Vater mit Kind auf der Flucht
1 10
Neben den drei Erstplatzierten fanden Werke anderer Fotografinnen und Fotografen eine ehrenvolle Erwähnung. Darunter Agoes Rudianto, der den zwölfjährigen Rifki Firmansyah in Indonesien fotografierte. Er tritt seit seinem 10. Lebensjahr in der Millionenstadt Depok als "silver kid" auf, um seiner Familie zu helfen. Meist malt er sich morgens mit Silberfarbe an, um bis in den Nachmittag an Verkehrskreuzungen als Roboter aufzutreten. Zur Schule geht er nicht. Der Mix, den die Jungen zum Versilbern ihrer Haut verwenden, reicht von Kerosin bis Blei, enthält Chemikalien und Metalle. Vor einer Zerstörung ihrer Haut aber fürchten sich die "silver kids" weniger als vor der Polizei. Auch Rifki ist schon wegen "Störung der öffentlichen Ordnung" festgenommen worden.
2 10
Zahra wollte so leicht sein wie ein Schmetterling. Und fliegen. In dieser Welt aber wird ihr Traum nicht mehr in Erfüllung gehen. Nur 13 Jahre alt ist sie geworden, die letzten drei davon hat sie gegen eine Krebserkrankung der Knochen gekämpft. Ein Kampf in furchtbaren Etappen: Beginnend mit einer Chemotherapie, die vergeblich war, sodass dem Mädchen das rechte Bein amputiert werden musste. Dann wurde eine Lendenwirbel-Operation nötig, die zu einer Querschnittslähmung führte. Der iranische Fotograf Shayan Hajinajaf hat den Leidensweg des Mädchens ebenso intensiv wie sensibel begleitet.
3 10
Irpin und Butscha – zwei Namen, die für die Schrecken des Krieges in der Ukraine stehen, für Massaker und andere Verbrechen an der Zivilbevölkerung. Der rumänische Fotograf Amnon Gutman hat an diesen Orten, aber auch in der Hauptstadt Kiew, festgehalten, was die Angriffe für die Menschen bedeuten. Im Blick eines verloren und doch auch stark wirkenden Mädchens im roten Anorak kulminiert alles das, was der Krieg Kindern abverlangt: Gerade sie müssen eine besondere Kraft haben, das für sie Unfassbare auszuhalten.
4 10
Als in den 1930er Jahren das Projekt der Panamericana in Angriff genommen wurde, eine Straßenverbindung von Alaska bis Argentinien, blieb ein Stück des Weges unvollendet: Die "Darien Gap" – eine unwegsame, gefährliche, von kriminellen Gangs kontrollierte Urwaldregion im Norden Kolumbiens. Genau diese etwa 100 Kilometer lange Route wird von Menschen aus Venezuela genutzt, die in die USA gelangen wollen. Es sind Hunderttausende, die es versuchen. Der Fotograf Federico Rios Escobar hat sich für 25 Tage mit auf den Weg gemacht und dabei Szenen eingefangen, die auch von einem Drama der Kinder zeugen. Mindestens neun Tage müssen sie steile Berge überwinden, Flüsse durchwaten, schlammverkrustet an der Hand ihrer Eltern, bis zum ersten Lager in Panama.
5 10
Der 15-jährige Khalil Ahmad musste seine linke Niere opfern. Das Geld, das sie dafür erhielt, benötigt die Familie dringend zur Ernährung ihrer Kinder. Ein angstvoll kauerndes Mädchen wurde an ein kinderloses Ehepaar verkauft. Eine verzweifelte Mutter borgt sich Geld und verkauft ihre Ohrringe, um ihr mangelernährtes Kleinkind in ein Hospital bringen zu können. Jungen, die eigentlich zur Schule gehen müssten, verdingen sich als Lastenschlepper. Bilder aus Afghanistan, wo die Bevölkerung von Dürren, Missernten, Vertreibung und dem Zusammenbruch vieler ziviler Strukturen heimgesucht wird. Der Fotograf Mads Nissen hat seine Reportage "Der Preis des Friedens" genannt.
6 10
Die Fotografin Irina Werning fotografierte in verschiedenen lateinamerikanischen Ländern Frauen, die mit Bezug zu indigenen Traditionen deutlich seltener ihre Haare schneiden als andere. "Wer die Haare abschneidet, schneidet Gedanken ab", zitiert die Fotografin. Die Corona-Pandemie, die in der argentinischen Bevölkerung überdurchschnittlich viele Opfer gefordert hat, brachte Werning mit einem Mädchen zusammen, das dem langen Haar noch eine aktuelle Bedeutung gab. Betroffen von den oft besonders langen Schulschließungen, gab sich Antonella das Versprechen, sein Haar in dem Moment zu kürzen, in dem es wieder physischen Unterricht geben würde. 260 Tage dauerte es, bis Ende November 2021 die Schule wieder öffnete – und Werning jenes Bild machen konnte.
7 10
Schon die Zahlen sind schreckenerregend: Abermillionen Flüchtlinge, über drei Millionen Kinder, für die humanitäre Hilfe bereitgestellt werden muss, vier Millionen Kinder im Land, deren Lernen schwer belastet ist. Zudem die Gefahr, von weiterem Strom- und Wassermangel, Hunger und Kälte betroffen zu sein. Hinter den Zahlen aus der Ukraine lauert aber noch etwas, was sich schwerer beziffern lässt und vor allem Kinder bedroht: Eine Hilfsorganisation nennt es "toxischen Stress", dem sie ausgesetzt sind. Der Fotograf Fabio Bucciarelli hat in Bildern eingefangen, wie sich die Gewalterfahrung wie Gift in den Kinderseelen ausbreitet.
8 10
Seit die Taliban im August 2021 erneut die Macht in Afghanistan übernommen haben, ist Mädchen der Besuch weiterführender Schulen wieder verboten. Mehr als einer Million Mädchen werden damit Bildungschancen verweigert. Solidarität mit ihnen regt sich aber im Verborgenen. Etwa in der heimlich unterstützten Schule, von der die Reportage des drittplatzierten Fotografen Daniel Pilar erzählt. Er hat sie in einem behelfsmäßig hergerichteten Gebäude entdeckt, verborgen in einem Hinterhof. Hier unterrichtet eine junge mutige Lehrerin Mädchen der 7. und 8. Klasse. So anonym wie die Lehrerin müssen auch die Eltern bleiben, die ihre Töchter auf solche Schulen schicken.
9 10
"I once had a home" hat der zweitplatzierte, US-amerikanische Fotograf Ron Haviv seine Reportage aus der Ukraine genannt. Es sind Bilder von Abschied und Flucht, von verlassenen Kinderwagen, von zerstörten Brücken und zerschossenen Wohngebäuden. Und von Kellern und Metrostationen, in denen Kinder geboren werden, spielen und lernen. Sein prämiertes Bild zeigt eine Lehrerin, die einer Gruppe von Mädchen und Jungen im Souterrain der Hauptstadt Kiew Geschichten vorliest.
10 10
Der erste Preis geht an den Argentinier Eduardo Soteras, der seit 2020 die Situation der Kinder in der äthiopischen Region Tigray dokumentiert, in Flüchtlingslagern, Krankenhäusern, Auffangstationen für sexuell misshandelte Mädchen. Und er fotografiert solch rare Augenblicke wie jenen, in dem sich zeigt, was die Kinder von Tigray mit den Kindern auf aller Welt teilen: das Bedürfnis, sich friedlich und neugierig mit etwas beschäftigen zu dürfen, das ihnen Freude bereitet. Denn der Bürgerkrieg zwischen der äthiopischen Zentralregierung und den Tigray Defence Forces, einer der brutalsten und tödlichsten Konflikte der jüngeren Gegenwart, hat die Zivilbevölkerung in eine grauenvolle Notlage gebracht.