Nach einer 1:5-Blamage gegen den SV Sandhausen steht fest: Der HSV bleibt in der zweiten Liga. Die Gründe für die sportlichen Misserfolge des Hamburger Traditionsclubs sind für unseren Kolumnisten klar. Es fehlt die Zielstrebigkeit.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Pit Gottschalk dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Es gibt gute Gründe, warum ich jahrelang an keinem Tippspiel teilgenommen habe. Nie konnte ich eines gewinnen. Immerhin: Beim Fever Pit'ch Tippspiel schloss ich die Saison auf Platz 95 ab und gehöre zu den besten zehn Prozent im Teilnehmerfeld - mit 39 Punkten Rückstand auf den Gewinner (441).

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Wie schlecht ich tippe, zeigt das Beispiel 2. Liga. Niemals hätte ich es für möglich gehalten, dass der 1. FC Heidenheim in die Relegation um den Aufstieg einzieht und der Hamburger SV nicht aufsteigt. Der HSV-Kader ist mit 46 Millionen Euro mehr als doppelt so viel wert wie der von Heidenheim.

So endet schon zu Beginn jede rationale Erklärung, warum der ja bestens ausgestattete Hamburger SV in der Abschlusstabelle nur einen Saisonsieg mehr aufzuweisen hat als Darmstadt 98, Hannover 96 und - jetzt kommt's - Erzgebirge Aue. Die Sachsen kassierten auch nur zwei Tore mehr als der HSV.

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An der fachlichen Qualifikation von Trainer Dieter Hecking kann es nicht liegen: Er allein gewann mehr Titel als der Hamburger SV in mehr als drei Jahrzehnten. Jeder Trainertyp ist inzwischen am HSV gescheitert. Man kann also nicht behaupten, dass Trainer und Mannschaft nicht zusammenpassten.

Dem HSV fehlen Opferbereitschaft und Hunger

Irgendetwas in diesem Verein muss so faul sein, dass fruchtbare Phasen stets plötzlich enden und, schlimmer noch, ins Desaster wegrutschen. 1:5 gegen Sandhausen, wenn es drauf ankommt: Dafür gibt es keine Entschuldigung. Womöglich geht's den Spielern in Hamburg einfach zu gut.

Ob Europacup oder 2. Liga: Wer Erfolg will, muss zum fußballerischen Talent Opferbereitschaft einbringen, einen Geist, der über Schwächeperioden hinweg trägt. Diesen Geist des Widerstands hatte der HSV, als es in der Hinrunde Häme gegen Bakery Jatta gab. Und danach nicht mehr.

Plötzlich war die Luft raus. Man konnte es sogar bei Auswärtssiegen wie beim 1:0 in Dresden sehen, dass nicht Überlegenheit den Sieg brachte, sondern ein bisschen Glück. Aber Glück ist launisch. In der Rückrunde wurden neun Punkte in der Nachspielzeit verschenkt. Die Luft ging aus.

Der Wille zur Arbeit ist zwischen Elbe und Alster zahlreichen Verlockungen und Möglichkeiten zur Defokussierung ausgesetzt. Der HSV gebärdet sich in der Stadt wie ein Denkmal, das an bessere Zeiten erinnern will und dabei übersieht, dass inzwischen jeder Vierbeiner sein Beinchen an ihm hebt.

Mit dem Glanz der Vergangenheit hat noch kein Verein Punkte gewonnen. Längst verlieren die Heidenheims und Sandhausens jeden Respekt vor dem HSV im Allgemeinen und dem Volksparkstadion im Besonderen. Der sehr langsame Aaron Hunt war zuletzt der beste Hamburger. Das sagt ja alles.

Wo ist der Hunger? Die Gier? Die mangelnde Zielstrebigkeit durchzieht den kompletten Verein. Sogar Talenten im Nachwuchsleistungszentrum wird gesagt, dass Fußball nicht alles im Leben ist. Mag ja sein. Nur führt man so keinen Profiklub. Die eigene Zukunft muss das Allerwichtigste sein.

Echte Erneuerung statt billiger Symbolpolitik

Vermutlich wird man in den nächsten Tagen wieder alles infrage stellen, was kürzlich Best-of-Class gewesen sein soll und so die Schalker Verhältnisse der Diskontinuität zementieren.

Trainer weg, Manager weg, das halbe Team: Wer weiß, was denen sonst noch einfällt. Das Problem ist damit nicht weg.

Der HSV braucht Spielphilosophie, Leidenschaft für ein gemeinsames Ziel, ein Wir-Gefühl, das nicht vom nächsten Scheck eines alten Milliardärs abhängt. Beim letzten Erneuerungsprozess hat man Lotto King Karl mit seiner Hamburg-Hymne fortgejagt. Als ob er das Problem gewesen wäre.

Nein, war er nicht. Sein Abgang war billige Symbolpolitik, die zu nichts geführt hat, weil sie vom Inhaltlichen ablenkte: Da stand irgendwann keine leistungswillige Mannschaft mehr auf dem Rasen - und keiner war da im Verein, der die Spieler in bester Hoeneß-Manier durchschütteln konnte.

Vielen Traditionsvereinen ging es schon so. Eintracht Frankfurt und Borussia Mönchengladbach zum Beispiel. Die fanden dann einen, der's drauf hat, die einen Fredi Bobic, die anderen Max Eberl.

Seitdem funktionieren die Klubs. Ob der HSV einen solchen Typen zuließe? Darauf tippen würde ich nicht.

Pit Gottschalk ist Journalist und Buchautor. Seinen kostenlosen Fußball-Newsletter Fever Pit’ch erhalten Sie hier: http://newsletter.pitgottschalk.de/.
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