Der Anstieg des Meeresspiegels und häufigere Unwetter bedrohen viele Küstenregionen – auch in Deutschland. Ein Naturschutz-Professor fordert ein Umdenken beim Hochwasserschutz, denn: "Irgendwann werden wir an Grenzen stoßen."
Der Klimawandel sorgt nicht nur für häufigere Waldbrände und Flutkatastrophen. Auch Küstenregionen sind weltweit gefährdet, weil der Meeresspiegel steigt und Unwetter in ihrer Intensität und Häufigkeit zunehmen. Hilft es also, bewusst vor dem Wasser zurückzuweichen?
Eine solche Strategie ist mit vielen Widerständen verbunden, aber langfristig unvermeidbar. Das zumindest glaubt Michael Kleyer. Der emeritierte Professor für Naturschutz und Landschaftsplanung (Uni Oldenburg) beschäftigt sich seit Langem mit der Klimaanpassung von Küsten. Er fordert ein Umdenken – und Geld für den Wandel.
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Professor Kleyer, wie gefährdet ist die deutsche Küste angesichts des Klimawandels?
Michael Kleyer: An der Küste haben die Leute schon immer Sorge vor Sturmfluten. Schon im Mittelalter wurden deshalb kleine Teile der Küste eingedeicht, um die Landwirtschaft zu schützen und zu verhindern, dass küstennahe Siedlungen zerstört werden. Heute ist praktisch das gesamte Tiefland zwischen Holland und Dänemark durch Deiche geschützt. Das Problem ist, dass durch den Klimawandel die Stürme zunehmen. Außerdem schützen die Bauwerke zwar gegen Sturmfluten, die Deichunterkanten können aber nicht überall eine dauerhafte Vernässung bei einem hohen Anstieg des Meeresspiegels aushalten.
In den Steart Marshes in England hat man den Deich eingerissen, um dem Wasser mehr Raum zu geben. Würde so etwas auch in Deutschland helfen?
Das Prinzip ist zunächst einmal korrekt. Als es noch keine Deiche gab, waren auch die Sturmfluten nicht so schlimm, weil sich das Wasser großflächig ausbreiten konnte. Bis tief nach Ostfriesland hinein existierten im Mittelalter riesige Schilfflächen. An diesen Stellen, die dem Wasser früher als Auslaufflächen dienten, wird heute Landwirtschaft betrieben – und das teilweise sogar unter dem Meeresspiegel. Trotzdem hätte es bei uns praktisch keinen Sinn, einen Deich einzureißen, nur um dem Wasser mehr Raum zu geben. Allein in Niedersachsen sind die Deiche 700 Kilometer lang. Wenn man da an einer Stelle das Wasser hineinlässt, wäre die Stauwirkung nur minimal vermindert.
Sie würden davon also eher abraten?
Wenn man Wasser hineinlässt, erhält man Lebensräume, die durch Deichbau und Meeresspiegelanstieg gefährdet werden, vor allem die Watten und Salzwiesen. Am Langwarder Groden im Nationalpark Wattenmeer wurde 2014 der Sommerdeich geöffnet – ein niedriger Deich, der zwar nicht vor winterlichen Sturmfluten schützt, aber im Sommer die landwirtschaftliche Nutzung ermöglicht. Seit der Ausdeichung (Entfernung des Sommerdeichs, Anm.d.Red.) sind 140 Hektar des Langwarder Grodens wieder den Gezeiten ausgesetzt. Durch umfangreiche Renaturierungsmaßnahmen sind neue Salzwiesen entstanden, die zahlreichen Pflanzen- und Tierarten eine Heimat bieten. Es gibt auch einen Wanderweg, der das Ganze für Menschen erlebbar macht, wie in den Steart Marshes.
Gibt es solche Ausdeichungsprojekte auch an Flüssen?
In Deutschland werden die Flüsse, die in die Nordsee münden, durch Deiche begleitet. So soll das Hinterland vor Wasser geschützt werden, das bei Sturmfluten in die Flüsse gedrückt wird. Gerade bei kleineren Flüssen folgen die Deiche jeder Flussschlinge. Deren Pflege kostet sehr viel Geld, denn das Gras muss immer kurzgehalten werden, um den Wellen keine Angriffsfläche zu bieten. Außerdem müssen auch hier die Deiche erhöht werden. Langfristig muss man sich deshalb auch bei Flüssen fragen, ob man bestimmte Bereiche ausdeichen sollte. Einige Beispiele dafür gibt es schon, zum Beispiel am Aper Tief in der Nähe von Oldenburg.
"Natürlich denkt niemand gerne über Dinge nach, die vielleicht in 200 Jahren passieren. Trotzdem müssen wir uns damit beschäftigen."
Was halten Sie von der Idee, Deiche weiter ins Landesinnere zu verlegen?
Die Rückverlegung der Hauptdeiche wird eventuell in fernerer Zukunft mal notwendig sein, wenn der Meeresspiegel deutlich ansteigt – und das wird er auf lange Sicht. Natürlich denkt niemand gerne über Dinge nach, die vielleicht in 200 Jahren passieren. Trotzdem müssen wir uns damit beschäftigen, denn solche Gebietsaufgaben werden Milliarden kosten, wenn man sie ökologisch und sozial gerecht gestalten will. Dafür sollte man schon heute einen Fonds anlegen, denn wir sind für den Klimawandel verantwortlich, während künftige Generationen die Folgen zu tragen haben.
Kann man nicht auch bestehende Deiche "aufrüsten"?
Ja, das wird auch getan. Irgendwann werden wir allerdings an Grenzen stoßen. Es gibt einen Punkt, an dem die Kosten, eine bestimmte Landfläche zu halten, nicht mehr im Verhältnis zum Ertrag stehen. So ehrlich müssen wir sein. Deshalb könnte man in deichnahen Gebieten, die unter dem Meeresspiegel liegen, den Hauptdeich mit einem Tor versehen, das bei normalem Wetter Meerwasser reinlässt, sich aber bei Sturmflut automatisch schließt. Das mitfließende Sediment könnte das Land aufhöhen. Zugleich würden die Salzwiesen gefördert.
Wie ist die Lage an der Ostsee?
Dort ist die Küste noch viel gefährdeter, weil es keine hohen Deiche gibt. In Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern wechseln sich Steilküsten und Niederungen ab. Der Meeresspiegelanstieg wird vor allem die tiefliegenden Gebiete treffen. Diese drohen in der Zukunft langsam zu versinken.
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