Klimaschutz sorge zum Beispiel auch für saubere Luft. Statt von "Verzicht" solle zudem von "Tausch" gesprochen werden, findet der Psychologe. "Wir tauschen gewisse Lebensstile für eine lebenswertere Zukunft, für uns und unsere Kinder ein."

An die Politik richtet Brudermann einen Appell: "Hört auf so zu tun, als ob Klimaschutz nur ein grünes Thema sei." Es fordere und betreffe die ganze Gesellschaft und das alle angehen sollte.

Klimaschutz machen nur die Grünen? SPD und FDP widersprechen

Das würde Robert Habeck wohl unterschreiben. Klimaschutz könne nicht nur die Verantwortung der Grünen sein, hat er in den letzten Tagen mehrmals gesagt. SPD und FDP haben zum Beispiel bei Habecks Heizungsplänen Bedenken angemeldet. Doch Maßnahmen, die sich im Leben der Menschen bemerkbar machen, scheinen gerade nicht populär zu sein. Die Umfragewerte der Grünen nähern sich inzwischen dem Niveau der Bundestagswahl.

Haben SPD und FDP also gar kein Interesse an entschiedenem Klimaschutz? Dort bestreitet man das natürlich. Die Ampel-Koalition setze "konsequent die nötigen Maßnahmen für den Klimaschutz um", sagt Timon Gremmels, energiepolitischer Koordinator der SPD-Bundestagsfraktion. "Noch nie gab es so viele Gesetzesnovellen im Klimaschutz und Energiebereich wie in dieser Legislaturperiode." Dass neu eingebaute Heizungen in Zukunft zu mindestens 65 Prozent mit Erneuerbaren Energien betrieben werden müssen, findet Gremmels richtig. Allerdings pocht er darauf, diese Vorschrift sozial abzufedern. Durch staatliche Förderung für neue Heizungen, mit Alternativen zur Wärmepumpe oder längere Übergangszeiten.

"Wichtig bei allen Maßnahmen ist, dass wir die Menschen mitnehmen", sagt der Bundestagsabgeordnete Olaf in der Beek, klimaschutzpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion. "Jedem ist klar, dass wir die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens nicht mit einfachen Verboten und purem Verzicht erreichen." Die Liberalen hoffen deshalb auf technologischen Fortschritt – aber auch auf die Wirkung von finanziellen Anreizen: "Klimaschädliches Verhalten wird mit einem steigenden CO2-Preis teurer werden und wer sich klimafreundlicher verhält, wird automatisch finanziell profitieren."

Politikberater: Koalition müsste mit einer Zunge sprechen

Über das Ziel sind sich die Regierungsparteien also weiterhin einig. Über den Weg dorthin weniger. Hinzu kommt: In aufgeregten Zeiten prägt oft ein aufgeregter Ton die öffentliche Debatte. Der Politikberater Frank Stauss jedenfalls sieht in den Diskussionen über Heizungen und Verbrennungsmotoren gerade ein großes "Verhetzungspotenzial": "Es geht doch ausschließlich um den Verkauf von Neuwagen oder um den Einbau von neuen Heizungen – und nicht um die Autos und Heizungen, die bereits genutzt werden."

Wenn in der Bevölkerung Missverständnisse darüber entstehen, dann liege das auch an der uneinheitlichen Kommunikation der Koalition: "Die Bundesregierung muss mit einer Zunge sprechen, um sämtliche Ängste vor hohen Kosten oder generellen Verboten zu nehmen." Und um Halbwahrheiten und Desinformationen entgegenzutreten, die häufig vom rechten Rand gestreut würden.

Allerdings betonen die Parteien gerade eher, was sie trennt. Politikberater Stauss erinnert an Umfragen, wonach drei Viertel der Bevölkerung grundsätzlich für Klimaschutz sind. Es gäbe also durchaus ein Ziel, das es gemeinsam zu erreichen gilt: "Neben Kompromissen in den Randbereichen – der Heizungseinbau betrifft doch nur wenige Leute – sollte man Brücken bauen und den Menschen ihre Sorgen nehmen."

Über die Experten:
Thomas Brudermann ist promovierter Psychologe und Autor von "Die Kunst der Ausrede – Warum wir uns lieber selbst täuschen statt klimafreundlich zu leben". Der Professor für Innovations- und Nachhaltigkeitsforschung an der Universität Graz forscht unter anderem zu menschlichem Entscheidungsverhalten.
Frank Stauss ist Politikberater, Werbetexter und Autor. Er betreute mehr als 20 Wahlkämpfe.
Informationen zur Methode: Für die repräsentative Umfrage hat das Meinungsforschungsinstitut Civey die Antworten von 5.005 Teilnehmerinnen und Teilnehmern berücksichtigt. Das Gesamtergebnis ist repräsentativ für die deutsche Bevölkerung ab 18 Jahren. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben unter anderem Daten wie Alter, Geschlecht und Wohnort angegeben und wurden registriert und verifiziert. Civey korrigiert Verzerrungen durch ein mehrstufiges Gewichtungsverfahren. Der Befragungszeitraum war der 22. bis 24. März 2023.
Der statistische Fehler der Ergebnisse beträgt 2,5 Prozentpunkte. Zusätzliche Informationen zur Methode finden Sie auf Civey.com und im Civey-Whitepaper.