Es ist noch gar nicht lange her, da trug Klaas Heufer-Umlauf die Late-Night-Unterhaltung in Deutschland zu Grabe. Am Freitagabend holte Till Reiners sie mit seiner neuen ZDF-Show "Till Tonight" aus dem noch frischen Grab. Erst einmal, um die Sommerpausenlücke von Jan Böhmermanns "ZDF Magazin Royale" zu füllen. Aber wenn "Till Tonight" so bleibt, wie es begann, darf die Show gerne bleiben.

Christian Vock
Eine Kritik
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Deutschland, das war und ist in puncto Late-Night immer ein bisschen spät und ein bisschen früh dran. Während in den USA, dem Heimatland der Late-Night-Shows, schon vor Jahrzehnten die Johnny Carsons und David Lettermans die Zuschauer ins Bett brachten, dauerte es in Deutschland ein wenig, bis sich jemand an die amerikanische Art der Abendunterhaltung traute. Mit "Schmidteinander" startete Harald Schmidt 1990 einen ersten deutschen Prototyp, den er später mit der "Harald Schmidt Show" zur Serienreife vollenden sollte.

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Zwei Jahre später folgte Thomas Gottschalks "Gottschalk Late Night", 1994 dann Thomas Koschwitz' "RTL Nachtshow". Erst mit der "Harald Schmidt Show" kam Late-Night in Deutschland ins Rollen. Mit Aufs und Abs, aber mit deutlich mehr Abs. Denn die Liste der längst abgesetzten deutschen Late-Night-Shows ist lang. Sehr lang. Pierre M. Krause, Anke Engelke, Sarah Kuttner, Oliver Pocher, Daniel Hartwich, Roberto Cappelluti, Jens Knossalla, Kurt Krömer – viele versuchten sich an Late-Night, oft nicht lange.

Und während in den USA Jimmy Fallon, Jimmy Kimmel oder Stephen Colbert nach wie vor klassische Late-Night am Leben erhalten, beendete einer der wenigen verbliebenen deutschen Late-Night-Unterhalter, Klaas Heufer-Umlauf, seine "Late Night Berlin" in diesem Frühjahr nach sieben Jahren – weil er Late-Night-Unterhaltung durchgespielt sah. Umso interessanter ist vor diesem Hintergrund, dass Till Reiners gerade jetzt in die Late-Night-Unterhaltung einsteigt. Zwar erst einmal nur als Lückenfüller, bis Jan Böhmermanns "ZDF Magazin Royale" nach knapp acht Wochen aus der Sommerpause zurückkehrt, aber immerhin.

Kommt's darauf an, wer's macht?

Für Reiners ist, anders als für Heufer-Umlauf, offenbar immer noch Platz für Late-Night, sogar in ihrem ganz klassischen Gewand, wie er vor kurzem im Podcast-Interview mit Matze Hielscher verriet: "Ich geh' raus, ich mache Stand-up, dann gibt's was am Tisch, dann gibt's ne Studio-Nummer, dann gibt's ne MAZ und dann kommt ein Gast", erklärte Reiners dort, was er für "Till Tonight" geplant hat. Klassischer geht es in der Tat kaum, doch für die erste Ausgabe hat sich Reiners noch etwas Besonderes ausgedacht.

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Denn statt einfach mit einem "Schönen guten Abend" ins Studio zu kommen, fährt Reiners mit einem Porsche-SUV vor dem Studio vor, steigt aus, ehe ihn sein Beifahrer fragt: "Bist du dir hundertprozentig sicher, dass du das machen willst?" "Ja, klar. Late-Night ist doch das Größte. Ist doch geil", antwortet Reiners, doch sein Beifahrer widerspricht: "Das war das Größte, das ist mausetot." Man sieht sich ratlos an, verabschiedet sich und als Reiners die Treppen zum Studio hinauf geht, ruft ihm Klaas Heufer-Umlauf, sein Beifahrer, hinterher: "Kommt vielleicht auch ein bisschen darauf an, wer's macht."

Diese Szene dauert nicht mal eine Minute, aber sie sagt doch recht viel aus. Zum Beispiel, dass sich Reiners ganz genau bewusst ist, was er da macht und dass er es trotzdem macht – oder genau deswegen. Und man muss es nicht überinterpretieren, aber die Szene zeigt auch, dass Heufer-Umlauf seinen Frieden mit Late-Night gemacht hat, Till Reiners aber dafür brennt: "Da habe ich wirklich mein Leben lang drauf gehofft und auch darauf zugearbeitet – so gut man das eben kann", erzählte Reiners im Interview mit Hielscher und wenn jemand etwas so sehr will und ein anderer nicht mehr, dann kommt es vielleicht wirklich darauf an, wer's macht.

"Till Tonight" soll eine leichte Sommer-Late-Night sein

Denn inhaltlich unterscheiden sich "Late Night Berlin" und "Till Tonight" gar nicht so sehr, beide hielten sich doch recht klar an den klassischen Aufbau einer Late-Night-Show, so wie ihn Reiners beschrieben hat. Reiners scherzt am Freitagabend über Friedrich Merz, kommentiert ein paar Szenen zwischen Staatschefs, hat Comedienne Hazel Brugger zu Gast, lacht und spielt mit ihr ein Spiel und dann ist auch schon wieder alles vorbei und man hat den Eindruck, dass sich das alles gar nicht so sehr von Heufer-Umlauf und dessen "Late Night Berlin" unterscheidet.

Vielleicht auch deshalb, weil beide Entertainer einiges verbindet. Beide sind, was gute Unterhalter immer sind, sehr gute Beobachter. Sie sehen eine Szene, haben das Gespür für den Moment und können aus ihm die lustige Essenz herausfiltern. Gleichzeitig nehmen sich beide selbst nicht allzu ernst, das was sie tun aber umso mehr, denn beide lieben es, andere zu unterhalten. "Das war echt witzig, geil, dass es das gibt", formulierte Reiners im Interview das Ziel seiner Arbeit im Allgemeinen und sagt bezogen auf "Till Tonight" im Besonderen: "Ich will gerne unterhalten. Es kommt im Sommer raus, es soll eine leichte Sommer-Late-Night sein."

Und genauso leicht fängt die erste Ausgabe auch an, als er Friedrich Merz und dessen erste Wochen als Kanzler ins Visier nimmt: "Wir hatten alle gedacht, das wird ein Unfall mit Friedrich Merz. Also, es war auch ein Unfall, auf jeden Fall. Aber: War nicht so schlimm. Das Auto hat sich dreimal überschlagen und du sitzt drin und denkst so: Oh, ist doch gar nichts passiert. Friedrich Merz ist der Blechschaden der Demokratie." Das kann man lustig finden oder nicht, so oder so ist es harmlos, Friedrich Merz dürfte schon Schlimmeres über sich gehört haben. Doch kurz darauf ist es vorbei mit der anvisierten Leichtigkeit.

Till Reiners belebt die Late Night wieder

"Friedrich Merz hat gesagt: Angriff von Israel auf den Iran, da macht Israel für uns die Drecksarbeit", beginnt Reiners und fragt dann laut nach: "Israel macht für uns die Drecksarbeit? Also, wenn Israel das jetzt nicht gemacht hätte – hätten wir den Iran angegriffen? Das muss er doch vor der Wahl sagen, das hätte schon was geändert, oder?" Da holt er sich das Lachen des Zuschauers, das er so gerne hat, ehe er sofort wieder dafür sorgt, dass es ihm sogleich im Hals stecken bleibt: "Wo ich mich auch gefragt habe: Was ist genau jetzt die Drecksarbeit? Was ist da der Dreck? Sind das die iranischen Zivilisten? Sind das die israelischen Zivilisten? Wer ist das genau?"

Wie gesagt, Till Reiners ist ein guter Beobachter, doch im Vergleich mit Heufer-Umlauf ist er der bessere, weil geschultere Stand-up-Comedian. Heufer-Umlauf ist brillant, wenn es um Schlagfertigkeit geht, aber er ist TV-Unterhalter und kein Stand-up-Mensch. Dieselben Sätze hätten bei ihm wahrscheinlich etwas auswendig gelernter geklungen, für Reiners ist so etwas Kabarett-Routine, die er nun mit der Leichtigkeit der Late-Night-Unterhaltung verbinden kann: "Ich will, dass die Leute lachen über meine Witze. Die Witze kaschieren sozusagen meine Haltung, aber nicht umgekehrt, dass meine Haltung meine Witze kaschiert", erklärte Reiners, wie er sich diese Mischung praktisch vorstellt.

Und sonst so? Sonst hat Reiners mit einer Redakteurin namens Sally, die ihn im Studio durch die Show lotsen soll und die er auch "meine Betreuerin" nennt, einen ungewöhnlichen Sidekick, der aber bestens funktioniert. Denn Sally plaudert kurz mit Reiners, führt ihn dabei charmant-wohlwollend vor und sollte das spontan sein, ist das wirklich gut. Sollte es allerdings nicht spontan, sondern geprobt sein, ist es fast noch besser, weil es spontan aussieht. Sollte Reiners Sally als Sidekick beibehalten, wäre das ein Gewinn.

Das war auf jeden Fall auch Hazel Brugger – für die erste Ausgabe einer Show ist Brugger allerdings auch ein dankbarer, weil super spontaner und unterhaltsamer Gast. Wenn Klaas Heufer-Umlauf sagt, dass Late-Night tot ist, dann mag das für ihn persönlich stimmen. Dass Late Night aber auch quicklebendig sein kann, den Beweis führte Till Reiners am Freitagabend.