- Heute beginnt der Prozess wegen Milliardenbetrugs gegen den früheren Vorstandschef von Wirecard, Markus Braun.
- Braun galt einst als Vorzeigemanager, ehe der Wirecard-Skandal für einen jähen Absturz sorgte.
- Der Angeklagte sieht sich selbst als Opfer des Betrugs.
Was wusste Markus Braun? Knapp zweieinhalb Jahre nach dem Kollaps des Wirecard-Konzerns beginnt am Donnerstag der Strafprozess gegen den des Milliardenbetrugs angeklagten früheren Vorstandschef Markus Braun. Die Anklage wirft dem österreichischen Manager und zwei mitangeklagten ehemaligen Wirecard-Führungskräften vor, mit gefälschten Bilanzen Banken und Kreditgeber um insgesamt 3,1 Milliarden Euro geprellt zu haben.
Braun weist die Anklage in einer aktuellen Stellungnahme zurück - er sieht sich selbst als Opfer und wirft den Ermittlern indirekt mangelnde Sorgfalt vor.
Für Braun ist der Gerichtsprozess die nächste Episode in einem tiefen Absturz. Dabei hatte Brauns Karriere vielversprechend begonnen: Nach dem Studium der Wirtschaftsinformatik in Wien verdiente sich Braun seine Sporen bei verschiedenen Unternehmensberatungen.
Braun war mit Anfang 30 bereits CEO
1998 stieg er bei der InfoGenie AG als CEO ein und bewährte sich dort als Krisenmanager. Bei der Fusion mit Wirecard stieg Braun 2002 zum Vorstandschef auf. Damals war er gerade mal Anfang Dreißig. Weil er sich schon in den Jahren davor auf digitale Bezahlverfahren spezialisiert hatte, galt er als ideale Besetzung.
Er gibt sich ehrgeizige Ziele und sagt den Aufstieg des Konzerns zu den DAX-Konzernen voraus, als dies selbst seine Mitarbeiter nicht für möglich halten. Als Wirecard in den DAX aufgenommen wird, sagt er: "Der DAX ist hier nur ein Zwischenschritt. Ich glaube, dass die nächsten zehn Jahre an Wachstumsdynamik die letzten zehn Jahre bei weitem in den Schatten stellen werden."
In seinen Jahren als Wirecard-Chef unterhält der Österreicher auch Kontakte in die Politik - unter anderem zu Sebastian Kurz, Österreichs Ex-Kanzler, der mittlerweile unter Korruptionsverdacht steht. Beide duzten sich.
Braun gilt in dieser Zeit als Visionär, sein Vorbild soll Steve Jobs gewesen sein. Braun trägt wie Jobs häufig Rollkragenpullover - auch beim Prozessauftakt gegen ihn.
Anfang 2019 wurde Braun sogar noch das beste Image aller Vorstandschefs der damals noch 30 Dax-Konzerne zugeschrieben, obwohl die britische "Financial Times" damals schon über Ungereimtheiten in den Bilanzen berichtete. Zu diesem Zeitpunkt fehlten die Beweise für die Vorwürfe, jetzt umfasst die vollständige Anklage 474 Seiten, die Akten füllen 700 Bände.
1,9 Milliarden Euro bis heute vermisst
Der darin enthaltene Vorwurf: Braun und Komplizen sollen eine Bande gebildet haben, die die Bilanzen des Konzerns seit 2015 systematisch gefälscht hat. Laut Anklage schrieb der Konzern eigentlich Verluste. Um das zu kaschieren, sollen Braun und Komplizen ein nicht existentes "Drittpartnergeschäft" der Dubaier Tochter in Milliardenhöhe samt Scheingewinnen erfunden haben.
Wirecard meldete Jahr für Jahr rasant steigende Umsätze, 2018 stieg das IT-Unternehmen in den Dax auf. An der Frankfurter Börse war der Konzern zwischenzeitlich über 20 Milliarden Euro wert. Braun war mit einem Anteil von sieben Prozent größter Aktionär und wurde auf diese Weise zum Milliardär.
Im Juni 2020 brach das Lügengebilde offenbar zusammen. Das Unternehmen musste einräumen, dass 1,9 Milliarden Euro nicht auffindbar waren, es folgte die Insolvenz. Das Geld wird bis heute vermisst. Genauso wie Jan Marsalek, der in den Wirecard-Betrug maßgeblich involviert war und der mit internationalem Haftbefehl gesucht wird.
Kronzeuge Oliver B. belastet Braun
Entscheidend für den Prozess wird aber der Streit zwischen Braun und seinem Mitangeklagten Oliver B. Der frühere Leiter der Wirecard-Tochtergesellschaft Cardsystems Middle East in Dubai ist für die Staatsanwaltschaft der Kronzeuge.
Nach Angaben seiner Verteidiger beabsichtigt der frühere Untergebene Brauns, "sein kooperatives Verhalten als Kronzeuge auch in der Hauptverhandlung fortzusetzen". Wie im Untersuchungsausschuss des Bundestags angekündigt, werde er sich seiner Verantwortung stellen. Der dritte Angeklagte ist früherer Chefbuchhalter des Konzerns.
Laut Braun ist aber der Kronzeuge selbst der Hauptschuldige. Er argumentiert, dass die 1,9 Milliarden Euro auf den Treuhandkonten in Südostasien existierten, aber veruntreut worden seien. Er beschuldigt seinen Mitangeklagten, den ehemaligen Geschäftsführer in Dubai.
Braun: Geld war nicht erfunden, sondern wurde veruntreut
"Dass das Drittpartnergeschäft von Wirecard nicht fingiert war, sondern tatsächlich existierte, ist durch auf Kontoauszügen dokumentierte Zahlungsflüsse belegt", heißt es in der Stellungnahme, die Braun gemeinsam mit seinem Verteidiger Alfred Dierlamm ausgearbeitet hat. Darin sind vier Drittpartner-Unternehmen genannt, auf deren inländischen Konten eine Milliarde Euro verbucht sei.
Auch über weitere Firmen sollen demnach Zahlungen im Zusammenhang mit dem Drittpartnergeschäft abgewickelt worden sein. Auf den bis jetzt vorliegenden Konten dieser Unternehmen seien ebenfalls circa eine Milliarde Euro an Einzahlungen im Zusammenhang mit dem Wirecard-Drittpartnergeschäft belegt, heißt es in der Stellungnahme.
Dies sei durch Zahlungsflüsse an Firmen in Hongkong, Antigua, Singapur, British Virgin Islands und sonstige Schattengesellschaften belegt. "Die Zahlungsflüsse an diese Veruntreuungsgesellschaften wurden bis heute nicht nachverfolgt", heißt es in der Stellungnahme; darin steckt der Vorwurf, die Staatsanwaltschaft habe nicht genau genug ermittelt. "Dr. Markus Braun war in die Machenschaften, die ausschließlich der Veruntreuung von Geldern der Wirecard AG dienten, nicht involviert und hatte hiervon auch keine Kenntnis."
Welche Version der Geschichte stimmt, müssen der Vorsitzende Richter Markus Födisch und die Kammer klären. Die Antwort, ob Braun Betrüger oder Betrogener war, dürfte aber wohl noch bis 2024 dauern, so lange ist der Prozess angesetzt. (dpa/lko)
Verwendete Quellen:
- ZDF: Ex-Wirecard-Chef vor Gericht - Packt er aus?
- BR24: Stadelheim statt Silicon Valley: Der tiefe Fall des Markus Braun
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© dpa