Mit der Verpflichtung von Lucas Hernández macht der FC Bayern ernst in Sachen Verjüngung. Doch der Wechsel des Franzosen birgt auch einige Gefahren für den Rekordmeister.

Pit Gottschalk
Eine Kolumne

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Noch ist nicht überliefert, wie Jerome Boateng und Mats Hummels von ihrer Degradierung in der Innenverteidigung erfahren haben.

Ob zum Beispiel Trainer Niko Kovac ein persönliches Gespräch mit ihnen anberaumt hat, wie es Bundestrainer Joachim Löw getan hat, bevor gestern die erlösende Pressemitteilung vom FC Bayern verschickt wurde.

Die Verpflichtung des französischen Abwehrspielers Lucas Hernández gefährdet ihren Arbeitsplatz jedenfalls akut. Wer einen Verteidiger für 80 Mio. Euro verpflichtet, tut dies ganz sicher nicht, um die Ersatzbank zu verstärken.

Der FC Bayern macht bei der Verjüngung des Kaders ernst und kümmert sich einen feuchten Kehricht um die Erfolge von gestern.

Ein langfristig angelegter Umbruch

Die angekündigte Großoffensive auf dem Transfermarkt verschafft der kommenden Saison 2019/20 jetzt - nach Benjamin Pavard - das nächste prominente Gesicht des Weltmeisters beim FC Bayern.

Der Umbruch ist radikal und produziert eine Bayern-Mannschaft, die auf Jahre die Liga beherrschen soll. Man erkennt das an einem weiteren Detail sofort.

Bei der Einstellungsuntersuchung bemängelten die Ärzte einen Defekt am Innenband des Knies. Trotzdem willigte die Bayern-Führung so konsequent in den Rekordtransfer ein, als habe man beim Gebrauchtwagenkauf einen platten Reifen festgestellt.

Das kann nur bedeuten, dass die Bayern-Bosse langfristig denken: Der neue Mann hat die Statur zur Führungsfigur.

Bayern geht mit Hernández Risiko ein

Ein vorzeitiges Aus in der Champions League, wie es zuletzt im Achtelfinale gegen den FC Liverpool passierte, soll die Ausnahme bleiben. Ausgerechnet beim Klopp-Team konnten die Bayern sehen, wie wichtig ein schneller und dynamischer Abwehrspieler für den Erfolg einer Mannschaft sein kann.

Virgil van Dijk entschied das Rückspiel mit einem Tor und einer Vorlage. Bei van Dijk haben sie den Kopf geschüttelt, als ihn Jürgen Klopp 2018 für 78 Mio. Euro aus Southampton holte.

Heute stellt der einst wacklige FC Liverpool mit nur 18 Gegentoren in 31 Spielen die beste Abwehr in der Premier League. Nun gehen die Bayern selbst ein Risiko ein, das über den monatelangen Ausfall eines Spielers hinausgeht.

Sechs Gefahren drohen

  • Rest der Saison: Wie reagieren die Spieler, die jetzt wissen, dass ihre Zeit beim FC Bayern endet? Das Titelrennen mit Borussia Dortmund dauert noch acht Spieltage. Am 6. April kommt es zum direkten Duell. Nicht jeder, der sich für einen neuen Verein empfehlen will, spielt unbedingt im Sinne der Mannschaft. Er will auf sich aufmerksam machen.
  • Gehaltsstruktur: Diskussionen löst sicherlich das Gehalt des neuen Mannes aus. 13 Mio. Euro pro Jahr soll Lucas Hernández verdienen. Ein Verteidiger. Die Summe, die nicht bestätigt ist, ruft sogar die ausgeglichensten Profis auf den Plan und verlangt nach Anpassung. Nicht jeden Gehaltswunsch wird der FC Bayern erfüllen. Neid ist dann fast unvermeidbar.
  • Eingewöhnung: Natürlich hat Lucas Hernández das große Glück, dass schon sein Landsmann Corentin Tolisso in München spielt. Doch der ist seit Beginn der Saison verletzt und kennt den Verein nur bedingt. Und wahr ist auch: Hernández ist ein Eigengewächs von Atletico Madrid; er kennt die Fremde noch nicht und wird die deutsche Sprache bis Sommer kaum beherrschen.
  • Franzosen-Clique: Die Gruppe mit drei französischen Weltmeistern sowie mit den zwei Franzosen Kingsley Coman und Franck Ribery (der auf eine Vertragsverlängerung hofft) ist eine Mannschaft innerhalb der Mannschaft. Allein wegen der Sprache läuft die Konversation untereinander nicht selten parallel zum Rest des Teams. Dem Wir-Gefühl förderlich ist das nicht.
  • Erfolgsdruck: Bei jedem Bayern-Spiel hängt ein Preisschild an Lucas Hernández. Jeder verlorene Zweikampf wirft die eine Frage unweigerlich auf: Ist er das viele Geld wert? Er ist 23 Jahre alt. Man weiß noch nicht, wie er mit dieser Drucksituation umgeht. Auch der FC Bayern steht unter Druck: Die Ablösesumme übersteigt zehn Prozent des Jahresumsatzes.
  • Der Trainer: Um die Gefühlswelt der Spieler und das Seelenheil des Vereins zu schonen, muss Niko Kovac ein Gemisch aus Fachkenntnis, Ausstrahlung und Sozialkompetenz einbringen, wie es nur ganz große Trainer können, und Erfolge einfahren. Kann er das? Beim Liverpool-Aus war er heillos überfordert und provozierte Zweifel. Die darf er sich nicht mehr erlauben.

Hernández-Transfer wird ein Geschenk für die Bundesliga

Für die Bundesliga, so viel steht fest, ist der Hernández-Transfer ein Geschenk. Die Bayern-Mannschaft gewinnt nicht nur an Attraktivität im Ausland und an Stärke in der Champions League. Die Personalie wird in Deutschland, so oder so, Schlagzeilen produzieren und die nächsten Transfers erleichtern.
Denn eines ist ja klar: Ein Spieler, der sich zwischen zwei Klubs entscheiden muss, wird den mit den größten Erfolgsaussichten wählen. Zwei Weltmeister im Kader sind ein gutes Argument.

Timo Werner von RB Leipzig und Kai Havertz von Bayer Leverkusen sind die jüngsten Gerüchte und werden nicht die letzten im Frühjahr sein. Trotz der drohenden Gefahr.

Pit Gottschalk, 50, ist Journalist und Buchautor. Seinen kostenlosen Fußball-Newsletter Fever Pit’ch erhalten Sie hier: http://newsletter.pitgottschalk.de.
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