Umfrage-Institute stehen immer wieder unter Verdacht, gewisse Parteien zu bevorzugen. Der Politikwissenschaftler Jörg Siegmund von der Akademie erklärt vor der Bundestagswahl am 23. Februar, was an dem Vorwurf dran ist und welche positiven und negativen Folgen die heutige Fülle an Wahlprognosen hat.

Ein Interview

Allensbach, Verian, Forsa, Forschungsgruppe Wahlen, GMS, Infratest dimap, INSA, YouGov: Der Rhythmus, in dem eine Vielzahl von Umfrage-Instituten vor der Bundestagswahl Wahlprognosen veröffentlichen, ist schwindelerregend. Da verlieren nicht nur Wählerinnen und Wähler leicht den Überblick.

Mehr zur Bundestagswahl 2025

Sind die Institute tatsächlich unparteiisch oder dienen sie einer Agenda? Was haben die Parteien von dieser Vielfalt? Und: Brauchen wir die Fülle an Prognosen überhaupt? Politikwissenschaftler Jörg Siegmund von der Akademie für Politische Bildung Tutzing gibt Antworten.

Gefühlt gibt es heute mehr Umfrage-Institute denn je. Ist diese Wahrnehmung richtig?

Siegmund: Die Zahl der relevanten Institute, die Umfragen im Vorfeld von Wahlen veröffentlichen, hat in den vergangenen Jahren tatsächlich leicht zugenommen. Dahinter stecken die Gesetze des Marktes: Weil die Anzahl sowohl der Parteien als auch der Wechselwähler steigt, sind Wahlergebnisse oft knapper und nicht so leicht vorauszusagen wie früher. Wahlumfragen stoßen daher bei den Parteien, aber auch bei vielen Menschen und in den Medien auf größeres Interesse – die Nachfrage nach diesen Umfragen steigt also.

Haben die Parteien ein Interesse an dieser Vielfalt, um das eigene Narrativ mit Zahlenwiedergeben zu können?

Siegmund: Die einzelnen Umfrage-Institute erheben ihre Daten mit unterschiedlichen Methoden und kommen – in gewissem Maße – auch zu unterschiedlichen Ergebnissen. Hierdurch kann eine Partei auf die Zahlen verweisen, die für sie am günstigsten sind. Die Vielfalt der Institute ist aus Sicht der Parteien also durchaus von Vorteil.

Lesen Sie auch

Welche Umfrage-Institute stehen denn welchen Parteien nahe?

Siegmund: Einzelnen Instituten ist in der Vergangenheit immer wieder eine Nähe zu einer bestimmten Partei unterstellt worden, etwa weil ein Institut eine Partei berät oder von ihr einen Auftrag erhält. So unterhält das Institut für Demoskopie Allensbach gute Kontakte zu den Unionsparteien, während Insa trotz seiner Tätigkeit für viele Parteien früher auch eine gewisse Nähe zur AfD nachgesagt wurde. Und selbst wenn: Nähe heißt nicht automatisch, dass diese Institute geschönte Umfragen veröffentlichen würden, die die entsprechende Partei in ein besonders gutes Licht rücken könnten. Denn die Vielfalt der Institute wirkt hier auch als Kontrollmechanismus.

Jörg Siegmund
Der Politikwissenschaftler Jörg Siegmund ist Referent für Demokratie-, Parlamentarismus- und Wahlforschung sowie Politikevaluation. © APB Tutzing

Inwiefern?

Siegmund: Ergebnisse, die sich klar von denen anderer Institute unterscheiden, werden in den Medien hinterfragt und müssen gegebenenfalls erläutert werden. Und intern haben die Parteien ohnehin ein Interesse an möglichst exakten Daten, um ihre Positionen oder Kommunikationsstrategien daran auszurichten.

Die Vorstellung eines parteiischen Umfrage-Instituts ist demzufolge falsch?

Siegmund: Ja. Parteiische Umfrage-Institute würden in Deutschland recht schnell als solche auffallen und dann als unseriös gelten. Das wäre nicht gut für ihr Image und würde es ihnen künftig auch erschweren, weitere Auftraggeber zu finden. "Parteiisch" sind Institute und die von ihnen durchgeführten Umfragen höchstens in einem anderen Sinne.

In welchem?

Siegmund: Indem sie bestimmte Themen, die für eine Partei sehr wichtig sind, aufgreifen und demoskopisch untersuchen. Finden diese Umfragen dann Eingang in die Medien, stehen das Thema und die mit ihm assoziierte Partei stärker im Blickfeld der Öffentlichkeit.

Sehen Sie die große Vielfalt der Umfrage-Institute positiv oder eher skeptisch?

Siegmund: Die Vielfalt der Umfrage-Institute hat zu einer aufgeregten Dauerbeschallung mit Vorwahlumfragen geführt, bei der man leicht den Überblick verlieren kann. Etwas weniger Umfragen würden meines Erachtens auch genügen, um die Stimmungen abzubilden – und uns mehr Zeit verschaffen, um zum Beispiel die Wahlprogramme der Parteien genauer zu lesen.

Über den Gesprächspartner

  • Der Politikwissenschaftler Jörg Siegmund ist Referent für Demokratie-, Parlamentarismus- und Wahlforschung sowie Politikevaluation bei der Akademie für Politische Bildung Tutzing.