Wenn Fahrzeuge ins Museum rollen, dann nehmen sie nicht nur einen Teil der Mobilitätsgeschichte mit, sondern vor allem Emotionen. Das trifft auf jeden Oldie zu, ganz besonders aber auf Reise-Klassiker. Hier geht es um Sehnsüchte, um Urlaub, um Horizonte – und das, was dahinter liegen könnte. Es geht also um sehr viel mehr als nur um altes Blech und krisselige GFK-Aufbauten. Es geht um uns!
Das Museum
Das hört sich sicherlich pathetisch an, doch es trifft den Kern der Idee "Reisemobil-Museum", die sich vor einem flotten Jahrzehnt in Bad Waldsee als "Erwin Hymer Museum" manifestierte. Zu verdanken ist es dem Firmengründer und Namensgeber, doch ohne seine Nachkommen, die die Idee des Seniors schätzen, und ohne all die Menschen hinter den Kulissen wäre der Stolz der Erwin Hymer Stiftung allenfalls ein schicker Kasten an der B30.
Die Architektur sticht ins Auge, vor allem von Süden Richtung Ulm rollend, mit ihrer rot umrandeten Glasfassade, deren Form an ein Campingfenster erinnern soll, aus dem man in die Welt hinausschaut. Viele, auch der Autor, sind gern dann im Museum, wenn das Wetter so richtig garstig ist. Drinnen ist es dann warm und behaglich, und die Gedanken und Erinnerungen dürfen auf Reisen gehen, museal auf dem Zeitstrahl nach hinten und mit Vorfreude nach vorn.
Die Gedanken auf die Reise schicken müssen aber auch jene, die die angebotenen Exponate zu selektieren haben, denn längst nicht alles, was hübsch und alt ist, findet den Weg in die geheiligten Hallen. "Wir bekommen sicher an die hundert Exponate im Jahr angeboten", meint Sammlungsleiter und stellvertretender Museumsdirektor Markus Böhm. Eine gewaltige Zahl, ganz sicher, bedenkt man, dass sich die Kollektion solcherart alle zweieinhalb Jahre komplett auffüllen ließe.
Die Ausstellung
Doch was will man zeigen? Den fünften Eriba Puck, nur weil sich eine Leiste in der Farbe geändert hat? "Nein, das eher nicht", meint Böhm, dem die Entscheidung obliegt, ob ein Fahrzeug in den Hafen der Stiftung übergeht. "Wir haben ein gutes Dutzend Eriba Nova im Bestand, das reicht. Und auch ein x-beliebiger Wohnwagen der 1970er wird die Sammlung nicht bereichern", sofern er nicht eine packende Story zu berichten weiß.
Man möchte sich das wie einen peniblen Auswahlprozess vorstellen, wobei Glücksritter, die des Onkels Wanderniere für teuer Geld ins Museum schleusen möchten, das Nachsehen haben. Denn die wichtigste Person in diesem Zusammenhang ist der Besucher. "Dem möchten wir ja auch eine Geschichte erzählen können, und deshalb stehen Zustand und der historische Hintergrund bei unserer Entscheidung an erster Stelle, der Besucherblickwinkel ist immer auch unser Blickwinkel." Dauerleihgaben beispielsweise haben nur dann eine Chance, wenn sie sich in ausstellungswürdigem Zustand befinden. Eine andere Form ist die Schenkung, die es dem Museum gestattet, Arbeit, Zeit und vor allem Geld ins Fahrzeug zu investieren.
Die neue Schauwerkstatt
Durchgeführt werden diese Tätigkeiten seit Kurzem in der Museumswerkstatt; die Idee zur gläsernen Schrauberbude "schwebte schon bei der Konzeption der Ausstellung im Jahr 2010 im Raum", erinnert sich Susanne Hinzen, offiziell ist sie "Geschäftsführender Vorstand" und Museumsdirektorin. Sie selbst kam 2010 zur Stiftung, da war das riesige Museumsgebäude noch leer, "der perfekte Ausgangspunkt, um bei null zu beginnen", erinnert sich Hinzen, die als erste Amtshandlung eine Fuhre Lkw beim Metzger abholte und genau mit diesem sehr nahbaren Akt dem Museum eine Seele gab. Denn die Lkw brachte sie zu jenen Jungs, die die bis dato vorhandenen Fahrzeuge warteten, pflegten und restaurierten – meist kannten sie Stiftungsgründer und Sammler Erwin persönlich; alte Bad Waldseer.
Kryptische Worte voller Tiefgang: Unter dem "Lkw" versteht man in der Region den klassischen "Leberkäswecken", wie es ihn bei jedem guten Metzger gibt, gerne warm und von innen wärmend, stets sättigend. "Ich bin also mit den Lkw und einer Kiste Bier zu den Jungs marschiert, hab mich vorgestellt – und dann direkt gefragt, welche Fahrzeuge sie in der Ausstellung würden sehen wollen. Und warum!" Susanne redet bei solchen Dingen nicht um den heißen Brei, wobei die Lkw sicherlich einen Teil dazu beitrugen, dass man ihr auch zuhörte. (Hat hier jemand was von "gefräßiger Stille" gesagt?)
Werbung auf der CMT
"Das waren tolle, fundierte Gespräche, eigentlich sogar Diskussionen. Ich sagte den Kollegen, dass ich die Fahrzeuge sehen möchte, die sie drin haben wollen, und dass ich sie live sehen will!" Immerhin ist ja nur ein Teil der Sammlung direkt in der Ausstellung zu betrachten, die allermeisten Fahrzeuge sind eingelagert, mitunter im Zustand eines Restaurierungsobjekts oder zerlegt, gezeigt wird eine wechselnde Auswahl. "Außerdem habe ich beschlossen, dass wir auf die Messe CMT nach Stuttgart gehen, um die Eröffnung des Museums anzukündigen. Aber ohne einen Hymer."
Welch krasse Entscheidung, Hinzen musste sich denn auch nach dem Grund fragen lassen, warum das Museum sich auf einer der wichtigsten Camping- und Touristikmessen mit Fremdfabrikaten präsentiert. "Wir waren 2011 mit unserem ‚Weltkugel-Taunus‘, dem Ford Taunus 12M von 1957 – wer könnte mit dieser ‚Nase‘ besser zu uns passen –, und der Sportberger Land-Yacht L6 von 1953. Manche Kids auf der Messe meinten, es sei ein Ufo oder ein U-Boot."
Doch der Erfolg gab ihr Recht: "Niemand, wirklich niemand hat das von uns erwartet – aber alle sind vorbeigekommen. Und alle mussten unbedingt auf die Hülle aus Holzfaserplatten klopfen", schmunzelt sie. Das Museum begann seinen Weg zu machen, heute sind etwa 80 bis 90 "Parkpositionen" besetzt, 265 Fahrzeuge sind insgesamt im Bestand, wobei 180 Wohnwagen und 40 Reisemobile den Kernbestand bilden. "Exoten haben wir aber auch", meint Susanne und verweist auf das TukTuk. "Wir sind schließlich kein Museum für Campingfahrzeuge, wir sind ein Reisemuseum", betont die Chefin, die deshalb auch den T1-Bulli von Jürgen Schultz so schätzt. "Der drückt genau das aus, wofür wir stehen."
Geschichte, die begeistert
Der längst auch durch Fernsehbeiträge bekannte Bulli erzählt vom Hippie-Trail – weil er so ausgestellt ist, wie er dort unterwegs war. Vor rund zehn Jahren bot Besitzer Jürgen Schultz den Bus dem Museum als Leihgabe an – komplett mit allen Ausrüstungsgegenständen und sogar dem Ersatzmotor, der während der vielen Kilometer nach Goa im Auto lag und damit eindeutig im Weg. Seit Mai 2014 ist der Bus in der Ausstellung zu sehen und hat sich längst zum Publikumsliebling gemausert. Trotz – oder vielleicht gerade wegen – seines rustikalen Zustands, wurde der Wagen doch nach der Rückkehr aus Asien nicht grundlegend verändert. Einzig einige normale Reisen bis um die Jahrtausendwende musste der Bus noch aushalten – heute darf er dauerhaft im Museum parken.
"Nur restaurieren würden wir den nie", betont auch Böhm. "Und warum sollten wir auch – und mit welchem Ziel?" Es ist dies die zentrale Frage, die es bei jedem einzelnen Fahrzeug zu stellen gilt. "Was will man – und was tut man – und will man das jetzt tun?" Im Fall des Schultz’schen T1 war die Sache klar, hier ging es alleine um die Sicherung des Zustands. Denn selbst der Kaschmirbezug der Schlafbank, die "Left Hand Drive"-Warntafel aus Sri Lanka oder das Ersatzteilsammelsurium in der Klapptür gehören zur Historie des mit günstigem Lack aus der Grabbelkiste getünchten Fernwehmobils. Dieses Auto atmet nicht nur Geschichte. Es IST Geschichte.
Bei anderen Exponaten hingegen fragt man sich, wie die Geschichte wohl hätte weitergehen können. Da gibt es den "Mikafa" von 1959 mit der schicken Dachterrasse, und der geneigte Betrachter überlegt, warum sich diese nie durchzusetzen vermochte. "Ein gutes Beispiel ist auch der Caravano", meint Hinzen. "Bei dem grüble ich mich immer wieder, wie die Geschichte des Reisemobils sich seit den 1960erJahren entwickelt hätte, wäre Borgward nicht pleitegegangen.
" Ja, und der Janus? "Ja, das ist ja auch ein Campervan. Irgendwie." Sie lächelt, Oldies machen eben glücklich! Doch zurück zur Werkstatt, die sich also bei jedem Fahrzeug aufs Neue in eine Einzelfallentscheidung stürzen muss: "Will ich auf den Originalzustand zurück, dann zerstöre ich meist die Patina, die ja zur Historie gehört", mahnt Böhm. "Einen Motor oder ein Getriebe sanieren, das ist kein Problem", erklärt der gelernte Kfzler, und über einen Ölwechsel – man nimmt ja auch an Veranstaltungen teil, da will man die Fahrzeuge sicher auf der Piste wissen – redet man erst gar nicht.
"Knifflig wird es, wenn es um Einzelstücke oder Messefahrzeuge geht, zu denen oft keine Dokumentation oder gar ein Schaltplan vorhanden sind, wie beim ‚Männermobil‘, der Studie von Sunlight. Das sollte schon damals nicht zu ernst genommen und mit einem Augenzwinkern betrachtet werden", meint Markus und verweist auf die weltweit erste Bierzapfanlage in einem Reisemobil, auf die Bar, die Flachbildfernseher oder die Playstation, Version 3 war anno 2006 das Maß der Dinge.
"Die Küche beschränkt sich dafür aufs Nötigste: Kaffeevollautomat, Mikrowelle, Spülmaschine, Schnapsflaschenspender – was man halt so braucht. Der extragroße BBQ-Grill wurde in der Heckgarage verstaut, Tischkicker oder eine Dartscheibe gab es auch, eine Dusche hingegen nicht." Wunderwelt der Klischees – ein "Frauenmobil" hatte es ja zuvor schon gegeben. Aber: "Das Teil war niemals auf Reisen", erklärt Susanne Hinzen, "trotzdem wäre es doch toll, wenn die Spülmaschine funktionsfähig wäre, oder?" Freilich geht es hier um klassische Hauselektrik, aber auch das meistert die Werkstatt, die jetzt neu gebaut und gläsern ist. "Mit der wollen wir die Arbeiten direkt sichtbar machen", erklärt sie.
"Es geht nicht nur um den Erhalt, sondern auch um den Weg, den ein Camper oder Caravan nimmt, bevor er in die Sammlung kommt. Das soll transparent sein, nahbar." Natürlich wird der normale Besucher nicht unter der Hebebühne rumturnen dürfen, und die große Säge – Reisemobile haben meist auch eine Seele aus Holz – ist wegen der Absaugung separat untergebracht. Doch die Scheiben, die offenen Türen laden ein, an den Arbeiten zumindest mit den Augen teilzunehmen. Clubs und klassische Selbermacher sind hier genau richtig; die ein oder andere Inspiration gibt es obendrein, zumal die Jungs in der Werkstatt dokumentieren und kommunizieren, was sie gerade tun. Und warum so und nicht anders gearbeitet wird in dieser "Museumswerkstatt für mobiles Reisen", in der zum Glück nicht nach der Stechuhr, sondern nach dem Rhythmus der Klassiker gearbeitet wird, was die Vorgehensweisen noch besser sichtbar macht.
Wobei manche Arbeiten bewusst nicht getan werden: "Wir haben einen zerlegten Ford Taunus, der in Teilen viel mehr Wert für unser Museum hat", erklärt Susanne. "Weil wir den gleichen Zugwagen für einen Caravan im Topzustand haben, können wir zwei Geschichten erzählen; wir können eine nackte Karosserie und ein Komplettfahrzeug zeigen", erklärt sie. "Oder man schaut sich unseren Coventry Knight von 1949 an; der Caravan brauchte Jahre, bis er in die Ausstellung konnte." Noch vor zwei Dekaden hätte man es sich leicht gemacht und geschaut, ob nicht ein Rest an Auslegeware aus der benachbarten Hymer-Fertigung über ist – "heute lassen wir eher einen Bezug oder einen Teppich eigens nachfertigen, auch wenn das dauert", betont der Werkstattleiter, dem technische Verschlimmbesserungen oder moderne Verschönerungen als Sünde wider die Götter gelten.
Die Philosophie des Museums
Am Ende fühlt sich der Museumsbesucher an die Charta von Venedig aus dem Jahr 1964 erinnert, die den Weg für ein modernes Denkmalverständnis ebnete. Sie legte grundlegende Positionen der Denkmalpflege fest, beschäftigte sich auch mit dem Problem hypothetischer Rekonstruktionen und mahnt generell zur Dokumentation aller Arbeiten. "Das machen wir natürlich auch", betont Markus und verweist auf die umfangreiche Archivarbeit in Text und Bild, wobei auch sämtliche Beigaben zu den Fahrzeugen digitalisiert werden.
"Das kann ein Fahrtenbuch sein, die Rechnung eines Campingplatzes von 1973 oder eine Postkarte aus dem Handschuhfach. Das ist alles wichtig", ergänzt Susanne Hinzen, die in einem redaktionsinternen Gespräch einmal als "liebevolle, begeisterte Museumsdirektorin" geadelt wurde, was aber auch viel über das Museum aussagt und sich nicht nur auf das Mitbringen diverser Leberkäswecken mit ein bisschen Senf beschränkt.

Von all dieser musealen Alltagsarbeit ahnt der durch die Hallen spazierende Besucher zumeist nichts. Doch auch Campingplatzrechnung oder Postkarte erzählen von den Wegen des Fahrzeugs, von den Menschen, den damaligen Besitzern und davon, was das Reisen für sie bedeutete. Und so sehr sich unsere Reisemobile gewandelt haben – die Emotionen taten es nicht. Wie schön, dass manche Dinge einfach unvergänglich sind!
Alle Infos zum Erwin-Hymer-Museum
- Adresse: Robert-Bosch-Straße 7, 88339 Bad Waldsee
- Öffnungszeiten: täglich, 10-18 Uhr
- Eintrittspreise: 14 Euro, ermäßigt 7,50 Euro
- Info: erwin-hymer-museum.de

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