Nick Woltemade hört einfach nicht auf, Tore zu schießen. Das bringt den Stuttgarter in eine ausgezeichnete Verhandlungsposition und macht ihn zu einem Objekt der Begierde für andere Klubs - zumal sein Spielerprofil ziemlich einzigartig ist.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Stefan Rommel sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

"Drei Tore… die schmecken sehr gut", ließ Nick Woltemade am sehr späten Donnerstagabend alle diejenigen wissen, die das Auftaktspiel der deutschen U-21-Nationalmannschaft gegen Slowenien verfolgt hatten und nun vom besten Spieler auf dem Platz dessen Einschätzung hören wollten.

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Mit einem Dreierpack entschied Woltemade die Partie gegen widerspenstige Slowenen, ganz so wie ihm das schon bei der Generalprobe zur Europameisterschaft gegen die sehr hoch gehandelten Spanier gelungen war. Die letzten sechs Tore der deutschen U21 hat Woltemade erzielt, ohne Übertreibung kann man im 23-Jährigen den derzeit wohl wichtigsten Spieler dieser Mannschaft sehen.

Und einen Akteur, der sich mehr als ohnehin schon in der jüngst abgelaufenen Saison auf einer etwas größeren Bühne ins Rampenlicht spielt und schießt.

Woltemades "unheimliche" Leistungsexplosion

Die U-21-EM ist für viele Spieler so etwas wie ein erstes großes Schaulaufen. Die Zuschauerzahlen in den Stadien des aktuellen Gastgeberlands Slowakei mögen das zwar nicht suggerieren - beim einen oder anderen Spiel verloren sich auch aufgrund der absurd späten Anstoßzeiten nur ein paar tausend Fans in die Arenen -, tatsächlich aber hat sich das Turnier in den letzten Dekaden für zahlreiche Spieler als perfektes Sprungbrett erwiesen: um sich bei einem neuen Klub zu versuchen oder aber beim aktuellen Arbeitgeber mit Nachdruck über bestehende Verträge zu verhandeln.

Beim Woltemades Klub VfB Stuttgart dürften sie die Leistungen des Spielers in den letzten Wochen und Monaten mit sehr viel Wohlwollen goutiert haben. 20 Torbeteiligungen in 33 Pflichtspielen sind eine exorbitant hohe Quote für einen Spieler, der davor in 51 Spielen auf vergleichbarem Niveau für Werder Bremen lediglich zwei Tore und einen Assist vorweisen konnte.

Das machte Woltemade zu einem der Senkrechtstarter der Saison, der zudem seinen Klub im letzten Spiel zum Pokalsieg über Arminia Bielefeld schoss und nun den perfekten Start der U21 ins Endturnier besorgte. Eine "unheimlichen Serie" erkennt U21-Trainer Toni di Salvo nach zuletzt sechs Woltemade-Toren in Folge für seine Mannschaft.

Floskeln statt Bekenntnis

In Stuttgart besitzt Woltemade noch einen Vertrag bis 2028 und das ohne Ausstiegsklausel. Eine vermeintlich sichere Konstellation für die Schwaben und doch nicht ganz ohne Risiko, wenn der Spieler weiter so auf sich aufmerksam macht.

Mit jedem Tor wird Woltemades Verhandlungsposition besser, wird der VfB dem Spieler bessere Bezüge und andere Freiheiten einräumen müssen, wenn sich beide Parteien vielleicht demnächst über eine Anpassung des Kontrakts unterhalten. Oder aber, aus Stuttgarter Sicht noch schlimmer, wenn sich bald deutlich finanzstärkere Klubs mal bei und über Woltemade erkundigen.

Von einem konkreten Interesse der Power Shopper vom FC Chelsea war zuletzt immer wieder zu lesen, die Bayern hätten Woltemade auf dem Schirm, Vereine aus Spanien und Italien ebenfalls. "Ich glaube, so etwas gehört dazu", sagte Woltemade selbst mit Blick auf die mittlerweile zahlreichen Gerüchte. "Es wäre kein optimales Scouting, wenn ein Verein das jetzt nicht auf dem Zettel hätte."

So ganz abräumen wollte oder konnte er die Spekulationen indes nicht und behalf sich deshalb mit den in diesen Fällen üblichen Floskeln. "Über meine Zukunft mache ich mir jetzt gerade keine Gedanken. Ich bin jetzt bei der U-21-Nationalmannschaft, habe sehr viel Spaß und gerade drei Tore geschossen …"

Reitz lobt Woltemade: "Er gibt dir immer eine Lösung"

Wie sehr es seinen Mitspielern nicht erst seit dem Dreierpack gegen Slowenien Spaß macht, mit Woltemade zusammen Fußball zu spielen, ließ sich nach der Partie leicht vernehmen. "Abgesehen von den drei Tore ist es die Qualität, die er reinbringt. Es macht extrem Spaß, mit ihm zu spielen! Er ist genau dieser Anker, mit ich auch gerne zusammen spiele", sagte Rocco Reitz nach dem Spiel und führte Woltemades Vorzüge aus wie ein Trainer, der aus dem Lehrbuch zitiert.

"Er gibt mir diese zwei, drei Sekunden, um am Gegner vorbeizugehen und dann Ball wiederzubekommen. Er ist immer da übers Standbein, gibt dir immer eine Lösung. Und wenn er aufdreht auf die Kette, ist er schon brutal. Wenn er den Gegner hinter sich lässt mit seinen Riesenarmen und dem schlaksigen Körper …"

Seine aktuellen Mitspieler, die in der Bundesliga in der Regel gegen ihn spielen müssen, bekommen gewissermaßen doppelten Anschauungsunterricht von Woltemades Spiel und können wohl auch deshalb besonders gut einschätzen, wie schwer dieser Typ Spieler zu verteidigen ist.

Leicht und unbeschwert

Trotz der großen Übersetzung hat Woltemade besonders flinke Beine, nimmt sich viele kleine Ballkontakte, bleibt dabei leichtfüßig, fast schon tänzelnd und macht dem Gegner eine konkrete Abwehraktion auch deshalb so schwer. Aufgrund seiner Körpergröße und der manchmal unkonventionellen Bewegungen wirkt das oft ziemlich unberechenbar im offenen Eins-gegen-Eins, also wenn Woltemade mit dem Gesicht zum gegnerischen Tor ins Dribbling geht.

Dazu kommen herausragende Fähigkeiten und Fertigkeiten mit dem Rücken zum Tor, wenn er Bälle festmacht oder ablegt, ganz bewusst den Körperkontakt sucht, um sich schnell um den Gegner zu winden. Oder das Passen übers Standbein, das auch Reitz explizit nennt: Eine kleine Bewegung, eine unscheinbare technische Fertigkeit, die doch so komplex und kompliziert in der Umsetzung sein kann, wenn es um Präzision, Passschärfe, Winkel geht.

Woltemade gelingt immer öfter, was nur wenigen Fußballern gelingen mag: Er lässt das Spiel leicht aussehen und unbeschwert und es macht seinen Fans und allen neutralen Beobachtern Spaß, ihm dabei zuzusehen.

Tolles Gesamtpaket

Das fußballerische Gesamtpaket ist schon sehr stimmig, wenngleich auch noch lange nicht ausgereizt oder vollkommen. In der Nations League etwa blieb Woltemade auf dem allerhöchsten Niveau trotz guter Einschussmöglichkeiten gegen Portugal und Frankreich ohne Treffer, ein absoluter Spitzenspieler wäre mit diesen Möglichkeiten wohl präziser umgegangen.

Aber einen Spielertypus wie ihn gibt es nicht so oft im Fußball, zumindest nicht auf diesem Niveau. Das bringt dem gebürtigen Bremer schon einen kleinen Sonderstatus ein.

Natürlich ist da noch jede Menge zu tun und zu arbeiten und irgendwann werden auch Tiefs und vielleicht auch Verletzungen dazu kommen und die Resilienz des Spielers überprüfen. Momentan aber reitet Nick Woltemade die Welle zum Abschluss einer nahezu unglaublichen Rückserie. Und das macht ihn zu einem sehr begehrten Spieler, auch außerhalb der Bundesliga. Der VfB Stuttgart sollte sich dessen besser bewusst sein …

Verwendete Quellen

Teaserbild: © DeFodi Images/IMAGO/Marco Steinbrenner