Oliver Behrens im Gespräch: Oliver Behrens ist neuer Präsident von Frankfurt Main Finance. Er sagt, der Standort brauche einen Masterplan für die Finanzindustrie – auch wegen deren Bedeutung für den Arbeitsmarkt in der Region.
Herr Behrens, warum werden Sie Präsident von Frankfurt Main Finance?
Der Finanzplatz Frankfurt hat für mich mein ganzes Leben lang eine wichtige Rolle gespielt. Frankfurt verfügt über ein funktionierendes Ökosystem, weil hier alles dicht beieinander ist, weil man sich gut kennt. Das Engagement für die Branche ist also auch eine Herzenssache. Und ich glaube, dafür gut aufgestellt zu sein, weil ich in allen drei Säulen des deutschen Bankensystems gearbeitet habe.
Was wünschen Sie sich für den Finanzplatz Frankfurt?
Der Finanzplatz verfügt über unterschiedliche Stakeholder, nationale und internationale Häuser, Banken, Kanzleien, Verbände, es gibt also viele unterschiedliche Positionen. Ich will versuchen, die Interessen zusammenzubringen und dem Finanzplatz eine vernehmbare Stimme zu geben.
Bei welchen Themen wollen Sie sich mehr Gehör verschaffen?
Durch die Finanzkrise 2008 haben die Banken einen enormen Imageschaden hinnehmen müssen, den sie lange nicht losgeworden sind. In der Folge war es schwierig, für die Interessen der Finanzindustrie ausreichend Unterstützung zu bekommen, vor allem bei der Stadt, dem Land und im Bund. Aber der Finanzplatz ist für Frankfurt und die Region von großer Relevanz und umfasst weit mehr als nur Banken, sondern auch Kanzleien, Wirtschaftsprüfer, Berater, Aufsichtsbehörden, Zentralbanken. Umso wichtiger ist es, künftig alle Stakeholder zusammenzubringen, zu diskutieren, was die Branche braucht, gemeinsame Standpunkte zu entwickeln. Dafür möchte ich Angebote machen.
Die Finanzkrise ist 16 Jahre her.
Das ist fast ein halbes Berufsleben, da kann man schon mal einen Neuanfang wagen und als Finanzindustrie wieder selbstbewusster auftreten, als Branche, die den Menschen in der Region gut bezahlte Arbeitsplätze bietet und als Partner der Wirtschaft ungemein wichtig ist. Das Standortmarketing für den Finanzplatz ist kein Sprint, es ist ein Marathon.
Welche Angebote sind das konkret?
Ich möchte einen runden Tisch etablieren, an dem wir Hindernisse, den Finanzplatz attraktiver zu machen, aus dem Weg räumen. Und zwar nicht nur für die Banken, die schon da sind, sondern auch für solche, die noch kommen wollen. Daraus könnte man einen Masterplan Finanzindustrie für den Standort entwickeln und darin definieren, wo wir hinwollen.
Wie steht Frankfurt im Wettbewerb mit anderen europäischen Finanzplätzen da?
Frankfurt gilt als langweilig. Aber das kann sehr gut sein, denn langweilig ist zugleich auch ein Zeichen von Stabilität. In Deutschland gibt es immer wieder Kritik, dass Entscheidungen zu lange dauern, aber das hat den Vorteil, dass bei neuen politischen Konstellationen nicht alles wieder umgeworfen werden kann. Diese Stabilität wird im Ausland wahrgenommen und geschätzt. Zweitens glaube ich, dass die relative Nähe zwischen den unterschiedlichen Stakeholdern ein Vorteil ist und es eine neue Offenheit in der Politik gibt, den Finanzplatz zu unterstützen. Ich erinnere zum Beispiel daran, dass der Oberbürgermeister das Ausländeramt in Frankfurt ausgründen will und dort künftig eine Beratung auch in englischer Sprache stattfinden soll. Auch im Bahnhofsviertel sehen wir Bewegung, was wichtig ist für die Attraktivität der in der Nähe angesiedelten Unternehmen. Ich möchte künftig dafür sorgen, dass die Stimme des Finanzplatzes wahrnehmbarer wird, damit aus dem Willen, etwas zu verändern, auch tatsächlich eine konkrete Handlung erfolgt.
Was muss aus Frankfurter Sicht geschehen?
Das Traurige ist, dass ein Großteil der deutschen Banken das Wertpapiergeschäft vernachlässigt hat. Die ausländischen Banken, zumindest die großen amerikanischen, haben die Themen Wertpapiere, Zinsswaps, Finanzierungsgeschäfte, Anleihen und Emissionsgeschäfte stark in den Fokus genommen, was zu einem viel größeren Bilanzvolumen führt. Dementsprechend ist der kontinentaleuropäische Bankenmarkt, insbesondere in Deutschland, nicht so profitabel wie der amerikanische. Die Komplexität ist hoch, und die Möglichkeiten der amerikanischen Banken, zum Beispiel in IT-Infrastruktur zu investieren, sind wesentlich größer als das, was sich einige lokale Banken leisten können. Das schwächt ihre Position.
Welche Themen bewegen die Banken derzeit?
Natürlich die Umstellung auf Klimaneutralität, aber auch Digitalisierung, finanzielle Risiken sowie die konjunkturelle Lage in Europa. Besonders große Sorgen bereitet uns in Frankfurt der Fachkräftemangel. Es ist eminent wichtig für die Zukunft der Branche, dass gute Fachkräfte aus dem Ausland zu uns kommen wollen. Aber ist der Standort attraktiv genug? Derzeit haben wir in Deutschland gegenüber anderen Standorten Nachteile, etwa in Steuerfragen. Große Hoffnungen setze ich daher auf das Finanzmarktförderungsgesetz II. Man hört, dass größere Schritte unternommen werden, um den Arbeitsmarkt in Frankfurt attraktiver zu machen. Das Wertpapierhandelsgeschäft etwa neigt derzeit eher dazu, nach Paris abzuwandern, anstatt hier zu bleiben. Schaut man auf die Gehälter, werden in diesem Geschäft relativ hohe Löhne bezahlt, die wiederum neue Jobs mit sich bringen – manche sprechen von einem Verhältnis von 1:50 bei Führungskräften im Wertpapierhandel, was ein enormer Hebel ist. Ich würde mir wünschen, dass das Werben um Fachkräfte in Deutschland lauter wird und mit attraktiven Angeboten verknüpft ist. Ausländische Fachkräfte benötigen oft Unterstützung, da sie nicht wissen, wie lange sie bleiben. Das kostet viel Geld, zum Beispiel für die Ausbildung der Kinder, und es gibt keine Möglichkeit, diese Ausgaben steuerlich abzusetzen. Das macht den Standort unattraktiver.
Dagegen dürfte die Ansiedlung der Antigeldwäschebehörde AMLA in Frankfurt als Erfolg verbucht werden. Welche Folgeeffekte erwarten Sie dadurch?
Sowohl die Ansiedlung des ISSB als auch die Ansiedlung der AMLA sind die großen Erfolge der vergangenen Jahre. Die AMLA wird modernste Technologien benötigen, um Geldwäsche und Terrorfinanzierung effektiv zu bekämpfen. Dies schafft Bedarf an KI- und Big-Data-Lösungen und Experten direkt vor Ort. Frankfurt hat mit der neuen EU-Behörde die Chance, sich als Entwicklungszentrum für diese Anwendungen der Technologien zu positionieren, indem es Forschungskooperationen zwischen AMLA, lokalen Universitäten und Techunternehmen fördert, Förderprogramme für KI-Start-ups im Bereich Finanzkriminalitätsbekämpfung auflegt, eine Plattform für den Austausch zwischen Regulierungsbehörden und Technologieentwicklern schafft. Frankfurt Main Finance kann dabei die Rolle als Ideen- und Anstoßgeber, Vermittler oder Kommunikator übernehmen.
Wie blicken Sie als Vertreter des Finanzplatzes auf die mögliche Übernahme der Commerzbank durch die Unicredit?
Der deutsche Aktienmarkt gehört zu 80 Prozent ausländischen Investoren, was bedeutet, dass deutsche Anleger bei der Beteiligung an Unternehmen unterrepräsentiert sind. Gleichzeitig schafft das regulatorische Umfeld Bedingungen, in denen Akteure am Finanzplatz nicht börsennotiert sind und dadurch anderen Marktgegebenheiten ausgesetzt sind. Das führt dazu, dass wir einen Markt mit geringen Margen haben, der Druck auf Institute ausübt, die überwiegend in diesem Markt tätig und zusätzlich börsennotiert sind. Daher ist es klar, dass ausländische Banken, die unter besseren Bedingungen unterwegs sind, die Fühler nach deutschen Banken ausstrecken würden. Das ist nun geschehen. Ich würde mir wünschen, dass das Thema Wertpapiere in Deutschland wichtiger wird – weniger als Spekulationsobjekt, sondern mehr als Beteiligung und als Instrument der langfristigen Vorsorge. © Frankfurter Allgemeine Zeitung
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