- Die Deutschen blicken gespannt auf die Bundestagswahl im September, in der sich die Nachfolge von Kanzlerin Angela Merkel entscheidet.
- Doch nicht nur hierzulande wird die Wahl mit Spannung erwartet – auch im Ausland sind die Augen auf Kandidaten, Wahlprogramme und Koalitionsoptionen gerichtet.
- Kate Connolly berichtet als Berlin-Korrespondentin des britischen "The Guardian" über die hiesige Politik. Und beobachtet einige deutsche Eigenheiten.
Frau Connolly, Sie sind Berlin-Korrespondentin beim britischen Guardian und berichten für die Briten über den deutschen Wahlkampf. Was macht ihn in diesem Jahr besonders?
Kate Connolly: Dieses Jahr ist total interessant. Natürlich steht die Coronakrise ein Stück weit im Vordergrund, genauso wichtig ist aber auch der Abgang von
Angela Merkel ist in Großbritannien vermutlich sehr bekannt, wie sieht es mit
Ja, Angela Merkel ist sehr bekannt, beliebt und bewundert in Großbritannien - egal von welcher politischen Richtung man kommt. Ihre Aufmerksamkeit für Details, ihre bodenständige Art, ihre Ausdauer, all das kommt gut an. Für die, die sie nicht so gerne haben, ist sie diejenige, die zu starke EU-Werte repräsentiert und diejenige, die Großbritannien 'blockieren' möchte.
Gibt es Aspekte, die Sie nun besonders beobachten?
Wir sind sehr an den Persönlichkeiten interessiert. Wir werden zwar viel Berichterstattung machen über das Loch, was Merkel hinterlässt, aber auch über die Personen von Annalena Baerbock und Armin Laschet. Ich werde ihre Biographien nun mit in den Urlaub nehmen, um herauszufinden: Wer sind sie, was hat sie geprägt? Die Wahlkampagnen und -programme sind aber auch sehr wichtig: Wie werden sich die Parteien voneinander differenzieren können? Wie grün werden die Grünen sich trauen, sich im Voraus zu präsentieren? Sie müssen eine breite Wählerschaft gewinnen, auch neue Wähler. Die Grenzen zwischen den Wählergruppen sind dabei viel flüssiger geworden. Sich unterscheiden, ohne die Wähler abzuschrecken – darum wird es gehen. Die CDU muss zeigen, dass sie anders ist, als unter Merkel. Gleichzeitig mögen die Deutschen aber auch Kontinuität.
Ist dieses Verlangen nach Kontinuität eine deutsche Eigenheit?
Ja, ich denke der starke Wunsch nach Konsens prägt Deutschland. Die Debatten im Bundestag sind aber in den letzten Jahren lebendiger geworden, seitdem mehr Parteien ihn aufwühlen. Das ist erfrischend! Aus anderen Ländern guckt man zeitweise neidisch auf diese Konsensfähigkeit, aber der starke Wunsch nach Konsens kann auch eine Art Bremse sein und es ist manchmal etwas langweilig dadurch.
Wie unterscheiden sich die Wahlkämpfe in Deutschland und Großbritannien sonst noch?
Sowohl in Deutschland als auch in Großbritannien suchen die Parteien immer nach einem Slogan, der oft total banal ist, der aber den Wahlkampf dominiert. Auch die Wahlkampf-Reisen durchs Land gibt es in beiden Ländern. In Großbritannien ist der Haustür-Wahlkampf allerdings viel verbreiteter und wichtiger. Es geht darum, an der Tür ins Gespräch zu kommen und zu erkennen, wie die Leute ticken. Das Gespür bekommt man so viel besser als durch Umfragen. In Deutschland scheint mir, herrscht da noch eine gewisse Scheu, weil Leute oft nicht wollen, dass man bei ihnen klingelt. Ich glaube aber, es gibt nun ein großes Bedürfnis nach dieser altmodischen Art von Kommunikation, einfach ins Gespräch zu kommen – gerade jetzt, wo wir alles so lange digital gemacht haben. Das könnte dem diesjährigen Wahlkampf auch mehr Leben geben.
Schon zu Beginn des Wahlkampfs gab es jede Menge Aufruhr: Baerbocks Lebenslauf wurde auseinandergenommen, ihre nachgemeldeten Nebeneinkünfte zum Politikum und zuletzt sorgte die Anzeige der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) in mehreren Tageszeitungen für hitzige Debatten. Baerbock war darauf im Moses-Gewand mit zehn vermeintlichen Verboten der Grünen zu sehen. Wird der Wahlkampf in Deutschland immer populistischer?
Ja, ich denke schon. Persönliche Angriffe sind häufiger geworden und auch aus dem Ausland wird immer häufiger versucht, den Wahlkampf zu beeinflussen. Der Ton ist außerdem rauer geworden, das merkt man schon. Ich denke, dass die Entwicklung mit dem ersten Fernsehduell begonnen hat – seitdem müssen sich Kandidaten in anderthalb Stunden beweisen, es geht dann nur darum, wie sie sich genau in diesem Moment präsentieren. Aber die Fernsehduelle haben auch etwas Positives: Sie kommen gut an und bringen den Menschen die Politik näher. Alles, was den Leuten die politische Debatte näherbringt, ist gut, weil es eine zunehmende Kluft zwischen der Politik und den normalen Leuten gibt. In Großbritannien gibt es auch solche Tendenzen im Wahlkampf, übernommen hat man da einiges aus Amerika.
Gehen die deutschen Medien – die oft dem Vorwurf ausgesetzt sind, "links-grün-versifft" zu sein – überkritisch mit den Grünen um, um diesen Vorwurf vielleicht zu entkräften?
Die These ist interessant, aber ich kann es nicht wirklich beurteilen. Die Medien erscheinen mir derzeit aufgeregt. Es ist für Journalisten der interessanteste Wahlkampf seit Langem. Jetzt, wo die Grünen erstmals eine realistische Chance auf das Kanzleramt haben, setzen sich die Medien mit Fragen auseinander: Wie grün sind die Grünen? Wie regierungsfähig sind sie? Lassen sich ihre Ideen umsetzen? Wie soll die neue grüne Wende finanziert werden? Sind sie fähig? Deutschland steht mit großen Schulden durch die Corona-Krise vor einer riesigen Herausforderung.
Gibt es typische Fehler, die deutsche Politiker immer wieder machen?
Manchmal nicht klar genug mit der Allgemeinheit zu sprechen. Wir sehen durch die Corona-Krise wie wichtig diese Kommunikation ist. Oft wirken die Politiker schon distanziert oder "out of touch" – man muss meiner Meinung nach als Politiker immer wissen, was ein Brot, eine Packung Milch, oder ein Liter Benzin kostet, oder mit den Öffentlichen fahren und in die Kneipe gehen.
Zum jetzigen Zeitpunkt: Was glauben Sie, was wird das Ergebnis der Bundestagswahl sein? Wer folgt Merkel nach?
Es wäre leichter, eine Prognose für das Fußballspiel Deutschland gegen England abzugeben. Ich glaube, es wird eine grün-schwarze Koalition geben oder ein Bündnis aus Grünen, CDU und FDP.
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