• Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk hat mit Aussagen über den ukrainischen Nationalistenführer Stepan Bandera für Aufsehen gesorgt.
  • Kritiker sprechen unter anderem von "Heuchelei".
  • Die Bewertung von Bandera ist indes heikel.

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Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk hat bestritten, dass es Beweise für den Massenmord an Juden durch Anhänger des ukrainischen Nationalistenführers Stepan Bandera gibt. "Bandera war kein Massenmörder von Juden und Polen", sagte Melnyk in dem in der Nacht zum Donnerstag veröffentlichten Videointerview mit dem Journalisten Tilo Jung. Das würde er auch immer wieder bestätigen, sagte Melnyk.

Er verwies unter anderem darauf, dass der von ihm als "Freiheitskämpfer" bezeichnete Stepan Bandera knapp eine Woche nach dem deutschen Einmarsch in die Sowjetunion 1941 von den Deutschen verhaftet und ins KZ Sachsenhausen gebracht worden war. Der 1909 im damals östereichisch-ungarischen Galizien geborene Bandera wurde 1959 in München von einem sowjetischen Agenten ermordet. Melnyk zufolge wurde die Figur Banderas gezielt von der Sowjetunion dämonisiert.

Melnyk: "Ich bin dagegen, dass man all die Verbrechen Bandera in die Schuhe schiebt"

Er warf deutschen, polnischen und israelischen Historikern vor, dabei mitgespielt zu haben. "Ich bin dagegen, dass man all die Verbrechen Bandera in die Schuhe schiebt", sagte der Diplomat. Zuvor hatte Jung Melnyk mit einem Zitat eines ukrainischen Flugblatts und Opferzahlen konfrontiert. "Es gibt keine Belege, dass Bandera-Truppen Hunderttausende Juden ermordet haben", zeigte sich Melnyk überzeugt.

Auch den Vorwurf der Zusammenarbeit mit den Nazis ließ er nicht gelten. "Was heißt kollaboriert? Kollaborateure gab es in ganz Europa - in Frankreich, in Belgien in jedem Staat", sagte Melnyk über die Kooperation ukrainischer Nationalisten mit Nazi-Deutschland. Bandera habe lediglich versucht den Kampf zwischen Nazi-Deutschland und der Sowjetunion für eine ukrainische Unabhängigkeit auszunutzen.

Botschafter Melnyk wird für Aussagen kritisiert

Melnyk wurde für seine Haltung in sozialen Netzwerken heftig kritisiert. Der bekannte Pianist Igor Levit etwa schreibt bei Twitter von "Heuchelei". Der ukrainische Botschafter verleugne einen Teil seiner Geschichte, argumentiert Levit. "Er spielt den Unwissenden. Was für eine Geschichtsverleugnung. Was für eine Geschichtsverklitterung." Er fügt noch hinzu: "Schämen Sie sich."

Auch Meron Mendel, der Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, war auf Twitter um eine Richtigstellung bemüht. Er schrieb, Bandera sei "nicht einfach 'nur' ein ukrainischer Freiheitsheld" der 1930er und 40er Jahre, den man heute unkritisch feiern könne.

"Die von ihm angeführte Gruppe der Organisation Ukrainischer Nationalisten war an der Ermordung vieler Tausender Juden beteiligt und kämpften mit den Nazis", so Mendel. Die ideologische Nähe zum Faschismus, die Ideen von einer reinen ukrainischen Nation seien nicht zu leugnen, ebenso wie die "unzähligen Gräueltaten".

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In der Ukraine wird besonders seit dem Regierungssturz von 2014 ein Kult um Stepan Bandera und Vertreter der von ihm geführten Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) betrieben. Er gilt als maßgeblich verantwortlich für die Ideologie des radikalen Flügels der Organisation. Hunderte Straßen wurden nach Bandera und anderen OUN-Vertretern benannt.

Die von OUN-Mitgliedern geführten nationalistischen westukrainische Partisanen führten 1943 in Wolhynien ethnisch motivierte Vertreibungen durch. Dabei wurden Zehntausende polnische Zivilisten teils bestialisch ermordet.

Wie der "Spiegel" schreibt, ist die Bewertung von Bandera heikel. Unter Historikern bestehe allerdings weitestgehend Konsens, dass seine OUN faschistisch und rassistisch war, wobei Bandera als prominenter Anführer Verantwortung übernahm. (lh/dpa)

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